Vortrag und Diskussion
REIHE: Gesellschaftskritik in der Krise
Mit Dr. Michael Städtler (Universität Wuppertal)
Eine gemeinsame Vortrags- und Diskussionsreihe des Referates politische Bildung (StuRa der TU Dresden) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen
TU Dresden, Chemie/Hydrowissenschaften, CHE 184/U, Bergstraße 66, 01069 Dresden
Krisen
haben für die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft eine ambivalente
Bedeutung: Ihre schmerzhaften Auswirkungen erregen Protest, aber sorgen
auch dafür, dass dieser sich auf die Krise und deren vermeintliche
unmittelbare Ursachen (z.B. Fehlverhalten von Spekulanten, Bankiers oder
Staatsführungen) beschränkt. Damit regen sie eine Kritik am
Kapitalismus an, aber eine, die nicht den Kapitalismus als solchen
begreift und kritisiert. Die Strukturen kapitalistischer Gesellschaften
sind in hohem Maße von Prinzipien abhängig, die anonym und indirekt
wirken. Sie sind keine Gegenstände der Erfahrung, sondern können nur
durch Denken, durch theoretische Reflexion von Erfahrungen erkannt
werden. Begründete Kritik muss darauf aufbauen und die in
gesellschaftlichen Strukturen institutionalisierten Zwecke in den Blick
nehmen. Krisen erzeugen den Anschein, ein unmittelbares Objekt der
Kritik zu sein. Damit erzeugen sie Krisen in der Theorie und der Kritik.
Dieser Befund gilt analog für empirische Gerechtigkeitsdefizite, sog.
'soziale Pathologien', aber auch für die Stoßrichtung mancher neuen
sozialen Bewegungen. Der Vortrag thematisiert notwendige Elemente
theoretischer Kritik, die Notwendigkeit solcher Kritik überhaupt als
Voraussetzung einer sinnvollen Praxis sowie auch das Problem der
Theoriefeindlichkeit. Es geht also um die Vergegenwärtigung kritischer
Theorie.
Dr. Michael Städtler lehrt zur Zeit an der Universität Wuppertal.
Dr. Michael Städtler lehrt zur Zeit an der Universität Wuppertal.
Zur Reihe:
In
der Weltwirtschaftskrise 2007/2009 konstatierte selbst der
gesellschaftstheoretische Mainstream eine grundlegende Krise des
Kapitalismus. Neue Krisenausprägungen sind hinzugekommen, alte haben
sich verschärft. Die damit eng zusammenhängende wachsende politische
Polarisierung und der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und
Bewegungen geben Anlass, Ursachen und Wesen der Gesellschaftskrise zu
hinterfragen. Dabei bedarf auch die Krise der Kritik selbst, das Fehlen
eines Aufschreis kritischer Intellektueller und eines wirksamen
Streitens um kulturelle Hegemonie, der Aufarbeitung. Warum fehlen in der
Parteienlandschaft wie in den Gewerkschaften bei allem wachsenden
Krisenbewusstsein Positionen, die eine dezidiert linke Kritik am
gesellschaftlichen Status Quo verbalisieren? Warum bleibt die Kritik in
aktuellen sozialen Bewegungen oft oberflächlich und begriffslos? Wie
lassen sich verschiedene Krisenausprägungen auf adäquate Begriffe
bringen? Wo kann eine der gegenwärtigen Krise entsprechende
Neubestimmung der theoretischen Grundlagen von Kritik an Klassiker der
kritischen Gesellschaftstheorie - von Marx über Gramsci und die
Frankfurter Schule bis zu Foucault - anknüpfen und wo sind neue
Ansatzpunkte linken Denkens erfordert? Pierre Bourdieu hatte eine
„ökonomische Alphabetisierungskampagne“ gefordert. Diese tut dem
sozialwissenschaftlichen Denken, dass die Reflexion auf die
strukturellen Bedingungen vieler sozialer Phänomene in den
kapitalistischen Produktionsverhältnissen oft über Bord geworfen hat,
heute ebenso Not, wie eine sozialwissenschaftliche Alphabetisierung der
Ökonomie erfordert wäre, um 'Marktgesetzte' nicht als unabwendbare
Naturgesetze zu begreifen, sondern als Ausdruck, historisch gewordener
und damit veränderbarer gesellschaftlicher Verhältnisse. Krisen sind
immer auch der Beginn von etwas Neuem und können als Chancen und
Aufbruchssignale wirken. Ob und wie solche Chancen in konkreten
gesellschaftlichen Kämpfen genutzt oder verspielt werden hängt nicht
zuletzt von den Fähigkeiten zur Reflexion auf die Ursachen und
Wirkungszusammenhänge der Krisen und auf die möglichen Bedingungen
anderer Formen der Vergesellschaftung ab.
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