IMI-Analyse 2017/10 - in: AUSDRUCK (April 2017)
Polizei und Bundeswehr üben Anti-Terror-Einsatz im Inland
von: Martin Kirsch | Veröffentlicht am: 12. April 2017
„Ich bin auch froh darüber, dass die politische Diskussion der Jahrzehnte langen ideologischen Grabenkämpfe über die Frage des Ob vorbei ist.“[1] Mit diesen triumphierenden Worten eröffnete der saarländische Innenminister und politische Förderer der gemeinsamen Übung von Polizei und Bundeswehr, Klaus Boullion, sein Statement bei der abschließenden Bundespressekonferenz am 09. März 2017.
Vom 07. bis 09. März 2017 hatten Polizeien, Geheimdienste und Bundeswehr in einer gemeinsamen Stabsrahmenübung den Einsatz der Armee im Inland bei großen Terroranschlägen geübt. GETEX steht dabei für GEmeinsame TErrorismusabwehr EXercise (dt. Übung). In sechs Bundesländern wurden die Krisenstäbe hochgefahren, um Reaktionsfähigkeit und Kommunikationswege der beteiligten Behörden in einem fiktiven Szenario zu testen.
Damit scheint nach Bouillons Meinung der Damm für bewaffnete Inlandseinsätze der Bundeswehr mit dieser Übung gebrochen. Diese beeindruckend kreative Auslegung der Verfassung, die dieser Übung eine juristische Grundlage verschafft, kam allerdings nicht von einem Tag auf den anderen zustande, sondern brauchte jahrelange Vorbereitung.
Der Weg zur GETEX-Übung
Bereits seit den 1990er Jahren arbeiten Teile der CDU/CSU an der Option, die Bundeswehr auch im Inland mit exekutiven Befugnissen einsetzen zu können. Für die aktuelle Ausweitung der Befugnisse wurde der Startschuss vom Bundesverfassungsgericht gegeben. In einem Urteil vom Juli 2012 hatte es Artikel 35/2 des Grundgesetzes, in dem die Katastrophenhilfe geregelt wird, grundlegend neu interpretiert und mit Einschränkungen die Verwendung von “spezifisch militärischen Waffen“ in diesem Rahmen zugelassen.[2]
Zwar konnte sich Verteidigungsministerin von der Leyen in der Debatte um das Weißbuch 2016 mit ihrer Position nicht durchsetzen, die Verfassung selbst im Bezug auf Inlandseinsätze grundlegend umzuschreiben, allerdings stimmte die gesamte Regierungskoalition einer nennenswerten Neuinterpretation des Grundgesetzes zu. Aufbauend auf Verfassungsgerichtsurteil und Weißbuch stieß der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages[3] im August 2016 mit einer Interpretation der Interpretation die Tür für bewaffnete Inlandseinsätze der Bundeswehr zur Terrorabwehr noch weiter auf und legte damit den Grundstein für die GETEX-Übung.
Neben der juristischen Auseinandersetzung um Schranken des Grundgesetzes wurde auch die politisch geförderte Terrorhysterie für die Positionierung der Bundeswehr im Aufgabenspektrum der Inneren Sicherheit aktiv genutzt. So erlaubte sich von der Leyen im Sommer 2016 nach einem Amoklauf in München, der von den Behörden fälschlicherweise für einen Terroranschlag gehalten wurde, 100 Soldat_innen in Alarmbereitschaft zu versetzen, um in die Münchner Innenstadt auszurücken.[4] In der von ihr angestoßenen Debatte wurde dann die Forderung nach einer gemeinsamen Übung von Polizei und Bundeswehr, die ohnehin seit der Erstellung des Weißbuchs 2016 geplant war, öffentlichkeitswirksam inszeniert.
Kommunikation statt Panzer?
GETEX war als sogenannte Stabsrahmenübung angelegt. Ein Planspiel der jeweiligen Führungsebenen von Innenministerien, Verfassungsschutzämtern und Polizeien der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein, dem Bundesinnenministerium mit Bundespolizei, BKA und Geheimdiensten, sowie dem Verteidigungsministerium mit Bundeswehr.
Die beteiligten Stellen sollten Ansprechpersonen, Fähigkeiten, Vorgehensweisen, Abläufe, Kommunikationswege und Sprache der Kooperationspartner kennen lernen. Polizist_innen, Soldat_innen oder Panzer wurden also nur als virtuelle Größen verschoben, ohne je die Dienststube oder Kaserne zu verlassen. Die einzigen Bilder von bewaffneten Ordnungskräften waren im Rahmen von Vorführungen zu sehen, die das Begleitprogramm zu GETEX lieferten.
Was sich verhältnismäßig harmlos anhört, legt allerdings die Grundlage für zukünftige Einsätze und führt zu einem Zusammenrücken von Armee und Polizei – nicht nur in Extremsituationen, sondern auch im Alltag.
Dieses Vorgehen ist schon aus dem Katastrophenschutz bekannt, wo bereits seit 2004 gemeinsame Übungen (LÜKEX – Länderübergreifende Katastropenschutz Exercise) mit der Bundeswehr abgehalten werden. So unterhält die Bundeswehr seit 2007 ein ganzes Netz von Verbindungsoffizieren, die von der Provinz bis nach Berlin in den Krisenstäben sitzen und das Militär als Lösungsfaktor im Inland aktiv anpreisen.[5]
Das führte bereits zu einer massiven Ausweitung der sogenannten Amtshilfe (§ 35/1 GG) und zu Großeinsätzen der Bundeswehr bei Naturkatastrophen (§ 35/2 GG), wie z.B. während des Hochwassers 2013, als zwischenzeitlich fast 20.000 Soldat_innen aktiv waren.
Eine ähnliche Entwicklung ist für die angelaufene Kooperation von Armee und Polizei im Bereich der Terrorismusabwehr auch zu erwarten.
So drängen Verteidigungsministerin von der Leyen und einige Länderinnenminister der CDU und CSU bereits auf weitere Übungen, in denen Polizei und Bundeswehr auch auf den Straßen der Republik aktiv werden sollen.[6]
Dass eine Kooperation von Bundeswehr und Polizei allerdings auch deutlich unterhalb des gemeinsamen bewaffneten Einsatzes einen äußerst fragwürdigen Charakter hat, zeigt eine Aussage der Verteidigungsministerin, in der sie die Ausgangsbasis der aktuellen Übung in der Kooperation von Innenministerien, Polizeien und Bundeswehr während der „Flüchtlingskrise“ 2015 sieht.[7]
Rechtsgrundlage
Seit den Notstandsgesetzen von 1968 sieht das Grundgesetz vier Wege vor, über die die Bundeswehr im Inland aktiv werden kann. Die sogenannte Amtshilfe (§ 35/1 GG) regelt den Austausch von Personal und Material zwischen allen staatlichen Behörden und damit auch der Bundeswehr. So z.B. die Weitergabe von Zelten für die Unterbringung und Personal für die Registrierung von Geflüchteten, aber auch von Überwachungstechnik bei Gipfelprotesten. Juristisch wird die Amtshilfe der Bundeswehr nicht als Inlandseinsatz gewertet.
Nach Artikel 35/2 GG, der sogenannten Katastrophenhilfe, kann die Bundeswehr bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall aktiv werden. Beispiele sind Hochwasser, aber auch ein großes Zugunglück mit vielen Verletzten, oder ein Reaktorunfall.
Darüber hinaus wurde 1968 der sogenannte Innere Notstand, Artikel 91/1, im Grundgesetz verankert. Sollten die freiheitlich demokratische Grundordnung und der Fortbestand eines Bundeslandes oder des Bundes durch militärisch organisierte und bewaffnete Gegner im Inneren bedroht werden, darf die Bundeswehr auch mit militärischer Gewalt gegen diese Bedrohung vorgehen. Weitere Befugnisse im Inland erhält die Bundeswehr im Spannungs- oder Verteidigungsfall (§ 115 GG), also im Falle der akuten Kriegsvorbereitung oder eines Krieges, bei dem das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland bedroht ist.
Für die GETEX-Übung sind allerdings v.a. die Amtshilfe und die Katastrophenhilfe relevant, wobei der Katastrophenhilfe eine besondere Rolle zukommt.
Bis zum Urteil des Verfassungsgerichts von 2012 war ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr im Inland unterhalb des inneren Notstands, der im Vergleich zu Nachbarländern wie Frankreich und Belgien relativ hohe Hürden voraussetzt, nicht vorgesehen.
Beeinflusst durch die Debatten über den Krieg gegen den Terror entschied die Mehrheit der Verfassungsrichter_innen 2012 allerdings, auch Terroranschläge „katastrophischen Ausmaßes“ als von Menschen verursachte Katastrophe zu interpretieren und der Bundeswehr damit eine aktive Rolle in der Bekämpfung von Terrorist_innen, auch mit Waffengewalt, einzuräumen.[8]
Neben der Erlaubnis zur Verwendung von Kriegswaffen ist das Urteil besonders heikel, weil es Einsätze nicht nur als Reaktion auf einen Anschlag oder eine Anschlagsserie zulässt, sondern auch wirksam wird, wenn Anschläge mit katastrophaler Wirkung unmittelbar bevorstehen. Damit erhält die Bundeswehr sogar präventive Befugnisse in der Terrorabwehr.
Die Folgen dieser Entscheidung wurden bereits im Rahmen der Urteilsverkündung massiv kritisiert. So stellte sich Verfassungsrichter Gaier gegen die Entscheidung seiner Kolleg_innen und fügte dem Urteil eine neunseitige „Abweichende Meinung“ hinzu.[9] Darin wirft er dem Gericht, begründet mit der Historie des Grundgesetzes und den gesellschaftlichen Konsequenzen der Entscheidung, quasi eine Beugung der Verfassung vor.
Neben diversen Widersprüchen zur aktuellen GETEX-Übung aus dem politisch linken Spektrum treten aber auch Kritiker_innen aus dem Bereich der Verwaltung auf den Plan. So z.B. Alexander Poretschkin, Lehrbeauftragter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Im Bezug auf Artikel 87a GG, der die Aufstellung der Bundeswehr auf Verteidigungszwecke beschränkt, kritisiert Poretschkin, dass ein präventives Bereitstellen der Armee außerhalb des Verteidigungsauftrages, also für Katastrophenschutz oder zur Unterstützung der Polizei, sowie entsprechende Übungen, nicht grundgesetzkonform seien.[10]
Ungeachtet der Kritik waren die neuen Befugnisse der Armee im Fall von Terroranschlägen katastrophischen Ausmaßes neben der Koordination von Polizei und Bundeswehr zentraler Bestandteil der GETEX-Übung. So liest sich das vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erdachte Szenario nach Aussagen eines NDR-Journalisten wie ein „extremes und wenig realistisches Terror-Armageddon“[11] um damit den Einsatz nach Artikel 35/2 GG um jeden Preis möglich zu machen.
Übungsszenario
Bereits vor Übungsbeginn, so das Drehbuch, finden Anschläge in Großbritannien, Spanien und den Niederlanden statt. Die Geheimdienste haben Hinweise, dass ein Terrorkommando koordinierte Anschläge in Deutschland plant und beginnen mit einer Vielzahl von Observationen und darauf folgenden Razzien und Festnahmen. Diese Tätigkeiten bringen die Polizeien von Bund und Ländern bereits an ihre Kapazitätsgrenzen, was die Option eines Bundeswehreinsatzes auf den Plan ruft.
Kurz nach Übungsbeginn finden erste Anschläge in Deutschland statt. In Bremen explodiert eine Bombe in einer Schule und in einer weiteren wird geschossen. In Bayern tötet eine Bombe auf einem Bahnhof zwanzig Menschen. Hinzu kommt die Entführung eines Busses, in dem Geiseln erschossen werden, um die Ausstrahlung eines Videos in den Fernsehnachrichten zu erpressen. In Nordrhein-Westfalen, am Flughafen Düsseldorf explodiert eine weitere Bombe und tötet einige Menschen. Zusätzllich wird eine Flugabwehrrakete auf dem Rollfeld des Flughafens gefunden, die geeignet ist Passagierflugzeuge zum Absturz zu bringen. In Baden-Württemberg findet ein Angriff auf ein Konsulat mit anschließender Geiselnahme und ein weiterer auf die Trinkwasserversorgung statt.[12] Während das Saarland mit einem durch einen Anschlag auf den Berufsverkehr ausgelösten Verkehrskollaps umgehen muss, wird in Schleswig-Holstein die Grenzsicherung massiv hochgefahren und es eine Fähre und ein Kreuzfahrtschiff müssen evakuiert werden.[13]
Verlauf der Übung
Während von der Leyen die Übung in einer ersten Auswertung als Erfolg darstellt, auch weil allein in der Vorbereitung die Bundeswehr einen Einblick in die Polizeibehörden und ihre Arbeitsweisen erhielt, war es während der Übung vor allem ihr Ministerium und die nachfolgenden Stellen, die für Probleme sorgten.
So gab es während des ersten Tages Anträge der Polizei, die bis zu fünfzehn Stunden auf eine Antwort warten mussten. In Polizeikreisen kursiert laut NDR bereits der Spruch: „Am zweiten Tag kommen die Bundeswehr-Soldaten, die du am ersten Tag angefordert hast.“[14]
Aber auch diese Schmach für das Verteidigungsministerium wurde von Verteidigungsministerin von der Leyen als Übungserfolg dargestellt.[15] So wurde das Genehmigungsverfahren für Einsätze der Bundeswehr in der Nacht vom ersten auf den zweiten Übungstag umgestellt. Nicht mehr die unteren Verbindungsebenen der Bundeswehr in den Bundesländern prüften jetzt langwierig die Anträge, sondern reichten sie direkt an die Jurist_innen im Verteidigungsministerium weiter.
Diese erteilten dann angeblich im Idealfall Antragsgenehmigungen im Minutentakt. Die Landeskommandos waren nur noch für die Umsetzung der genehmigten Anträge zuständig.
Aber auch die Verfügbarkeit von Teileinheiten der Bundeswehr konnte getestet werden. So brauchten z.B. die ABC-Abwehrkräfte mindestens fünf Stunden um nach Berlin zu kommen.
Von insgesamt 46 Anträgen der Polizeien wurden 44 genehmigt. Davon 30 im Rahmen der Amtshilfe und 16 als Katastrophenhilfe mit exekutiven Befugnissen. Genehmigte Bundeswehreinsätze nach Artikel 35/2 GG beinhalteten die Identifikation und Entschärfung von Sprengfallen, das Bereitstellen von geschützten Fahrzeugen (Panzerwagen) samt Personal, die Verwundetenversorgung, v.a. von Schuss-, Brand- und Sprengwunden, sowie Objektschutz und den Betrieb von Checkpoints mit Verkehrskontrollen.[16]
Die zwei abgelehnten Anträge kamen aus Baden-Württemberg und Bayern. So wurden Soldat_innen angefragt, um Objektschutz für alle Konsulate in Bayern zu stellen, obwohl keine konkrete Bedrohung vorlag und das Kommando Spezialkräfte sollte eine Geiselbefreiung in Stuttgart durchführen, obwohl ein Spezialeinsatzkommando der Länderpolizei in der Nähe war.[17]
Bremen stellte als Hotspot der Übung 12 Anträge an die Bundeswehr, die dazu führten, dass rund 1.000 fiktive Soldat_innen in der Stadt unterwegs waren.[18] Sie evakuierten Schulen, Kitas und Unis, versorgten Verletzte, beschützten Krankenhäuser und andere kritische Infrastrukturen und errichteten Kontrollstellen, wo sie Autos und Fußgänger mit vorgehaltener Waffe kontrollierten.
Schneller am Drücker in der Terrorabwehr?
Während alle Beteiligten die Übung als Erfolg loben, werden die daraus folgenden Konsequenzen, die Bundeswehr häufiger an der Seite der Polizei einzusetzen, sogar von den Berufsverbänden der Polizei und Bundeswehr kritisiert,[19] die sich sonst für keine Stimmungsmache zu schade sind.
Die Unstimmigkeiten zwischen CDU/CSU und SPD, die sich schon für das Weißbuch 2016 nicht über eine Verfassungsänderung einig wurden, bleiben allerdings bestehen.
Während die Union nicht genug von der Bundeswehr im Inland bekommen kann und bereits über zukünftige Übungen mit Soldat_innen in den Straßen sinniert, versuchen sich die Innen- und Verteidigungspolitiker_innen der Sozialdemokraten in Zurückhaltung zu üben.
Die Entscheidung über einen Einsatz liegt im Fall der Fälle allerdings bei den Landesinnenministern und dem Verteidigungsministerium. So verkündete Innenminister de Maizière: „Und ehrlich gesagt ist es dann unsere Aufgabe, als diejenigen, die in einer solchen Krise zu agieren haben, und [die Aufgabe] der Länder zu sagen, wir erklären das jetzt zu einer Terrorlage katastrophischen Ausmaßes und handeln. Und dann kann später irgendein Gericht sagen, ihr habt den Begriff aber falsch ausgelegt.“[20] Der Wille zum Einsatz der Streitkräfte scheint also deutlich ausgeprägt zu sein, aller Kritik und juristischen Unstimmigkeiten zum Trotz.
Vermutlich werden nach einer intensiven Auswertung, die bis April 2017 andauert, die Planungen für GETEX 2018 beginnen, um auch andere Bundesländer in den „Genuss“ einer solchen Übung kommen zu lassen. Der Grundstein für ein Zusammenwachsen von Polizeien und Bundeswehr in der Terrorbekämpfung ist gelegt und weitere Vorstöße für die erneute Ausweitung der Einsatzbefugnisse sind nur eine Frage der Zeit.
Unabhängig von zukünftigen Einsätzen der Bundeswehr hat die Terrorhysterie, die auch in den Behörden durch eine solche Übung noch weiter angeheizt wird, bereits jetzt Wirkung gezeigt.
So scheinen die Terrorszenarien einigen Polizeibeamt_innen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zu Kopf gestiegen zu sein. Bereits am Tag nach der Übung wurde, wie bereits im Vorjahr in München, ein Amoklauf in Düsseldorf für einen Anschlag gehalten und führte zu einem Großeinsatz der Polizei, bei dem an Waffen und Rüstung nicht gespart wurde.[21] Am 11. März 2017 kam es dann in Essen aufgrund eines angeblich drohenden Terroranschlags auf ein Einkaufszentrum zur Evakuierung des riesigen Gebäudekomplexes, der in der Folge von einem schwerbewaffneten Polizeiaufgebot bewacht wurde. Die zwei festgenommenen Tatverdächtigen wurden am 12. und 13. März 2017 aufgrund mangelnder Beweise wieder entlassen.[22]
Und damit nicht genug, wurden im baden-württembergischen Offenbach in der Nacht zum 12.März.2017 panisch mehrere Diskotheken von Polizist_innen mit Maschinenpistole und kugelsicherer Weste geräumt, weil aufgrund einer Drohung auch dort ein Terroranschlag vermutet wurde. In den Folgetagen mussten die Ermittler_innen allerdings auch dort feststellen, dass es sich um eine hohle Drohung gehandelt hatte.[23]
Diese Vorfälle reihen sich in eine zunehmende Zahl von Anti-Terror-Einsätzen in den letzten zwei Jahren ein, denen, soweit öffentlich bekannt, in den seltensten Fällen ein belastbarer Anschlagsplan zugrunde lag. Die Polizei rüstet sich trotz alledem massiv auf.[24]
Der wahrscheinlichste Fall eines Bundeswehr Einsatzes à la GETEX scheint somit zu sein, dass die Behörden sich eine akute Terrorgefahr mit möglichen katastrophischen Folgen herbei phantasieren. Aufgrund der verbesserten Schnittstellen zur Bundeswehr und der Option auf deren präventiven Einsatz, könnten dann Objektschutzaufgaben an zivilen Objekten von Soldat_innen mit vorgehaltener Waffe übernommen werden.
Ein weiterer Schritt also, im Sinne der neuen Großmachtphantasien, die Lehren aus der deutschen Geschichte bei Bedarf über Bord zu schmeißen und den Sicherheitsapparat in einen noch eskalativeren Modus zu bringen.
In dieser Stimmung wäre es dann auch nicht mehr verwunderlich, wenn früher oder später nicht mit Kanonen auf Spatzen, aber mit Kriegswaffen auf Amokläufer_innen, vermeintliche Straftäter_innen, psychisch Kranke, Störenfriede und Verdächtige geschossen werden würde, also auf all diejenigen,die es wagen, die angestrebte Ruhe und Ordnung zu durchbrechen.
Noch vor einem solchen Vorfall wirkt allerdings die Abschreckung, dass der Staat sich für alle Fälle rüstet und bereit ist, die Panzer aus Afghanistan auch durch Aachen oder Augsburg rollen zu lassen.
Anmerkungen
[1] Klaus Boullion, Bundespressekonferenz, 09.03.2017, Minute 13 bis 14, abrufbar als Audiomitschnitt über augengeradeaus.net
[2] Bundesverfassungsgericht, – 2 PbvU 1/11 – , 03.07.2012, bundesverfassungsgericht.de
[3] Aktueller Begriff – Die Verwendung der Bundeswehr im Inneren, Wissenschaftliche Dienste – Deutscher Bundestag, Nr.20/16, 30.08.2016
[4] Martin Kirsch, Bundeswehr in den Straßen? – Einschätzungen zur aktuellen Debatte um Bundeswehreinsätze zur Terrorabwehr in Deutschland, IMI-Analyse 2016/33b – in: AUSDRUCK (Oktober 2016)
[5] Martin Kirsch, Bundeswehr in den Straßen?
[6] Boullion und von der Leyen, in Bundespressekonferenz, 09.03.2017
[7] Ursula von der Leyen, Bundespressekonferenz, 09.03.2017, Minute 7
[8] Michael Haid, Die Bundeswehr im Inneren nach dem Urteil des Bundesverfasungsgerichts, Informationsstelle Militarisierung, Ausdruck Dezember 6/2012, S. 7-10
[9] Abweichende Meinung des Richters Gaier zum Plenarbeschluss vom 3. Juli 2012 – 2 PbvU 1/11 -, bundesverfassungsgericht.de
[10] Alexander Poretschkin, Grundgesetz und Terrorbekämpfung durch die Bundeswehr, Newsletter Verteidigung. Streitkräfte. Wehrtechnik, Nr. 178, 29.03.2017, S.2
[11] Björn Müller, NDR Info – Streitkräfte und Strategien, 25.02.2017
[12] Deutscher BundeswehrVerband, Polizei und Bundeswehr trainieren zusammen für Terror-Ernstfall, 20.01.2017, dbwv.de
[13] Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten Schleswig-Holstein, Gemeinsame Übung von Polizei und Bundeswehr in Schleswig-Holstein erfolgreich abgeschlossen, 09.03.2017
[14] Joachim Hagen, NDR Info – Streitkräfte und Strategien, 11.03.2017
[15] Ursula von der Leyen, Bundespressekonferenz, 09.03.2017, Minute 7 bis 8
[16] Ursula von der Leyen, Bundespressekonferenz, 09.03.2017, Minute 9 bis 10
[17] Ursula von der Leyen, Bundespressekonferenz, 09.03.2017, Minute 30 und 42
[18] Ulrich Mäurer, Bundespressekonferenz, 09.03.2017, Minute 11
[19] Deutscher BundeswehrVerband, Polizei und Bundeswehr trainieren zusammen für Terror-Ernstfall, 20.01.2017, dbwv.de und Christian Unger, Bund und Länder machen mit Terror-Übung auch Symbolpolitik, WAZ, 08.03.2017, waz.de
[20] Thomas de Maizière, Bundespressekonferenz, 09.03.2017, Minute 20 bis 21
[21] Axt-Angreifer kommt in psychatrische Klinik, WDR, 10.03.17, wdr.de
[22] Anschlag in Essen vereitelt – Festnahmen in Oberhausen, WDR, 11.03.2017, wdr.de und Anschlagspläne: Zweiter Festgenommener wieder frei, WDR, 13.03.2017, wdr.de
[23] Drohung gegen Offenburger Disko – Ermittler: Keine Anschlagsgefahr, SWR – AKTUELL, 14.03.2017, swr.de
[24] Siehe Artikel zur Militarisierung der Polizei in diesem Ausdruck.
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