Der
60. Jahrestag der Römischen Verträge am 25. März hat erneut die
Unfähigkeit der Regierungschefs Europas bestätigt, auch nur die
Prämissen der europäischen Einigung kritisch zu überdenken. Anstatt in
der heutigen Krisensituation zu benennen, was ursächlich und sukzessive
zu dem bedrohlichen Zustand Europas geführt hat, und endlich Abhilfe zu
schaffen, listet das Anfang März von EU-Kommissions-Präsident
Jean-Claude Juncker vorgelegte Weißbuch fünf nebulöse hypothetische
Zukunftsszenarien auf, die zwischen »Weiter so«- und »Jeder für
sich«-Perspektiven schwanken bis hin zur Vision einer umfassenden
Wirtschaftseinheit EU. Es geht dabei immer nur um mehr oder weniger EU, aber nirgends um ein strukturell anderes
Europa! Das ist offenbar von den europäischen Eliten auch nicht zu
erwarten. Die neue, nun in Rom unterzeichnete Erklärung verweist im
institutionellen Neusprech lediglich auf ein Europa der »zwei
Geschwindigkeiten«. Und im Vordergrund ihrer Überlegungen stehen
Sicherheitsprobleme und Aufrüstung – will man wirklich damit der
abnehmenden Bedeutung Europas in der Weltwirtschaft beikommen? Und den
nationalistischen »Roll back«-Tendenzen?
Vor 60 Jahren sollten – laut der ideologischen Überhöhung des 1957 zur EWG avancierten Kartells kerneuropäischer Kapitalinteressen – endlich Demokratie und dauerhafter Frieden auf dem seit Jahrhunderten kriegsgeplagten Kontinent garantiert werden. Dieses Ziel ist seitdem immer wiederholt worden, und viele glauben noch daran. Auch Juncker zitiert in seinem Weißbuch wieder das Manifest von Ventotene, in dem allerdings die italienischen Antifaschisten um Altiero Spinelli und Ernesto Rossi noch in ihrem Exil, 1941, auf der pontinischen Insel Ventotene die Prämissen für ein ganz anderes – nämlich ein »föderales und sozialistisches« – Europa erdacht hatten. Doch von einem solchen war schon 1957 in den Römischen Verträgen keine Spur mehr zu finden, weshalb die Föderalisten eben an jenem fernen 25. März bei der Unterzeichnung der Verträge (EWG und Euratom) im Senatssaal auf dem römischen Kapitol Protest-Flugblätter flattern ließen. Hat jemand in der großen Presse heute daran erinnert?
Im Angesicht der volksfernen EU-Festakte haben sich auch viele junge und alte Europäer in Rom versammelt, die versuchen, den Begriff eines »anderen Europa« mit konkreten Inhalten zu füllen und vor allem das der EU zugrunde liegende demokratische Defizit zu beheben, als Voraussetzung für strukturelle Veränderungen. Der Kampf für eine Überwindung der Massenarbeitslosigkeit in der EU mittels eines New Deal erfordert allerdings den Aufbau einer linken Massenbewegung von unten (so unter anderem Transform/Diem25), nicht nur eine Veränderung des politischen Gleichgewichts bei den nächsten Europawahlen, die unter anderem von den europäischen Grünen als Chance zu einem Umbau gesehen werden.
Einige sich noch als »links« bezeichnende Politiker Europas haben ja inzwischen mit Krokodilstränen das Anwachsen der Ungerechtigkeit, der sozialen Spaltung nicht nur zwischen den EU-Staaten, sondern auch innerhalb der Nationalstaaten entdeckt. Dagegen wollen sie nun angehen, um das Feld nicht den sogenannten rechten »Populisten« zu überlassen, die inzwischen in fast ganz Europa auch mit sozialen »linken« Sprüchen erfolgreich dort auf Stimmenfang gehen, wo die historische Linke die Interessen der abhängig Arbeitenden nicht mehr vertritt. Das ist, mit den gegebenen nationalen Differenzen, in der gesamten EU seit langem der Fall. Nicht nur Marine Le Pen bietet in Frankreich reiches Anschauungsmaterial dafür.
Doch das Anwachsen der Rechten allein auf die Schwäche der Linken zurückzuführen, greift meines Erachtens zu kurz. Blickt man zurück, so war es zum Beispiel in den 1920er Jahren in Deutschland gerade die Stärke der Kommunisten, die das Kapital zur Unterstützung der Nazi-Faschisten veranlasste. Inzwischen gibt es keine angsteinflößende Sowjetmacht mehr, das neoliberale Credo an die beste aller möglichen Welten hat (fast) alle traditionellen Parteien durchdrungen, und das Kapital kann sich in den europäischen Kernländern seit längerem gerade auf die Sozialdemokratie stützen. Die schickt sich bisher nur an, sozialkosmetische Verbesserungen vorzuschlagen und vielleicht hier oder da auch durchzusetzen. Dennoch haben die Eliten die extreme Rechte auch nach dem letzten Weltkrieg aus gutem Grund immer am Leben gehalten. Die nutzen nun erneut die Gunst der Stunde, das heißt die Wirtschaftskrise, um die Schwächung des Faktors Arbeit zu unterstützen und den Unmut der Betroffenen darüber auf neue Sündenböcke umzuleiten: heute auf die Fremden, die Flüchtlinge aus dem Rest der Welt. Das ist eine historisch bewährte Methode, deren Mechanismen eine Linke bekämpfen muss, anstatt sich ihr anzupassen.
Das Versagen der historischen Linken beruht im Bewusstsein vieler ihrer einstigen Anhänger vor allem auf dem Fehlen einer realistischen ökonomischen Alternative angesichts der globalen Verabsolutierung der Kapitalinteressen. Widerstand dagegen scheint höchstens noch punktuell möglich, aber nicht mehr im Großen politisch erfolgreich sein zu können, nachdem man nach 1989 das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Wie schwierig es ist, eine solche Alternative unter den Bedingungen inzwischen stark beschädigter nationaler Wirtschafts- und Politstrukturen wieder zu entwickeln, sieht man deutlich nicht nur in Griechenland, sondern zunehmend auch in Italien.
Hier kollidiert die Existenz und Verteidigung der noch staatsinterventionistisch geprägten Verfassung Italiens, die aus der Resistenza-Übereinkunft zwischen Christdemokraten und Kommunisten entstanden war, mit der Realität der neoliberalen europäischen Verträge – zumindest seit Maastricht –, was zu großen ökonomischen und politischen Verwerfungen geführt hat. Diese sind sicher nicht nur allein »Europa« zuzuschreiben. Entscheidend aber ist, dass dieses vereinte Europa in den vergangenen 60 Jahren die bestehenden nationalen Unterschiede nicht abgetragen oder verringert (wie es die Römischen Verträge 1957 »binnen zwölf Jahren« in Aussicht gestellt hatten!), sondern sie ökonomisch ausgenutzt und verschärft hat – zugunsten eben jenes deutsch-zentrierten Kerneuropas, das jetzt nach dem Wunsch der Regierenden wieder wie ein Phönix aus der Asche aufsteigen soll.
Vor 60 Jahren sollten – laut der ideologischen Überhöhung des 1957 zur EWG avancierten Kartells kerneuropäischer Kapitalinteressen – endlich Demokratie und dauerhafter Frieden auf dem seit Jahrhunderten kriegsgeplagten Kontinent garantiert werden. Dieses Ziel ist seitdem immer wiederholt worden, und viele glauben noch daran. Auch Juncker zitiert in seinem Weißbuch wieder das Manifest von Ventotene, in dem allerdings die italienischen Antifaschisten um Altiero Spinelli und Ernesto Rossi noch in ihrem Exil, 1941, auf der pontinischen Insel Ventotene die Prämissen für ein ganz anderes – nämlich ein »föderales und sozialistisches« – Europa erdacht hatten. Doch von einem solchen war schon 1957 in den Römischen Verträgen keine Spur mehr zu finden, weshalb die Föderalisten eben an jenem fernen 25. März bei der Unterzeichnung der Verträge (EWG und Euratom) im Senatssaal auf dem römischen Kapitol Protest-Flugblätter flattern ließen. Hat jemand in der großen Presse heute daran erinnert?
Im Angesicht der volksfernen EU-Festakte haben sich auch viele junge und alte Europäer in Rom versammelt, die versuchen, den Begriff eines »anderen Europa« mit konkreten Inhalten zu füllen und vor allem das der EU zugrunde liegende demokratische Defizit zu beheben, als Voraussetzung für strukturelle Veränderungen. Der Kampf für eine Überwindung der Massenarbeitslosigkeit in der EU mittels eines New Deal erfordert allerdings den Aufbau einer linken Massenbewegung von unten (so unter anderem Transform/Diem25), nicht nur eine Veränderung des politischen Gleichgewichts bei den nächsten Europawahlen, die unter anderem von den europäischen Grünen als Chance zu einem Umbau gesehen werden.
Einige sich noch als »links« bezeichnende Politiker Europas haben ja inzwischen mit Krokodilstränen das Anwachsen der Ungerechtigkeit, der sozialen Spaltung nicht nur zwischen den EU-Staaten, sondern auch innerhalb der Nationalstaaten entdeckt. Dagegen wollen sie nun angehen, um das Feld nicht den sogenannten rechten »Populisten« zu überlassen, die inzwischen in fast ganz Europa auch mit sozialen »linken« Sprüchen erfolgreich dort auf Stimmenfang gehen, wo die historische Linke die Interessen der abhängig Arbeitenden nicht mehr vertritt. Das ist, mit den gegebenen nationalen Differenzen, in der gesamten EU seit langem der Fall. Nicht nur Marine Le Pen bietet in Frankreich reiches Anschauungsmaterial dafür.
Doch das Anwachsen der Rechten allein auf die Schwäche der Linken zurückzuführen, greift meines Erachtens zu kurz. Blickt man zurück, so war es zum Beispiel in den 1920er Jahren in Deutschland gerade die Stärke der Kommunisten, die das Kapital zur Unterstützung der Nazi-Faschisten veranlasste. Inzwischen gibt es keine angsteinflößende Sowjetmacht mehr, das neoliberale Credo an die beste aller möglichen Welten hat (fast) alle traditionellen Parteien durchdrungen, und das Kapital kann sich in den europäischen Kernländern seit längerem gerade auf die Sozialdemokratie stützen. Die schickt sich bisher nur an, sozialkosmetische Verbesserungen vorzuschlagen und vielleicht hier oder da auch durchzusetzen. Dennoch haben die Eliten die extreme Rechte auch nach dem letzten Weltkrieg aus gutem Grund immer am Leben gehalten. Die nutzen nun erneut die Gunst der Stunde, das heißt die Wirtschaftskrise, um die Schwächung des Faktors Arbeit zu unterstützen und den Unmut der Betroffenen darüber auf neue Sündenböcke umzuleiten: heute auf die Fremden, die Flüchtlinge aus dem Rest der Welt. Das ist eine historisch bewährte Methode, deren Mechanismen eine Linke bekämpfen muss, anstatt sich ihr anzupassen.
Das Versagen der historischen Linken beruht im Bewusstsein vieler ihrer einstigen Anhänger vor allem auf dem Fehlen einer realistischen ökonomischen Alternative angesichts der globalen Verabsolutierung der Kapitalinteressen. Widerstand dagegen scheint höchstens noch punktuell möglich, aber nicht mehr im Großen politisch erfolgreich sein zu können, nachdem man nach 1989 das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Wie schwierig es ist, eine solche Alternative unter den Bedingungen inzwischen stark beschädigter nationaler Wirtschafts- und Politstrukturen wieder zu entwickeln, sieht man deutlich nicht nur in Griechenland, sondern zunehmend auch in Italien.
Hier kollidiert die Existenz und Verteidigung der noch staatsinterventionistisch geprägten Verfassung Italiens, die aus der Resistenza-Übereinkunft zwischen Christdemokraten und Kommunisten entstanden war, mit der Realität der neoliberalen europäischen Verträge – zumindest seit Maastricht –, was zu großen ökonomischen und politischen Verwerfungen geführt hat. Diese sind sicher nicht nur allein »Europa« zuzuschreiben. Entscheidend aber ist, dass dieses vereinte Europa in den vergangenen 60 Jahren die bestehenden nationalen Unterschiede nicht abgetragen oder verringert (wie es die Römischen Verträge 1957 »binnen zwölf Jahren« in Aussicht gestellt hatten!), sondern sie ökonomisch ausgenutzt und verschärft hat – zugunsten eben jenes deutsch-zentrierten Kerneuropas, das jetzt nach dem Wunsch der Regierenden wieder wie ein Phönix aus der Asche aufsteigen soll.
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