Mittwoch, 21. Mai 2014
Ukraine-Konflikt: Brüsseler Offensive gegen Moskau
IMI-Analyse 2014/017
von: Martin Hantke | Veröffentlicht am: 8. Mai 2014
Beim nachfolgenden Text handelt es sich um eine leicht erweiterte Version eines Artikels, der im Friedensjournal 3-2014 erschien.
Kurz nach dem 1. Mai 2014 begann die militärische Offensive in der Ostukraine. Ermutigt von den USA, der EU und der Bundesregierung begannen ukrainische Truppen unterstützt von Militärhubschraubern, Panzern und Artillerie ihre Angriffe auf von föderalistischen Rebellen gehaltene Städte. Zusätzlich sollen Milizen der faschistischen Organisation Rechter Sektor, die neben der rechtsextremistischen Partei Swoboda über Einzelpersonen auch an der ukrainischen Putschregierung beteiligt ist, an den Attacken beteiligt sein. Am 2. Mai wurden über 40 Menschen – Linke, Kommunisten und Gewerkschafter – in Odessa durch eine Brandschatzung des Gewerkschaftshauses durch Angehörige des „Rechten Sektors“ ermordet.
Diese Serie von Übergriffen ist der vorläufige Höhepunkt einer Eskalation der EU jenseits ihrer Ostgrenzen. Die Kiewer Regierung, die am Tropf von EU- und IWF-Finanzhilfen hängt, hätte diesen Schritt nicht ohne Einwilligung oder ein einvernehmendes Stillschweigen Washingtons, Berlins oder Brüssels gewagt. Zum Massaker von Odessa schweigen Bundesregierung, NATO und EU beharrlich. Eine Verurteilung sucht man vergebens. Vielmehr hat man sich offenbar auf die Sprachregelung einer beklagenswerten „Tragödie“ geeinigt. In westlichen Staatsmedien ist von einem in Brand geratenen Gebäude die Rede.
Oft wurde im Hinblick auf eine Eskalation gegenüber Russland der Blick lediglich auf die NATO gerichtet. Sicherlich, die gebrochenen Versprechen der NATO sind Teil der Zuspitzung. Als Stichworte seien hier nur genannt: Die Erweiterung der NATO bis an die russische Grenze nach 1989, das atomare Aufrüstungsprojekt Raketenschild, das sich angeblich gegen den Iran richten würde, und der Versuch, Georgien und die Ukraine als geopolitische Frontstaaten gegen Russland zu etablieren. Die EU aber war von Anfang an in diese Politik eines neuen Kalten Krieges mit eingebunden. So ging die Militarisierung der EU Hand in Hand, auch im Rahmen einer immer engeren EU-NATO-Zusammenarbeit, mit einer gefährlichen Machtpolitik gegenüber Russland einher, mit dem Ziel der Ausweitung der EU-Interessensphäre auf dem Balkan und nach Osten. Politische und militärische Instrumente ergänzten und ergänzen sich dabei.
NATO als Speerspitze für EU-Erweiterung
So kann die Geschichte der EU-Erweiterungen nicht ohne die der Ausdehnung der NATO geschrieben werden. Die Zustimmung zum Beitritt zur NATO wurde implizit verknüpft mit einer Beitrittsperspektive für die Europäische Union. Von Seiten der USA wurde dies mitunter offen ausgesprochen. Die EU-Verantwortlichen taten sich hier immer schwerer. Den jeweiligen Beitritten war dann noch jeweils eine Mitgliedschaft in der NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP) vorgeschaltet, eine Art „NATO-Light“-Mitgliedschaft. Bis auf Zypern, das sich auch nach der Ablösung seines kommunistischen Präsidenten bisher weigert, aufgrund der Besetzung eines Drittels seines Territoriums durch das NATO-Mitglied Türkei der PfP beizutreten, war das Szenario jedes Mal dasselbe. Erst die NATO, dann die EU, mit dieser Perspektive konnten auch viele kritische Stimmen in den jeweiligen Ländern zum Schweigen gebracht werden. Denn wer wollte denn schon gegen eine europäische Richtung aufstehen, die Ausreisefreiheit gen Westen und für die Eliten Zugang zum EU-Binnenmarkt plus Finanzhilfen im Rahmen der EU-Struktur- und Regionalpolitik verhieß.
Zum Westen durch „Östliche Partnerschaft“
Mit dieser Strategie konnte ein Land nach dem anderen, das früher blockfrei war, dem Warschauer Vertrag angehörte oder Teilrepublik der Sowjetunion war, an den NATO-EU-Block angeschlossen werden. Dabei kam es zu einer regelrechten Einkreisung Russlands. Im letzten Herbst sollten mit der Intensivierung der „Östlichen Partnerschaft“ der EU die letzten Länder im Einflussbereich Russlands bzw. Staaten, die eine Brücke zwischen Ost und West bilden, an den expansiven Westblock angeschlossen werden. Georgien und Moldawien unterschrieben noch auf dem Gipfel von Vilnius die Freihandels- und Visafreiheits-Abkommen. Armenien und Aserbaidschan zögerten noch wegen des Konflikts um die Enklave Nagorny-Karabach, die Ukraine zog in letzter Minute ihre Zustimmung zum EU-Assoziierungsabkommen zurück. Einzig Weißrussland zeigte sich unempfänglich gegenüber den Sirenengesängen Brüssels.
In der Folge entfaltete die EU insbesondere auf die Ukraine und den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch einen ungeheuren Druck. Der Ukraine wurde schlicht das Recht, eigenverantwortlich einen völkerrechtlichen Vertrag zu unterschreiben, abgesprochen. Bedingungslos unterstützte Brüssel eine Bewegung, die sich an der Unterschriftsverweigerung entzündet hatte, in der sich allerdings viele andere Elemente mit hineinmischten. So richteten sich immer größere Teile der Bewegung auf dem Kiewer Maidan auf einen Kulturkampf gegen zu viel russischen Einfluss aus. Bei diesem Kulturkampf blieb nicht aus, dass sich auf braune Traditionen einer nationalistischen Bewegung für eine völkische Konstruktion der Ukraine gegen Russland besonnen bzw. diese aktiviert wurde. EU-Verantwortliche standen in der ersten Reihe, wo es galt, diesen Kulturkampf zu befördern. So traf sich der EU-Botschafter in Kiev auch mit Vertretern der faschistischen Swoboda-Partei und wertete sie somit als internationale Verhandlungspartner auf. Es scheint keine Spekulation, zu behaupten, dass durch diese Aufwertung die EU der Swoboda den Weg in die Putschregierung nach dem Sturz von Janukowitsch ebnete.
EU-Assoziierungsabkommen im Eiltempo
Um die Ukraine nach bewährtem Muster ins westliche Lager zu holen, wurde nur wenige Wochen nach dem Putsch der politische Teil des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens in Brüssel unterschrieben. Eine Unterzeichnung auch des ökonomischen Teils wäre zum jetzigen Zeitpunkt nur wenig opportun gewesen, droht hierdurch doch ein Ende oder zumindest ein drastischer Einbruch der ukrainischen Exporte nach Russland, insbesondere auch im Bereich der Schwer- und Rüstungsindustrie. Dies hätte die schwierige wirtschaftliche Lage der Ukraine, die sich nur kurzfristig durch die IWF- und EU-Kreditzusagen noch über Wasser hält, massiv verschärft. Der politische Teil allerdings ist nicht weniger brisant. Beinhaltet er doch einen Anschluss der Ukraine in allen außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen an den EU-Block. Eine Vielzahl der gemeinsamen Vereinbarungen bezieht sich so auch auf die Mitarbeit der Ukraine bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), wie bei der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU. Künftig wird der Nachvollzug außenpolitischer Erklärungen der EU durch die illegitime ukrainische Regierung nur wenige Sekunden betragen. Zusätzlich wird eine Beteiligung der Ukraine an GSVP-Missionen befördert. Nicht zuletzt soll die Ukraine selbst aber zum Einsatzraum von GSVP-Missionen zur Stabilisierung der Sicherheitsorgane von Militär, Milizen und Polizei werden. Eine entsprechende GSVP-Mission wurde mit Kiew kurzfristig vereinbart. Bereits ab 1. Juni 2014 sollen EU-Militärausbilder Polizei und Milizen auf Vordermann bringen. Der Vorteil für den Westen ist, dass die NATO nicht direkt beteiligt ist, aber de facto eine sicherheitspolitische Unterstützung durch EU-NATO-Strukturen unter dem blaugelben Sternenbanner erfolgen kann.
Krisenzuspitzung seit 2008
Man kann diese EU-Militarisierung, die sich wie im Falle der Ukraine auch gegen Russland richtet, nicht verstehen, ohne sich die Krise des Kapitalismus in der EU genau anzusehen. Gerade seit der Zuspitzung der Krise 2008/2009, aber erst recht seit ihrer Transformation zur „Eurokrise“ 2011, gewinnt die Militarisierung der EU in den Eliten unter den EU-Mitgliedsstaaten immer mehr Anhänger. Deutschland als mitunter einziges größeres EU-Land, das auch in dieser Krise auf eine Erhörung seiner Militärausgaben setzt, hat daran ein besonderes Interesse.
Was als EU-Militärstrukturen sich herausbildet, sind allein aufgrund der Bereitstellungsfähigkeit de facto nationalstaatliche Strukturen, die hegemonial gerade gegenüber kleineren und mittleren EU-Mitgliedstaaten unter der Flagge Brüssels segeln. Die im Vertrag von Lissabon verankerte strukturierte Zusammenarbeit sowie die Realität der Battle Groups bilden diese Hegemonialstrukturen der großen drei Mitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien vortrefflich ab. Sie sind es auch in der Regel, die Finanzen und Soldaten für die zahlreichen GSVP-Missionen im Norden Afrikas, von Mali bis Somalia, zur Verfügung stellen.
Dazu kommt, dass EU-Länder, die sich unter den so genannten Rettungsschirm begeben mussten, weil sie sich nicht mehr an den Finanzmärkten zu erträglichen Zinsen Geld besorgen konnten, de facto ihre Souveränität über detaillierte Memoranden, die nahezu alle wichtigen Aspekte von der Wirtschafts- bis zur Beschäftigungspolitik regeln, abgegeben haben. Dementsprechend wird die Stimme Berlins im EU-Rat immer stärker. Ziel ist es einen imperialen Block EU auszubauen, der vornehmlich deutsche Kapitalinteressen bedient.
Feindbild Russland mit Sanktionsspirale
Bei diesem Prozess tauchen selbstverständlich auch Widersprüche auf. So ist ein Teil des deutschen Kapitals, insbesondere vertreten vom Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft, weiterhin für die Möglichkeit einer Ausweitung des Kapitalexports in Richtung Russland. Für die jeweiligen Unternehmen, gerade im Bereich der Chemieindustrie, war diese Ausweitung in den letzten Jahren äußerst erfolgreich. Wer allerdings meint, dass sich dieser Teil der deutschen Industrie trotz gewichtiger Partner in der Politik durchsetzen wird, könnte sich bitter getäuscht sehen. Zu schwer wiegt das gesamt-imperialistische Interesse einer Schwächung Russlands und damit auch einer Einhegung Chinas.
Sanktionen der EU als integraler Teil von GASP und GSVP sind in den letzten Jahren zu einem immer mehr ausgefeilten und ausgebauten außenpolitischen Instrument Brüssels geworden. Sie sind zudem ein Eskalationsverstärker. Schaut man sich die lange EU-Sanktionsliste an, so muss man von einer eigenen Achse des Bösen sprechen, die Brüssel qua der Verhängung restriktiver Maßnahmen ausgemacht hat. Die gegen Russland verhängten Sanktionen, die vornehmlich darauf zielen ein Feindbild zu konstruieren und die sich verschärfenden Widersprüche im eigenen Block zu glätten, sind dazu angetan in wirklichen Wirtschaftssanktionen zu münden. Nur eine völlige Aufgabe eigener Interessen Moskaus könnte die EU davon abhalten, die Sanktionsspirale auszusetzen. Es ist aber kaum anzunehmen, dass Moskau dem Angriff der Kiewer Milizen auf die ostukrainischen Städte auf die Dauer tatenlos zusehen wird. Dies wiederum könnte Teil eines Kalküls im Westen sein, um Russland dauerhaft zu isolieren.
Die Sanktionsbegründungen scheinen nachgeordnet, wenn es um die Eskalationslegitimationen geht, auch wenn sie vehement von privaten wie auch von Staatsmedien propagandistisch aufbereitet werden. So wurde nicht sehr viel Mühe aufgewandt, um die Anerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo durch die meisten EU- und NATO-Staaten, gerade angesichts der einseitigen Anerkennung des Beitritts der Krim durch Russland, erneut zu rechtfertigen. Während politische Gewalt auf dem Euromaidan als legitimes Mittel einer Freiheitsbewegung zum Sturz eines autokratischen Regimes erscheint, wird politische Gewalt zur Durchsetzung politischer Selbstbestimmung im Osten der Ukraine als Terror einer ausschließlich von Russland gesteuerten und bezahlten Bewegung diffamiert.
Der Charakter nicht nur der internationalen Politik der EU, sondern auch der EU selbst, zeigt sich daran, Putsch-Regierungen wie in der Ukraine blindlings anzuerkennen. In diesem Fall wird nicht nur die Regierungsbeteiligung von Faschisten hingenommen, sondern es werden für diese auch Milliarden Euro an Finanzhilfen zur Verfügung gestellt und trotz deren Beharrens auf militärische Lösungen auch noch Militärberater im Rahmen einer GSVP-Mission bereitgestellt. Die EU angesichts dieses Tabubruchs militaristisch, neoliberal und wenig demokratisch zu nennen, käme einer Beschönigung gleich. Die EU-Außenpolitik ist insbesondere mit ihrer Eskalation gegenüber Russland gerade dabei, neben der NATO zum größten Hindernis für den Frieden in Europa zu werden. Der Widerstand gegen die EU-Militarisierung wird dies künftig ins Kalkül einbeziehen müssen.
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