Mittwoch, 21. Mai 2014

Die Restauration der Oligarchen (II)

BERLIN/KIEW german-foreign-policy vom 15.05.2014 – Bei ihren Bemühungen zur Stabilisierung des Kiewer Umsturzregimes intensiviert die Bundesregierung ihre Kontakte zu den ukrainischen Oligarchen. Bereits am Dienstag ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit mit dem Multimilliardär Rinat Achmetow zusammengetroffen. Ziel ist es, die Regimegegner im Osten des Landes zu bezwingen und so die südöstliche Industrieregion Donbass wieder unter Kontrolle zu bekommen. Eine wichtige Rolle dabei spielt der Milliardär Ihor Kolomojskij, der mit seiner „Privatbank“, der größten Geschäftsbank des Landes, sowie der „Privat Group“ zu den einflussreichsten Ukrainern gehört. Kolomojskij, dem außerordentliche Aggressivität nachgesagt wird, ist vom Kiewer Umsturzregime bereits im März zum Gouverneur von Dnipropetrowsk ernannt worden; von dort aus unterstützt er Milizen, die im äußersten Osten der Ukraine gegen die Regimegegner kämpfen, darunter ein Freikorps, das vom faschistischen „Prawij Sektor“ („Rechter Sektor“) gegründet wurde. Die Bemühungen Berlins und Washingtons, die Ukraine an den Westen zu binden, führen damit nicht nur zur Konsolidierung der im Land weithin verhassten Oligarchen, sondern auch zur Stärkung paramilitärischer Freikorpsverbände – und womöglich in den Beginn eines Bürgerkriegs. Das ursprüngliche Ziel des Majdan Bereits die Konsolidierung der ukrainischen Oligarchen in Kooperation mit dem Westen ist bemerkenswert – nicht nur, weil auch Berlin sich dadurch immer enger an antidemokratische, rechtsstaatliche Prinzipien missachtende Kräfte bindet. Sie wiegt auch deshalb schwer, weil sie das ursprüngliche Ziel der Proteste auf dem Majdan, die Ukraine von den dunklen Machenschaften der Oligarchen zu befreien, offen konterkariert. Deutlich wird dies etwa an der Neu-Inthronisierung des Milliardärs Ihor Kolomojskij in seiner Heimatregion Dnipropetrowsk – unter westlicher Hegemonie. Aggressivität als Geschäftskonzept Ihor Kolomojskij gilt – je nach Schätzung – als der gegenwärtig zweit- oder drittreichste Oligarch der Ukraine. Dreh- und Angelpunkt seines Konzernimperiums ist die „Privatbank“ mit Sitz in Dnipropetrowsk, die er gemeinsam mit seinem Milliardärskollegen Henadij Boholjubow kontrolliert. Die „Privatbank“ ist die größte Geschäftsbank der Ukraine. Um sie herum gruppiert sich die „Privat Group“, der zweitgrößte Firmenkomplex des Landes, mit dem Kolomojskij in der Erdöl- und der Energiebranche, im Bergbau und auf dem Mediensektor tätig ist. Unter anderem habe er bestimmenden Einfluss auf Ukrnafta, den größten Erdöl- und Erdgasproduzenten des Landes, heißt es in Fachanalysen.[1] Kolomojskij ist in der Ukraine – und in Wirtschaftskreisen auch außerhalb des Landes – für seine selbst im Vergleich zu anderen Oligarchen rüden Geschäftspraktiken bekannt. Kürzlich scheiterte er in London mit dem Versuch, mit als – vorsichtig – unorthodox eingestuften Methoden die an der dortigen Börse notierte „JKX Oil and Gas“ zu übernehmen, eine Firma, die in der ukrainischen Gasbranche tätig ist. Gegenwärtig legt er sich mit einer großen Schweizer Firma an, deren Vertreter sich über dubiose Praktiken ukrainischer Gerichte in ihrem Prozess gegen Kolomojskij beklagten.[2] Experten berichten, zweimal seien gegen den Mann sogar Ermittlungen wegen Auftragsmorden eingeleitet worden.[3] „Aggressivität“, heißt es bestätigend aus seinem persönlichen Umfeld, gehöre durchaus zu seinem „Geschäftskonzept“.[4] Zuverlässig antirussisch Bereits am 2. März hat das Kiewer Umsturzregime Kolomojskij zum Gouverneur der Oblast Dnipropetrowsk ernannt. Aus der Perspektive der zentral gelegenen Hauptstadt ist Dnipropetrowsk die letzte Metropole vor dem ostukrainischen Donbass und quasi als vorgeschobener Posten für Einsätze gegen die dort dominierenden Regimegegner von hoher Bedeutung. Kolomojskij gilt in Kiew als zuverlässiger Kandidat, um Dnipropetrowsk abzusichern und von dort aus Vorstöße in Richtung Osten zu organisieren, weil sein Geschäft, wie Beobachter feststellen, „weniger als das anderer Magnaten mit der russischen Wirtschaft verwoben, seine Interessen … besonders klar mit der Existenz der Ukraine verbunden“ seien.[5] Experten sind sich sicher, dass Kolomojskij bereits im Wahlkampf 2012 unter der Hand die Partei UDAR von Witali Klitschko unterstützte, um den Einfluss Moskaus in Kiew zu schwächen.[6] In der Tat ist der Milliardär nach seiner Ernennung zum Gouverneur rasch dazu übergegangen, nicht nur die desolate ukrainische Armee auszurüsten, wobei über die Profitabilität dieser Aktivität divergierende Angaben vorliegen. Während einerseits berichtet wird, Kolomojskij stecke Millionen in das Projekt, heißt es andererseits, er habe zwar der Armee etwa Diesel im Wert von fünf Millionen US-Dollar spendiert, ihr zugleich jedoch Treibstoff für beinahe 200 Millionen US-Dollar verkauft – zu Marktpreisen, also gewinnbringend.[7] Kopfgeld Vor allem aber finanziert und befeuert Kolomojskij den irregulären bewaffneten Kampf gegen ostukrainische Regimegegner. Bereits Mitte April wurde berichtet, er habe ein „Kopfgeld“ auf „russische Saboteure“ ausgesetzt: Wer einen angeblichen „Saboteur“ gefangennehme, erhalte dafür 10.000 US-Dollar. Wer einem „Saboteur“ Waffen abnehme, werde ebenfalls bezahlt – mit 1.000 US-Dollar für ein Maschinengewehr, 1.500 US-Dollar für ein schweres Maschinengewehr und 2.000 US-Dollar für einen Granatwerfer. Kolomojskij hatte darüber hinaus Kämpfern der soeben erst gegründeten „Nationalgarde“, die Mitte April in Mariupol Regimegegner attackiert und dabei drei Demonstranten erschossen hatten, für ihren Einsatz eine Summe von etwa 45.000 US-Dollar in Aussicht gestellt.[8] Kürzlich hieß es, loyale Milizionäre hätten im Kampf gegen Regimegegner Geldtransporter von Kolomojskijs „Privatbank“ nutzen dürfen, die sie provisorisch zu Panzerwagen umfunktioniert hätten.[9] Gegenreaktionen bleiben nicht aus. So hat die „Privatbank“ vor rund zehn Tagen ihre Filialen in Donezk und Luhansk schließen müssen; zuvor waren binnen kurzer Zeit 24 Zweigstellen, 38 Geldautomaten und elf Geldtransporter des Kreditinstituts angegriffen worden – offenkundig Reaktionen auf Kolomojskijs neue Rolle als Finanzier regimetreuer Milizen.[10] „Bürgerwehren“ Dabei reicht Kolomojskijs Rolle weit über einzelne Unterstützungsmaßnahmen hinaus. Während Berlin offiziell vorgibt, die Entwaffnung irregulärer Einheiten aller Konfliktparteien zu fordern, ist der auf Seiten des Westens kämpfende Dnipropetrowsker Oligarch – ohne dass es Proteste aus der Bundesrepublik gäbe – bereits seit April damit befasst, freikorpsähnliche Verbände aufzubauen. Am 13. April verfügte Innenminister Arsen Awakow in Kiew einen Erlass, dem zufolge „Bürgerwehren“ einen legalen Status genießen. Kurz darauf kündigte Kolomojskij an, eine Sonderheit mit dem Namen „Dnipro“ aufzustellen. Die Einheit soll mittlerweile über rund 1.000 Milizionäre verfügen, die eine Kurzausbildung im Gebrauch von Schusswaffen, in medizinischer Soforthilfe und – so heißt es – in rechtlichen Fragen durchlaufen hätten. Alle drei Tage schlössen rund 60 Kämpfer die Kurzausbildung ab und könnten in die Sondereinheit übernommen werden; auf den Bewerberlisten stehe eine fünfstellige Zahl an Interessenten.[11] „Dnipro“ hat inzwischen offenbar erste Einsätze absolviert. Jedenfalls wird berichtet, die Miliz habe zwei Kämpfer in Mariupol verloren, wo es letzten Freitag zu einem Massaker an Regimegegnern kam. Am Sonntag soll sie außerdem versucht haben, das Referendum über die Abspaltung von Teilen der Ostukraine zu verhindern.[12] Dabei töteten ihre Kämpfer laut Berichten in Krasnoarmijsk einen Regimegegner, weitere wurden verletzt. Freikorps und Faschisten „Dnipro“ ist nicht die einzige Miliz, die von Dnipropetrowsk aus operiert. Dmitro Jarosch, Führer des auf dem Majdan unter deutschem Beifall erstarkten faschistischen „Prawyi Sektor“ („Rechter Sektor“), hat am 24. April mitgeteilt, seine Organisation habe ihr Hauptquartier ebenfalls nach Dnipropetrowsk verlegt – weil man von dort aus besser in Richtung Donbass vorstoßen könne. Jarosch kündigte an, ein Freikorps namens „Donbass“ gründen zu wollen. Das Freikorps existiert inzwischen; es hat – laut übereinstimmenden Berichten – seine Stützpunkte im äußersten Osten der Oblast Dnipropetrowsk errichtet und greift von dort aus Regimegegner in den angrenzenden Gebieten Donezk und Luhansk an. Wie aus ukrainischen Medienberichten hervorgeht, wird das Freikorps, dem bis zu 800 Kämpfer angehören sollen, von Gouverneur Kolomojskij unterstützt. Die Entwicklung vollzieht sich zumindest mit stillschweigender Billigung der Bundesregierung: Von einer Forderung Berlins an das Kiewer Umsturzregime, seinen Gouverneur Kolomojskij zur Besinnung zu rufen und ihn notfalls abzusetzen, ist nichts bekannt. Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden Sie hier: Ein breites antirussisches Bündnis, Termin beim Botschafter, Expansiver Ehrgeiz, Unser Mann in Kiew, Die militärische Seite der Integration, Nützliche Faschisten, Oligarchen-Schach, Koste es, was es wolle, Vom Stigma befreit, Der Krim-Konflikt, Kiewer Zwischenbilanz, Die Kiewer Eskalationsstrategie, Die Restauration der Oligarchen, Die freie Welt, Ein fataler Tabubruch, Die Europäisierung der Ukraine, Regierungsamtliche Vokative,Ein ungewöhnlicher Einsatz, Juschtschenkos Mythen, Alte, neue Verbündete,Legitimationskrise, Ein weltpolitischer Lackmustest und „Faschistische Freiheitskämpfer“. [1] Sławomir Matuszak: The Oligarchic Democracy. The Influence of Business Groups on Ukrainian Politics. OSW Studies 42, September 2012. [2] Wer mit Kolomoisky geschäftet, landet gelegentlich vor dem Richter. www.tagesanzeiger.ch 25.04.2014. [3] Sławomir Matuszak: The Oligarchic Democracy. The Influence of Business Groups on Ukrainian Politics. OSW Studies 42, September 2012. [4], [5] Konrad Schuller: Der Oligarch des Westens. Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.05.2014. [6] Tadeusz A. Olszański: After the parliamentary elections in Ukraine: a tough victory for the Party of Regions. www.osw.waw.pl 07.11.2012. [7] Wer mit Kolomoisky geschäftet, landet gelegentlich vor dem Richter. www.tagesanzeiger.ch 25.04.2014. [8] Alec Luhn: Ukrainian oligarch offers bounty for capture of Russian ‘saboteurs’. www.theguardian.com 17.04.2014. [9] Reinhard Lauterbach: Fast einstimmig. junge Welt 13.05.2014. [10] Größte ukrainische Bank schließt Filialen. www.faz.net 05.05.2014. [11], [12] Konrad Schuller: Der Oligarch des Westens. Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.05.2014.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen