Mittwoch, 21. Mai 2014
„Schlagkräftige Uniform!“
IMI-Analyse 2014/016
Zum Papier des BundeswehrVerbandes zur weiteren Militarisierung des
öffentlichen Lebens
http://www.imi-online.de/2014/05/08/schlagkraeftige-uniform/
Thomas Mickan (8. Mai 2014)
Das Papier „Schlagkräftige Bundeswehr 2020“ ist eine saftige Ohrfeige
für das Bundesverteidigungsministerium und die Bundeswehr. Auf über 74
Seiten rechnet der Deutsche BundeswehrVerband vor, was die Bundeswehr
für eine unattraktive Arbeitgeberin ist. Jeder und jedem, dem der Weg
zur Bundeswehr vorschwebt, sollte dieses Papier, das mitunter mit
erschlagendem Detailreichtum aufwartet, lesen, um zu verstehen, dass die
Truppe keine Arbeitgeberin mit Zukunft ist: unzählige Überstunden, keine
Ruhezeiten nach Auslandsverwendung, grässliche Kinderbetreuung, keine
Mitbestimmung, schlechtes Image in der Gesellschaft, keine Perspektive
für Azubis, Versetzungsstau, eine Dunkelziffer von 50 Prozent psychisch
einsatzgeschädigter Soldat_innen, hoffnungslose Überalterung, schlechte
finanzielle Situation, defizitäre Unterkünfte, mangelhafte Ausbildung
und Ausrüstung für den Ernstfall, kaum Übernahmen, schlechte
medizinische Versorgungen, häufige Umzüge, unendliche Pendelei, kurz:
Arbeitsbedingungen der Vormoderne.
Diesen erschlagenden Fakten zu einer der unattraktivsten
Arbeitgeberinnen zum Trotz, versucht sich der Deutsche BundeswehrVerband
dennoch mit dem Papier „Schlagkräftige Bundeswehr 2020“ in der
militärischen Vorwärtsverteidigung: Aufgemacht als große Augenwischerei
schreit der größte Lobbyverein der Bundeswehr laut nach mehr Geld,
goldenen Arbeitsbedingungen, wie es sie nirgendswo anders gibt, und
einem Staatsvertrag, der die Militarisierung des öffentlichen Lebens auf
eine ganz neue Stufe stellen soll. Er greift damit zum einen mit seiner
„Attraktivitätsoffensive“ den Vorstoß der Verteidigungsministerin von
der Leyen für eine attraktive Bundeswehr auf, zum anderen spiegelt er
aber auch die Forderungen nach einer verstärkten öffentlichen
Militärpräsenz nach Innen und Außen wider, wie sie von Bundespräsident
Joachim Gauck und anderen vorgetragen wird. Zum Säbelgerassel soll sich
eine politisch administrative, ja rechtlich kodifizierte Bevorzugung der
Soldat_innen gesellen.
Leise darf sich dann an den ehemaligen Verteidigungsminister Thomas de
Maizière erinnert werden, der trotz seiner ansonsten äußerst schwachen
Vorstellung dem BundeswehrVerband und den Soldat_innen in Ausübung
seiner Dienstherrenpflicht die Stirn bot: „Hört einfach auf, dauernd
nach Anerkennung zu gieren.“[1] Der BundeswehrVerband verbreitet mit der
Veröffentlichung des Papiers in ungekannter Schärfe sein
rechtskonservatives Gedankengut. Er folgt damit den vergebenen
Leitlinien der nach Krieg rufenden Politik und anstatt im Interesse der
Soldat_innen handelnd, ein Ende der Kriegsführung zu fordern, erweist
der Verband der Bundeswehr einen Bärendienst, indem er diese als
gierigen Haufen darstellt.
Goldene Treppe für die Bundeswehr
In einem Fluss von Tränen schüttet sich dabei der
Bundeswehrverbandsvorsitzende André Wüstner aus, und versucht dabei mit
überzogenen Forderungen in die großen Fußspuren seines ehemaligen
Vorgesetzen und Übervaters Ulrich Kirsch zu treten.
„Bundeswehrangehörige sind außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt“,
heißt es dann ganz zu Anfang in dem Papier, die Gründe dafür zu nennen,
nämlich die weltweiten Kriege und die Struktur des Militärs selbst,
erspart sich aber der BundeswehrVerbandsvorsitzende mit dem lapidaren
Verweis auf „Einsatzbelastungen“. Anstatt die Bundeswehr auf ihre
verfassungsgegebene Aufgabe der Landesverteidigung zurückzuholen,
begrüßt Wüstner eine verstärkte militärische Präsenz nach Außen und
Innen und versucht die Auswirkungen als milliardenschwere Kosten auf die
Gemeinschaft umzulegen: „Alle Menschen der Bundeswehr haben Anspruch auf
ein gutes Einkommen. Dafür müssen alle Stellenzulagen um 40 Prozent
steigen“, „Die Leistungen für die Angehörigen der Reserve müssen an das
Niveau der Soldaten auf Zeit und der Berufssoldaten angeglichen werden“,
„Altersgrenze 62“, „dauerhafte Regelung der Möglichkeiten vorzeitiger
Zurruhesetzung“, „ohne Grenzen beim Hinzuverdienst“. Für
Zeitsoldat_innen soll es eine „generelle Übernahme in die
Bundeswehrverwaltung oder in den übrigen öffentlichen Dienst“ geben und
die Bundesregierung soll zahlreiche Vereinbarungen mit der Wirtschaft
abschließen, mit dem Ziel, den Soldat_innen einen privilegierten Zugang
zum Arbeitsmarkt zu geben. Wieder darf sich an den jetzigen
Innenminister Thomas de Maizière erinnert werden, der vor kurzem bei den
Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst die Forderungen der
Gewerkschaften als „maßlos überzogen“ zurückverwies und betonte „niemand
kann sich einen solchen Abschluss leisten“.[2] Verglichen mit den
Forderungen der Gewerkschaften von 3,5 Prozent mehr Lohn ist ein
Superlativ zu „maßlos überzogen“ für die Forderungen des
BundeswehrVerbandes nur schwer zu finden. Finanziert werden soll das
ganze durch einen Anstieg des Verteidigungshaushaltes auf 35 Milliarden
Euro – eine fast schon bescheidene Forderung des Verbandes, die aber
damit angereichert wird, dass der Bundeswehr eigentlich allein 2013
satte 54,7 Milliarden Euro zugestanden hätten: „Sogar der Deutsche
BundeswehrVerband weiß, dass diese Zahl wenn nicht utopisch, dann doch
höchstens auf einer sehr, sehr langen Zeitachse zu erreichen ist. Und
dennoch sollte dies die finanzielle Benchmark für die Freiwilligenarmee
Bundeswehr im 21. Jahrhundert sein.“
Auch unterstützt der BundeswehrVerband nach wie vor die unsägliche
Praxis der Belegrechte in der Kindertagesstätten für Kinder von
Soldat_innen.[3] Mit Bundesmitteln kauft das Verteidigungsministerium
dabei Kitaplätze in klammen Kommunen auf, die dann privilegiert an
Angehörige der Bundeswehr vergeben werden. Doch anstatt dass die 32
Milliarden des Verteidigungshaushalts in den generellen Ausbau von
Kitaplätzen ans Familienministerium überführt wird, fordert der
BundeswehrVerband eine Bevorzugung und die goldene Treppe für die eigene
Klientel. Eine besondere Fürsorge des Dienstherren nach § 31
Soldatengesetz (SG) als Begründung scheidet dabei aus, da ein so
begründeter Belegrechteanspruch dann äquivalent auch auf Beamt_innen (§
78 Bundesbeamtengesetz (BBG)) Anwendung finden müsste – ein Zustand, der
einen Aufschrei in der Bevölkerung auslösen würde. Welch Geistes Kind
das Papier des BundeswehrVerbandes ist, zeigt sich auch in überkommenen
Familienvorstellungen, die der Verband offensichtlich gestärkt wissen
will: „Als Keimzelle des gesellschaftlichen Lebens kommt der Familie
eine besondere Bedeutung zu. Autorität, Gemeinschaft und Beständigkeit
bilden die Grundlage von Freiheit, Sicherheit und dem Wohlergehen einer
Gesellschaft insgesamt.“ Die Forderung nach einer „heimatnahen“
Verwendung ist dann nur konsequent.
Militarisierung durch Staatsvertrag
Das besondere Kernstück des Papiers, das auch schon von den großen
Medien aufgegriffen wurde, ist die anfänglich etwas kurios klingende
Forderungen nach einem Staatsvertrag mit dem Titel: „Keine Angst vor
Uniformen!“ Angst vor Uniformen hat sicherlich niemand, aber was die
Menschen in Uniform darin fordern, sollte für eine sich als zivil
verstehende Gesellschaft durchaus etwas Angst verursachen: „Die
Bundesregierung, die Bundesländer und alle Teile der deutschen
Gesellschaft sollten einen Staatsvertrag abschließen, um die Soldatinnen
und Soldaten im öffentlichen Leben präsent zu halten.“ […] „Der Titel
‚Keine Angst vor Uniformen‘ soll gerade diejenigen ansprechen, die nicht
nur Desinteresse gegenüber der Bundeswehr hegen, sondern Streitkräfte
und alles Militärische rundheraus ablehnen. Den Vertragspartnern muss
zweierlei gelingen: die Scheu vor den Menschen in Soldatenuniform zu
nehmen und dabei das ‚freundliche Desinteresse‘ in Anteilnahme
umzuwandeln.“ Unter anderem soll damit bundesweit ein rechtlich über den
Staatsvertrag geregelter Zugang von Offizier_innen an Schulen
festgeschrieben werden – ein Zustand, der an die schulische
Militärpräsenz in der ehemaligen DDR erinnert. Auch ein „Tag der
Bundeswehr“ soll festgeschrieben werden – ob dabei auch landesweit
Zivilist_innen die Angst vor der Uniform ablegen sollen, indem sie diese
anziehen, lässt der BundeswehrVerband allerdings offen. Weniger lustig
ist jedoch, dass an diesem Tag alle Soldat_innen und Reservist_innen der
Bundeswehr aufgefordert sind, im zivilen Leben die Uniform zu tragen.
Kaiser Wilhelm lässt grüßen.
Der hemmungslose Lobbyismus des BundeswehrVerbandes in diesem Papier
muss erschrecken, besonders vor dem Hintergrund, dass der
BundeswehrVerband als Lobbygruppe überaus einflussreich besonders in
Reihen der CDU/CSU ist. Aber auch die Grünen und die SPD waren sich
schon kurz nach dem Erscheinen des Papiers nicht zu schade, den Vorstoß
der Lobbyisten zu „loben“.[4] „Ernst-Reinhard Beck, Oberst der Reserve
und im letzten Bundestag einer der führenden Verteidigungspolitiker der
Union, beschreibt den außerordentlichen Einfluss des Verbandes mit
folgenden Worten: ‚Der DBwV hat als Lobby eine Macht, die man sonst im
öffentlichen Bereich nicht erlebt.‘“[5] Der FAZ-Journalist Eckard Lohse
berichtet ebenso in seinem Ende 2013 erschienen äußerst lesenswerten
Artikel zum Lobbyismus des BundeswehrVerbandes: „Kaum ein
Interessenvertreter im politischen Berlin betreibt seine Arbeit derart
offensiv und öffentlich wie der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes. Das
gilt nicht nur für Kirsch, auch sein Vorgänger Bernhard Gertz verhielt
sich so. Ein erfahrener Sicherheitspolitiker erinnert sich an Auftritte
von Gertz, in denen die Worte fielen ‚Der Minister und ich haben
beschlossen…‘“[6] Der neue BundeswehrVerbandsvorsitzende Wüstner scheint
erreichen zu wollen, mit seinen Forderungen auf diesen Spuren zu
wandeln. Es steht zu hoffen, dass die Zivilgesellschaft und die Politik
unter derlei unverfrorenen Militarisierungswünschen nicht dem Militär
die Politik überlässt. Solche Vorstellungen sollten 100 Jahre nach dem
Ausbruch des 1. Weltkrieges in Folge einer bedingungslos militarisierten
Politik der Vergangenheit angehören. Der BundeswehrVerband straft dieser
Vorstellung allerdings Lügen.
Anmerkungen
[1] FAZ (24.2.2014): „Giert nicht nach Anerkennung!“,
www.faz.net/aktuell/politik/inland/thomas-de-maiziere-im-gespraech-giert-nicht-nach-anerkennung-12092201.html.
[2] Zeit (11.2.2014): De Maizière nennt Tarifforderung „maßlos
überzogen“,
www.zeit.de/wirtschaft/2014-02/oeffentlicher-dienst-tarfiverhandlungen-verdi-dbb.
[3] Dazu ausführlich: Mickan, Thomas (2013): Motivationsfaktor Kita.
Über Belegrechte und die Privilegierung der Bundeswehr,
www.imi-online.de/2013/06/06/motivationsfaktor-kita/.
[4] Tagesschau (7.5.2014): „Keine Angst vor Uniformen“,
www.tagesschau.de/ausland/bundeswehr758.html.
[5] Wagner, Jürgen (2013): „Hemmungslos“: Rüstungshaushalt und Lobbying
des Bundeswehrverbandes,
www.imi-online.de/2013/11/06/hemmungslos-ruestungshauhalt-und-lobbying-des-bundeswehrverbandes/.
[6] Lohse, Eckard (FAZ, 5.11.2013): „Der Minister und ich haben
beschlossen…“,
www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundeswehr-lobbyismus-der-minister-und-ich-haben-beschlossen-12645760.html.
--
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