Mittwoch, 21. Mai 2014
„Radikal brechen - Zeitung für die antiimperialistische und autonome Bewegung“
Materialien zur Analyse von Opposition
Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, Oktober 2012
„Radikal brechen“ war die „Zeitung für die antiimperialistische und autonome Bewegung”. Nicht klar ist, von wem sie herausgegeben wurde und welcher Gruppe sie sich zugehörig fühlte. Der allgemeine Zusatz „antiimperialistische und autonome Bewegung” sagt auch wenig über den Stellenwert der Zeitung aus, den sie dort möglicherweise besaß. Sie kam über eine Reihe von Buchhandlungen zur Verbreitung. Höchstwahrscheinlich gab es Kontakte zu „Gegen die Strömung“ (GDS), auf deren Konzeption zum „westdeutschen Imperialismus“ und „Aufbau einer Kommunistischen Partei“ in einigen Ausgaben verwiesen wird, und zur MLPÖ, deren „Rote Fahne“ häufiger genannt und zur Klärung von Fragen herangezogen wurde. Wiederum wurden ihre Positionen häufiger kritisiert. (vgl. Februar 1989; Mai 1990; November 1991).
Dem Editorial der Nr. 1 von „Radikal brechen” ist zu entnehmen, dass es der Zeitung darum ging, „unsere jetzigen Vorstellungen von Weg und Ziel der Revolution …“ darzulegen und eine „kontroverse Debatte“ darüber zu führen. Eine weitere wichtige Aufgabe sei es, „die revolutionären Kämpfe weltweit zu unterstützen und hier insbesondere die Kämpfe, die in Ländern laufen, die vom westdeutschen Imperialismus ausgebeutet und deren Völker von ihm unterdrückt“ werden. Dies erinnert an die Strategie der „Liga gegen den Imperialismus“ der KPD, die sich ähnlich positionierte (vgl. Februar 1989).
Gemutmaßt werden darf auch, dass der Zeitung der Maoismus der verblichenen ML-Bewegung nicht fremd war, wenn etwa an die Propagierung ihrer These von der „Internationalen Solidarität“ gedacht wird, an die Haltung zum „Massenkampf“ und „individuellen Terror“, „Massenbewusstsein“ und „revolutionärer Kampf der Arbeiterklasse“ - oder generell an jene Fragestellung, von der sich eine ganze Generation von Maoisten leiten ließ: „Warum ist die Arbeiterklasse die revolutionäre Klasse?“ (vgl. März 1989).
Zur Kritik an der RAF und am Konzept der Stadtguerilla heißt es in der Nr. 3: „Ohne den bewaffneten Kampf der Arbeiterklasse, die mit revolutionärem Bewusstsein ausgestattet sein muss, und ihrer Verbündeten, der den reaktionären Staatsapparat der Bourgeoisie zerschlägt, kann diese nicht gestürzt werden. Also ist es eine zentrale Aufgabe der Vorbereitung der Revolution, die Schaffung eines solchen Bewusstseins bei den Millionen des Proletariats.“ (vgl. Oktober 1989).
Mit der Ausgabe 4/1989 verschärft die Zeitung ihre Kritik am Konzept der Stadtguerilla. So heißt es im Artikel „Warum das Stadtguerilla-Konzept nicht zur Zerschlagung des Staatsapparates der Bourgeoisie führt“: „Das Konzept Stadtguerilla kann das revolutionäre Bewusstsein bei den Arbeiter/innen nicht schaffen. Deshalb kann es den bewaffneten Kampf der Ausgebeuteten zum Sturz der Bourgeoisie nicht vorbereiten. Es führt ganz zwangsläufig zu einem Zweikampf eines kleinen Häufleins gegen den Imperialismus … um Reformen. Die sogenannte ‘antiimperialistische Front‘ führt zur Einheit mit den Reformisten und Revisionisten. Mit so einem Zusammenschluss, mit so einer Organisation ist der Sturz der Bourgeoisie nicht zu vollbringen.“ Jedoch: „Bewaffnete Aktionen Einzelner sind nicht abzulehnen.“ (vgl. November 1989).
Die Ausgabe 5/1990 lässt sich von der Themenstellung „Aufbau einer revolutionären Kommunistischen Partei“ leiten. Dabei wird Position zum „ISWI-Papier“ bezogen und einleitend festgestellt: „Auch wir halten eine solche Organisation (die Kommunistische Partei, d. Verf.) für unbedingt notwendig, nicht bloß in einer revolutionären Situation für die unmittelbare Vorbereitung und Durchführung des bewaffneten Aufstands der revolutionären Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern schon jetzt, wo von revolutionärer Bewegung in Westdeutschland überhaupt nicht die Rede sein kann.“
Verwiesen wird im Weiteren auf die „Resolution der 1. Parteikonferenz von Gegen die Strömung“ und deren Materialien: „Ausgangspunkt unserer programmatischen Arbeit“; „Die proletarische Weltrevolution und die Revolution in Westdeutschland“; „Tod dem westdeutschen Imperialismus, Revanchismus und Militarismus.“ (vgl. Mai 1990).
Die Nr. 6/1990 steht im Zeichen der „Erfolge der Oktoberrevolution und 35 Jahre praktizierten Sozialismus“. Die Schnittstelle ist für die Zeitung der XX. Parteitag der KPdSU (Februar 1956). Mit ihm begann „der Siegszug des Revisionismus, die revolutionäre Theorie, des Marxismus-Leninismus, wurde in entscheidenden Punkten verfälscht …“. Veröffentlicht wird die „Programmatische Erklärung der revolutionären sowjetischen Kommunisten (Bolschewiki)“ von 1967, in der u. a. zur „Stalin-Frage“ Stellung bezogen wurde. „Radikal brechen“ meint dazu, dass dieser Text „hochaktuell ist“ und ein „wichtiger Beitrag für den Kampf gegen den Antikommunismus und Antistalinismus“. Der Artikel würde weiter die „richtige Rolle Stalins aufzeigen“ (vgl. Juni 1990).
Mit der Ausgabe 7/1991 versuchen die Verfasser, ihre Positionen zu Israel-Palästina zu erläutern. Dazu heißt es einleitend: „Sie ist (die Ausgabe, d. Verf.) es deshalb, weil sie die Existenzberechtigung Israels verteidigt und in Teilen der Antiimp- und Autonomen-Szene antisemitische Tendenzen nachweist.“ Für die „heutige Antikriegsbewegung“ sei die „Palästinafrage … ein entscheidendes Problem“ (vgl. Januar 1991).
In der Ausgabe 8/1991 wird die „Stalin-Debatte“ fortgeführt und festgehalten: „Ohne Stalin, ohne die sozialistische Sowjetunion zur Zeit Stalins, die die Hauptkraft im weltweiten antifaschistischen Kampf war, müssten die Antifaschisten auch heute noch vor jedem Naziarschloch stramm stehen - das ist die erste wichtige Feststellung der autonomen Antifaschisten.“ (vgl. November 1991).
Die Nr. 9 ist vom Februar 1993. Sie beinhaltet die Debatte um die „Auflösung von RZ“ und „Zur RAF-Erklärung vom 10.4.1992“. Damit solle die „Debatte über alle grundlegenden Fragen der Revolution endlich beginnen“. Erklärt wird in der „Stellungnahme einer Zeitungsgruppe“ (gemeint ist „RB“ selbst, d. Verf.): „Wir haben die Auseinandersetzung mit revolutionärer Theorie und revolutionärer Praxis, mit der Geschichte revolutionärer Bewegungen vernachlässigt … Vor lauter blindem Aktionismus hatten wir kaum Zeit für die inhaltlich, theoretische Auseinandersetzung.“ Geplant sei daher weiter, „eine Nummer zu den zentralen Fragen des antifaschistischen Kampfs gemeinsam herauszugeben“ (vgl. Februar 1993).
Ob es weitere Ausgaben von „Radikal brechen“ gab, ist mir z. Zt. nicht bekannt.
Nachbemerkung:
Eine Auseinandersetzung mit damals relevanten Theorieströmungen (etwa der NHT) fand in den Ausgaben nicht statt. Auch dürfte „Radikal brechen“ sich nicht an der „Gemeinsamen Beilag“ zu den Publikationen von BWK, FAU/R, KPD und NHT beteiligt haben, deren Erscheinen in der Zeit der Herausgabe der RB fällt. Weitere Gruppen, die in der Zeitung des Öfteren genannt werden, waren: „Rotstilzchen/Infoladen Wien“, „Gruppe Molotow“, „Autonome Palästinensergruppe“; „Mustafa Suphi/Karl Liebknecht“, „PCE(R)“.
Ein Mal wird der BWK erwähnt, andere Restbestände der maoistischen Gruppen, wie etwa die MLPD, dagegen überhaupt nicht. Von der Aufmachung her ähnelt „Radikal brechen“ doch stark „GDS“, was sich in gewisser Weise auch an der Wortwahl ablesen lässt. In der letzten Ausgabe, 9/1993, wird zudem auf eine Ausgabe (41/1987, Oktober 1987) verwiesen. Da Stalin sich durch alle Ausgaben zieht, darf berechtigterweise vermutet werden, dass „RB“ eine besondere Affinität zu ihm hatte. Auch wenn in der letzten Nummer erklärt wird, dass man „die Auseinandersetzung mit revolutionärer Theorie und revolutionärer Praxis, mit der Geschichte revolutionärer Bewegungen vernachlässigt“ habe, so wird etwa nicht klar, was darunter zu verstehen ist und mit welcher „Geschichte (der) revolutionären Bewegung“ man sich hätte auseinandersetzen wollen.
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