Mittwoch, 21. Mai 2014

„Faschistische Freiheitskämpfer“

BERLIN/KIEW/MÜNCHEN Quelle: german-foreign-policy vom 12.05.2014 – Das Erstarken faschistischer Kräfte in der Ukraine unter der Ägide des Kiewer Umsturzregimes führt zu Rückwirkungen bei dessen deutschen Unterstützern. In München beginnt eine Debatte über die Ehrung eines ukrainischen Holocaust-Befürworters; in der Presse heißt es, es gehe dabei um die „Frage“, ob „ein faschistischer Freiheitskämpfer“ (!) öffentlich gewürdigt werden solle. Der Kiewer Bildungsminister, ein Absolvent der „Ukrainischen Freien Universität“ in München, nimmt den fraglichen Holocaust-Befürworter in deutschen Medien in Schutz. Die faschistische Miliz „Prawyi Sektor“ („Rechter Sektor“) intensiviert ihre Beziehungen zur extremen Rechten in mehreren europäischen Staaten, darunter Deutschland; die Organisation, die am Massaker von Odessa beteiligt war, unterhält Kontakte zu gewaltbereiten Neonazis etwa in Schweden sowie zur NPD. Während der Führer der Organisation bekräftigt, er arbeite eng mit den offiziellen ukrainischen Repressionsbehörden zusammen, berichten Medien, dass diese bei ihren Gewaltaktionen gegen Rebellen in der Ost- und Südukraine („Anti-Terror-Operationen“) auch von CIA und FBI unterstützt werden. Unbestätigt sind nach wie vor Hinweise auf eine Verwicklung des BND. Darf ein Faschist geehrt werden? In München, einem Zentrum des ukrainischen Exils nach dem Zweiten Weltkrieg [1], beginnt eine öffentliche Debatte um eine Gedenktafel für Jaroslaw Stezko, eine Führungsfigur der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Die Gedenktafel hat der einstige ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko noch während seiner Amtszeit (2005 bis 2010) an der alten OUN-Zentrale in der Münchner Zeppelinstraße 67 anbringen lassen – im Rahmen seiner Bemühungen, den Kult um die faschistische OUN, die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) sowie ihre Anführer zu stärken.[2] Stezko, der nach dem Krieg in der Münchner OUN-Zentrale wirkte, gehört zu den Personen, die heute in der Westukraine wieder große Verehrung genießen. Seine in den 1930er Jahren entwickelte Lehre von den „zwei Revolutionen“, einer „nationalen“ sowie einer „sozialen“, die miteinander verbunden werden müssten, wird heute von der Partei „Swoboda“ propagiert. Stezko hat 1941 geäußert, „daß die Juden vernichtet werden müssen und daß es zweckmäßig ist, in der Ukraine die deutschen Methoden der Judenvernichtung einzuführen“ (german-foreign-policy.com berichtete [3]). In München hat der Bezirksausschuss des Stadtviertels, in dem sich die Stezko-Gedenktafel befindet, jetzt ein Gutachten beantragt, das die öffentliche Ehrung eines Holocaust-Befürworters bewerten soll. „Es geht um die Frage“, heißt es in der „Süddeutschen Zeitung“: „Darf ein faschistischer Freiheitskämpfer (!) hier im öffentlichen Raum geehrt werden?“[4] „Kein Antisemitismus“ Aus dem Bericht der „Süddeutschen“ geht hervor, dass die OUN und ihre Anführer wie zum Beispiel Stezko einerseits in ukrainischen Organisationen in Deutschland breite Anerkennung genießen, andererseits aber auch im Kiewer Umsturzregime, und dort keineswegs nur bei den einschlägig bekannten Swoboda-Ministern. Zum Beleg zitiert die Zeitung den aktuellen „Bildungsminister“ Serhij Kwit. Kwit nennt Stezkos Autobiographie, in der dieser sein Plädoyer für die Einführung „deutsche(r) Methoden der Judenvernichtung“ festhielt, ein „gefälschtes Dokument“ und behauptet, die OUN, deren Aktivisten sich an einer beträchtlichen Zahl an Massakern an Juden beteiligten, habe mit Antisemitismus „nichts zu tun gehabt“.[5] Kwit war in den 1990er Jahren in Organisationen der extremen Rechten aktiv, so etwa im „Kongress Ukrainischer Nationalisten“, einem faschistischen Zusammenschluss, der unter Mitarbeit von Stezkos Witwe Jaroslawa aufgebaut wurde. Jaroslawa kam aus der UPA, wirkte an der Seite ihres Ehemannes im Münchner Exil und wird ebenfalls auf der Münchner Gedenktafel geehrt (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Kwit bemühte sich später um eine wissenschaftliche Karriere, machte 2001 seinen PhD an der „Ukrainischen Freien Universität“ in München, an der lange Zeit alte OUN-Aktivisten gewirkt hatten, und übernahm 2007 das Amt des Präsidenten der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie, bis er schließlich zum Bildungsminister des Umsturzregimes ernannt wurde. „Feind der Ukraine“ Mit Kwits Wirken wurde bereits vor zwei Jahren beispielsweise der Berliner Historiker Grzegorz Rossolinski-Liebe konfrontiert. Rossolinski-Liebe, Autor einer Dissertation über den OUN-Führer Stepan Bandera, die in diesem Herbst veröffentlicht wird, war Anfang 2012 zu einer Vortragsreihe in die Ukraine eingeladen worden; es waren insgesamt sechs Auftritte geplant – zwei in Lwiw, zwei in Dnipropetrowsk, zwei in Kiew. Es kam zu Protesten, weil Rossolinski-Liebe als Bandera-Kritiker bekannt ist. In Lwiw habe niemand den Organisatoren Räume bereitstellen wollen, berichtete der Historiker anschließend, von den vier weiteren Vorträgen seien drei kurzfristig abgesagt worden; teilweise seien die Absagen unmittelbar auf Interventionen der Partei Swoboda zurückzuführen gewesen. Der Grund: seine kritische Haltung gegenüber Bandera. Wer derlei Kritik übe, gelte zumindest in der West- und zum Teil auch in der Zentralukraine“als Feind der Ukraine oder Verräter“. Ein Hochschulprofessor habe ihm bestätigt, „Historiker könnten in der Ukraine nicht offen über die Geschichte sprechen“; auf seinen Vorschlag, die Opfer der Lemberger Pogrome von 1918 und 1941 mit einem Denkmal zu ehren, hätten ihn „Lemberger Akademiker … für verrückt erklärt“. Auch der damalige Rektor der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie, Serhiy Kwit, habe ihn massiv attackiert und die Durchführung seiner Vorträge abgelehnt.[7] Kwit gilt als Anhänger des Publizisten Dmytro Dontsov, dem die Schaffung eines „eigenständigen ukrainischen Faschismus“ [8] zugeschrieben wird; Dontsov übersetzte unter anderem auch Hitler und Mussolini ins Ukrainische. Unter Polizeischutz Aus Rossolinski-Liebes Bericht geht nicht zuletzt hervor, dass die deutsche Botschaft in Kiew in vollem Umfang über die Affäre informiert gewesen ist – und damit auch über die dramatisch wachsende Stärke der Bandera-Anhänger in der Ukraine. Als er einen Telefonanruf von einem Mann bekommen habe, „der sich als Milizionär ausgab und sagte, er werde vorbeikommen“, da habe, so schildert es Rossolinski-Liebe, „die deutsche Botschaft … dafür gesorgt, daß ich in die Wohnung eines Botschaftsmitarbeiters ziehen konnte, wo ich sicher war“. Von den sechs geplanten Vorträgen habe allein derjenige in der deutschen Botschaft stattfinden können, „unter Schutz der Miliz“: „Draußen demonstrierten ca. 100 Svoboda-Leute.“[9] Fast auf den Tag zwei Jahre später lud der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Swoboda-Führer Oleh Tjahnybok zum Gespräch in die deutsche Botschaft; im Ergebnis wurde Swoboda Teil des Umsturzregimes.[10] Nationale Helden Den erstarkenden nationalistisch aufgeladenen Milieus vor allem der Westukraine entstammen zahlreiche Aktivisten des Prawyi Sektor, der am 2. Mai am Massaker von Odessa teilnahm und auch am 9. Mai in das Massaker von Mariupol involviert gewesen sein soll. Die bewaffnete Organisation, die maßgeblich am Sturz der Regierung Janukowitsch beteiligt war, ist als Bündnis verschiedener Zusammenschlüsse der extremen Rechten entstanden.[11] Sie hat mittlerweile gute Kontakte zu zahlreichen Vereinigungen der extremen Rechten in ganz Europa. Die Pressebeauftragte des Prawyi Sektor, Olena Semenjaka, berichtet, sie habe lediglich aus Terminnot nicht am „Europakongress“ des NPD-Jugendverbands Junge Nationaldemokraten (JN) am 22. März in Thüringen teilnehmen können. Präsent waren bei dem Treffen die schwedische Neonazi-Organisation Nordisk Ungdom, die laut Semenjaka den Prawyi Sektor finanziell unterstützt, sowie die Svenskarnas Parti, von deren Aktivisten einige sich an den gewalttätigen Majdan-Protesten beteiligten. Einer von ihnen stach kurz nach der Rückkehr aus Kiew im März in Malmö einen Linken nieder; er wird seitdem wegen Mordversuchs gesucht.[12] Semenjaka hat kürzlich der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ ein Interview gegeben. Darin sagt sie, auf dem Majdan seien aus „Ultranationalisten“ die „nationalen Helden“ geworden; der Prawyi Sektor sei eine „große Partisanenbewegung“. CIA, Blackwater, BND? Der Prawyi Sektor stößt inzwischen auch in der äußersten deutschen Rechten jenseits der NPD auf steigendes Interesse. Im April hat die ultrarechte Online-Plattform „Blaue Narzisse“ ein Interview mit Olena Semenjaka publiziert. Darin erklärt Semenjaka ausdrücklich: „Auch moderne NS-Sympathisanten finden einen Platz in unseren breitgefächerten Reihen.“ Der Sektor sehe seine wichtigste aktuelle Aufgabe darin, die Ukraine zu „befreien von Kollaborateuren, Separatisten und russischen sowie westlichen Marionetten“.[13] Dass die Organisation prinzipiell in Absprache mit den einschlägigen ukrainischen Behörden operiert, hat ihr Anführer Dmitro Jarosch berichtet. „Unsere Bataillone sind Teil der neuen Territorial-Verteidigung“, erklärt Jarosch: „Wir stehen in engem Kontakt zum Geheimdienst, mit dem Generalstab. Wir haben eigentlich zu allen gute Beziehungen, außer zur Polizei.“[14] Mit dem Leiter des Nationalen Sicherheitsrats, Andrij Parubij, hat Jarosch schon beim Sturz Janukowitschs eng zusammengearbeitet. Parubij, in den 1990er Jahren noch ein Anführer der extremen Rechten, galt im vergangenen Winter als „Kommandant des Majdan“; nun organisiert er den „Anti-Terror-Einsatz“ im Osten und im Süden der Ukraine, den US-Spezialisten von CIA und FBI als „Berater“ und Berichten zufolge 400 Elitekämpfer der US-Söldnerfirma „Academi“ (Ex-“Blackwater“) operativ unterstützen.[15] Nach wie vor ungeklärt ist eine mögliche Involvierung des BND in den ukrainischen „Anti-Terror-Kampf“. Inzwischen ist bekannt, dass die deutschen Militärbeobachter, die Ende April in Slawjansk festgehalten wurden, zum BND in Kontakt standen.[16] Genauere Aufklärung verweigert die Bundesregierung. Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden Sie hier: Ein breites antirussisches Bündnis, Termin beim Botschafter, Expansiver Ehrgeiz, Unser Mann in Kiew, Die militärische Seite der Integration, Die Expansion europäischer Interessen,Nützliche Faschisten, Oligarchen-Schach, Der Mann der Deutschen, Koste es, was es wolle,Vom Stigma befreit, Testfeld Ukraine, Der Krim-Konflikt, Kiewer Zwischenbilanz, Die Kiewer Eskalationsstrategie, Die Restauration der Oligarchen, Die freie Welt, Ein fataler Tabubruch, Die Europäisierung der Ukraine, Alte Verhaltensmuster, Regierungsamtliche Vokative, Ein ungewöhnlicher Einsatz, Juschtschenkos Mythen, Alte, neue Verbündete,Legitimationskrise und Ein weltpolitischer Lackmustest. [1] S. dazu „Ein Sammelpunkt der OUN“. [2] S. dazu Juschtschenkos Mythen und „Wissenschaftliche Nationalisten“. [3] S. dazu Alte, neue Verbündete. [4], [5] Ukrainischer Exilant von zweifelhaftem Ruf. www.sueddeutsche.de 08.05.2014. [6] S. dazu Alte, neue Verbündete. [7] „Es ist tabu, heikle Themen an der Uni zu diskutieren“. junge Welt 09.03.2012. [8] Per Anders Rudling: The Return of the Ukrainian Far Right: The Case of VO Svoboda. In: Ruth Wodak, John E. Richardson (Hg.): Analyzing Fascist Discourse: European Fascism in Talk and Text, 228-255. London 2013. Online-Zugang: www.routledge.com/books/details/9780415899192/ [9] „Es ist tabu, heikle Themen an der Uni zu diskutieren“. junge Welt 09.03.2012. [10] S. dazu Vom Stigma befreit. [11] S. dazu In die Offensive und Die Kiewer Eskalationsstrategie. [12] S. dazu Die Dynamik des „Pravy Sektor“. [13] Der Bürgerkrieg des Rechten Sektors. www.blauenarzisse.de 04.04.2014. [14] Nationalistenführer Jarosch: „Jeder Ukrainer soll eine Schusswaffe tragen dürfen“. www.spiegel.de 23.04.2014. [15] Russische Luftwaffe verletzte absichtlich den Luftraum der Ukraine. www.bild.de 10.05.2014. [16] Bundeswehrinspektoren vom BND beraten. www.sueddeutsche.de 05.05.2014. S. dazu Ein ungewöhnlicher Einsatz.

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