Nach
unseren ersten zwei Jahren Politik als Antikapitalistische nicht-weiße
Gruppe haben wir unsere bisherige Arbeit kritisch reflektiert.
Antikapitalistische Politik ist die Politik, die anstrebt „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“1.
Das alleinige Lippenbekenntnis zur Befreiung der Gesellschaft von
Ausbeutung und Unterdrückung kann deshalb nicht ernst genommen werden.
Die Kriterien für erfolgreiche antikapitalistische Politik müssen das
klare Wachstum unserer Gruppenstruktur und die konkrete Veränderung der
gesellschaftlichen Realität hin zu politischem Bewusstsein und
politischer Organisierung sein. Selbstkritisch haben wir festgestellt,
dass wir keines der beiden Ziele bislang realisieren konnten. Wir haben
zwei Jahre lang intensiv Aktivismus betrieben, dabei Demonstrationen,
Veranstaltungen und Bündnisse organisiert und uns mit der Berliner
Linken vernetzt, politische Diskussionen geführt und Kritiken geübt,
dabei aber keinen ausschlaggebenden gesellschaftlichen Einfluss
entwickelt.
Uns
ist allzu lange nicht aufgefallen, dass wir damit die gleichen Fehler
wiederholen, die wir an der deutschen Linken allgemein kritisieren:
Nicht aus der Summe vieler kleiner Aktionen wird sich die Gesellschaft
verändern, werden wir Ausbeutung und Unterdrückung aus unserem
Leben verbannen, sondern durch organisierte Schritte zur revolutionären
Organisierung der Unterdrückten und Ausgebeuteten – der arbeitenden
Klasse. Eine Demonstration oder ein Workshop etwa können aus moralischen
Gründen legitim erscheinen (beispielsweise die zahlreichen
antirassistischen Bündnisse, die in Berlin momentan
gegen Rassismus mobilisieren) – wenn mit ihnen aber ernsthaft eine
Veränderung der Gesellschaft angestrebt wird, müssen diese Aktionen
darüber hinaus Teil eines langfristigeren organisatorischen Prozesses
sein. Unsere Aktionen dürfen nicht einfach moralisch gut klingen – sie
brauchen eine durchdachte, kontextbezogene politische
Begründung. Insbesondere wenn wir gegen die verschiedenen Formen von
Unterdrückung ankämpfen wollen, die unsere Gesellschaft prägen, und uns
dabei aktiv mit anderen internationalen Kämpfen solidarisieren, die den
gleichen Kampf in anderen Teilen der Welt führen, müssen wir uns fragen
wie wir diese zahlreichen Aufgaben bewältigen können, ohne uns in
zahllosen Aktionen zu verlieren. Jede unserer Aktionen muss bewusst
durchgeführt werden und Teil des revolutionären Aufbauprozesses sein,
der uns unserem Ziel näher bringt. Für unsere Praxis brauchen wir
deshalb eine solide theoretische Grundlage, die uns aufzeigt wo wir
gebündelt ansetzen müssen.
Wir
sind überzeugt, dass diese Grundlage der Marxismus ist: Die Methode des
dialektischen Materialismus, sowie die wissenschaftliche Kritik des
Kapitalismus, der Klassengesellschaft und der in ihr existierenden
Ausbeutung und Unterdrückung. Wir sehen unsere Aufgabe darin, davon
ausgehend eine Theorie zu entwickeln, die unsere Realität als
Migrant*innen in Deutschland widerspiegelt; eine Theorie, die dem
nicht-weißen Proletariat Deutschlands seine Position erklärt und einen
zielgerichteten Widerstand ermöglicht.
Wir sind die Produkte von deutschem Kolonialismus, die Nachkommen von Überlebenden des deutschen Faschismus,
Arbeitsmigrant*innen, durch imperialistische Kriege Vertriebene,
Geflüchtete und ihre von der deutschen Gesellschaft oft ungewollten Kinder,
die ewigen ‚Anderen‘ der deutschen Nation. Wir standen historisch und
tun es auch heute weiterhin inmitten einer Vielzahl von
gesellschaftlichen Widersprüchen, die uns von uns selbst und voneinander entfremden, uns am Boden halten und verhindern, ein gutes Leben zu führen. Wir sind zwanzig Prozent der in Deutschland lebenden Menschen. Und wir werden mehr.
Die
deutsche Linke spricht das migrantische Proletariat jedoch kaum an.
Anstatt der arbeitenden Klasse und ihren migrantischen Communities zur
Seite zu stehen und die herrschenden Verhältnisse zu bekämpfen geht es
den meisten von uns Linken einfach darum sich von der reaktionär
beeinflussten Gesellschaft abzugrenzen. Die größtenteils weiße,
sogenannte Antira-Szene führt den Kampf gegen Rassismus in Deutschland
zwar lautstark an, die Realität von uns Langzeit-Ausländern und unseren
wahren Problemen hat sie aber kaum auf dem Schirm. Auch der liberale
Antirassismus mit seinen NGOs ist den Massen migrantischer Prolet*innen
keine Hilfe. Er verschleiert nur die gewaltvollen Klassenwidersprüche
und verwässert den Kampf gegen Rassismus zu einer moralischen Bekennung
zu ‚Toleranz‘ innerhalb des kapitalistischen Ausbeutungssystems, welches
weiterhin jeder rassistischen und faschistischen Gewalt zugrundeliegt.
Aufgrund
dieser Misslage, aufgrund dieser unerträglichen Lücke, müssen wir als
organisierte migrantische Arbeiter*innen, als Jugendliche und junge
Erwachsene der zweiten und dritten Generation, den Kampf für eine freie
Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung selbst in die Hand
nehmen. Dafür werden wir uns vorerst aus dem gängigen
linken Aktivismus zurückziehen und uns intensiv zu unserer Geschichte,
der deutschen Gesellschaft und unserer Position darin, zum
Herrschaftssystem des Kapitalismus und gesellschaftlichen Alternativen
bilden. Wir werden uns auch hin
und wieder an politischen Projekten beteiligen und auf der Straße
anwesend sein, sehen jedoch genau jetzt die Notwendigkeit, unsere
theoretische Basis durch Bildung und Weiterbildung zu festigen, um zu wachsen und bald mit neuen Antworten zu neuen Taten zu schreiten.
1Karl Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ S. 385
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen