Mexiko: Die Spitze des Eisbergs der Korruption?
Die Abzweigung von Haushaltsgeldern für den
Wahlkampf setzt die mexikanische Regierungspartei PRI unter
Druck. Sogar der Präsident Pena Nieto könnte in Bedrängnis
geraten.
Mexiko wählt zwar erst im Juli einen neuen Präsidenten, doch
dieser Tage gab es schon einen kleinen Vorgeschmack auf das,
was dem Land blühen könnte: Ende Dezember wurde der
Schatzmeister der regierenden Partei der Institutionellen
Revolution (PRI) im Bundesstaat Chihuahua, Alejandro
Gutiérrez, wegen Unterschlagung festgenommen. Das Brisante
daran: Gutiérrez leitete umgerechnet 10,5 Millionen Euro aus
dem Bundeshaushalt um, die eigentlich für Bildungs- und
Sozialprogramme bestimmt waren - und zwar direkt in die
schwarzen Wahlkampfkassen der PRI. Das Ganze geschah den
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Chihuahua zufolge mit
Einwilligung des damaligen PRI-Gouverneurs, Cesar Duarte, der
zahlreiche Korruptionsverfahren am Hals hat und in El Paso in
den USA untergetaucht ist. Aufgedeckt wurde der Betrug nur,
weil die PRI voriges Jahr die Wahl in Chihuahua an die
konservative Partei der Nationalen Aktion verloren hatte
Das Prozedere war einfach: Gutiérrez erhielt den Ermittlungen
zufolge das Geld und vergab es mittels Dienstleistungsvertrag
an Scheinfirmen, die in der Regel anderen PRI-Politikern
gehörten. Sie boten angeblich Kurse für Familienväter an,
berieten Lehrer oder lieferten Software. Doch in Wirklichkeit
ließen sie das Geld in bar zurück fließen an den Gouverneur
und die Parteiführung, die damit den Wahlkampf finanzierte.
Wegen der Unterschlagung sind zahlreiche Funktionäre aus
Chihuahua in Haft, darunter zwei Exminister, die als
Kronzeugen aussagten.
Der Fall könnte - sofern er unabhängig untersucht und
vollständig aufgeklärt wird - mitten im Wahlkampf zu einer
Bombe für die PRI werden. Denn Gutiérrez ist kein
drittklassiger Provinzpolitiker, sondern enger Vertrauter des
langjährigen Partei- und Senatsvorsitzenden Manlio Fabio
Beltrones, der als "graue Eminenz" der PRI gilt. Den
Kronzeugen zufolge ist Chihuahua nur die Spitze des Eisbergs.
Auch bei den Wahlen in anderen Gliedstaaten seien auf diese
Weise Gelder abgezweigt worden. Würde sich dies bestätigen, so
gerieten neben Beltrones auch der damalige Finanz-und jetzige
Aussenminister Luis Videgaray und möglicherweise sogar
Präsident Enrique Peña Nieto ins Visier der Justiz.
Zivillgesellschaft macht Druck
Noch gilt die Justiz allerdings als regierungsnah, besonders
die vom Präsidenten berufene und vom Kongress bestätigte
Staatsanwaltschaft und die Richter des Obersten Gerichts und
der Wahlbehörde. Üblicherweise werden dort in einer
parteiübergreifenden Absprache Vertrauensleute der jeweiligen
Parteien eingesetzt - was allen Seiten Straffreiheit
garantiert. Dasselbe Schema wird in den Regionen angewendet.
Miriam Castillo von der Nicht-Regierungs-Organisation
"Mexikaner gegen Korruption und Straffreiheit" (MCCI) zweifelt
deshalb, dass es zu einer unabhängigen Untersuchung des Falles
kommen wird. Das ganze Justizsystem sei auf Ineffizienz
angelegt, sagt sie im Interview. "Diejenigen, die Straftaten
untersuchen sollen, sind oft in sie verwickelt. Es wimmelt nur
so von Interessenskonflikten", so Castillo. Das Wahlgericht,
führt sie an, habe noch immer nicht alle Betrugsvorwürfe der
Bundeswahlen von 2012 abschließend untersucht.
Doch dieser Pakt der Straffreiheit ist ins Wanken geraten.
Einerseits durch den Druck der Zivilgesellschaft, andererseits
durch den der Unternehmerschaft, die fehlende Transparenz und
Rechtsunsicherheit zunehmend als Kostenfaktor und Hindernis im
globalen Wettbewerb sieht. Die Nicht-Regierungs-Organisation
MCCI unter Führung des einflussreichen Unternehmersohns
Claudio X. Gonzalez hat zahlreiche andere Korruptionsfälle
aufgedeckt, darunter die Verwicklung des Ex-Vorsitzenden des
staatlichen Ölkonzerns Pemex in Schmiergeldzahlungen des
brasilianischen Baukonzerns Odebrecht. Die Enthüllung
stieß Peña Nieto derart sauer auf, dass er im Mai bei einem
Essen mit Unternehmern vor versammelter Mannschaft dessen
Vater, Claudio González Laporte abkanzelte, wie die "New York
Times" unter Berufung auf Anwesende berichtete. "Dein Sohn
sollte nicht so kritisch mit der Regierung sein. Die
Zivilgesellschaft sollte sich weniger um Korruption kümmern",
kolportierte das Blatt die Worte des Präsidenten. Worauf
González Laporte geantwortet haben soll: "Ich bin stolz auf
meinen Sohn und seine Arbeit."
Mexiko: ein korruptes Land
Daneben gibt es noch andere Organisationen wie "Mexico
Evalua", das mexikanische Institut für Wettbewerbsfähigkeit
oder "Fundar", die regelmäßig unbequeme Studien anstellen.
Zuletzt machte "Fundar" Schlagzeilen mit einer Studie, wie die
Regierung mit ihrem Anzeigenbudget in Millionenhöhe Druck auf
die Berichterstattung der Medien ausübt. Die Repressalien von
offizieller Seite ließen nicht lange auf sich warten. MCCI
bekommt eine Steuerprüfung nach der anderen, die Handies von
Claudio X. González und anderer investigativer Reporter wurden
mit Spionagesoftware abgehört, unbequeme Journalisten verloren
ihre Radiosendungen bzw. Kolumnen.
Rückhalt bekam die mexikanische Zivilgesellschaft durch die
internationale Gemeinschaft nach dem Verschwinden von 43
Studenten im September 2014 in Iguala. Nachdem der bis heute
nicht abschliessend geklärte Fall ans Licht brachte, dass
Sicherheitskräfte und Politiker mit dem Organisierten
Verbrechen zusammenarbeiteten und die Justiz wenig Interesse
an Aufklärung hatte, sah sich Peña zu einem Massnahmenpaket
gezwungen, das unter anderem ein "Nationales
Anti-Korruptions-System" vorsieht. Herzstück ist eine
personell und wirtschaftlich unabhängige, professionell
ausgestattete und von der Zivilgesellschaft überwachte
Staatsanwaltschaft. Dem Projekt legten die Parteien jedoch so
viel Steine wie möglich in den Weg. Die PRI wollte einen
treuen Parteisoldaten auf den Posten hieven - ein Ansinnen,
das die übrigen Parteien verhinderten. Bislang kam aber keine
Mehrheit für einen anderen Kandidaten zustande. Der Posten ist
vakant.
Korruption sei in Mexiko tief verankert, schreibt der Analyst
Luis Rubio in der US-Zeitschrift Foreign Affairs. Sie habe
nach der blutigen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts für
politische Stabilität gesorgt, indem sie sichergestellt habe,
dass jede der kriegerischen Fraktionen im Gegenzug für
politische Loyalität ein Stück vom Kuchen der Macht und des
Geldes abbekomme. Mit diesem System, das der
Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa "die perfekte
Diktatur" taufte, hielt sich die PRI 70 Jahre lang an der
Macht. "Persönliche Bereicherung war schon immer der Kern der
mexikanischen Politik. Das kann nur eine Revolution ändern",
schliesst Rubio vom Studienzentrum für Forschung und
Entwicklung (CIDAC).
- Datum 03.01.2018
- Autorin/Autor Sandra Weiss
- http://www.dw.com/de/mexiko-die-spitze-des-eisbergs-der-korruption/a-42019715
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