Donnerstag, 25. Januar 2018

Gewollter Kontrollverlust


Über die Naziverstrickungen des frühen Bundesnachrichtendienstes unter Reinhard Gehlen wird mittlerweile in aller Öffentlichkeit gesprochen – das »Stay-behind«-Netzwerk aber bleibt weiter außen vor

Von Wolf Wetzel
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Beim Anschlag auf das Oktoberfest am 26. September 1980 starben 13 Menschen. Ob der Täter, der Verbindungen zur faschistischen ›Wehrsportgruppe Hoffmann« unterhielt, zum »Stay-behind«-Netzwerk der NATO zählte, ist bis heute unklar (München am Tag des Attentats)
Wolf Wetzel schrieb an dieser Stelle zuletzt am 31. August 2017 über den NSU-Prozess.
Wenn ein Nachrichtendienst, der eigentlich als Auslandsgeheimdienst fungieren soll, Kriegsverbrecher deckt, weil seine Mitarbeiter am »Dritten Reich« nichts auszusetzen haben (bis auf dessen Zusammenbruch), wenn er bereit ist, im eigenen Land einen »illegalen Apparat« zu etablieren, »um alle Elemente zu bekämpfen, die eine pro-sowjetische Politik befürworten«1, wenn er den Außenminister der eigenen Regierung »beobachtet wie einen Staatsfeind«2 und Spitzel im Umfeld der eigenen Regierung, diverser Ministerien, den Parteien und den großen Medien unterhält, wenn er den »Parteigeheimdienst«3 der regierenden Partei mit Dossiers über politische Konkurrenten versorgt, dann nennt man das dahinter stehende System einen »tiefen Staat«. In der Bundesrepublik Deutschland aber wird der Hinweis darauf zunächst als »Verschwörungsphantasie« denunziert und wenn es sich nicht mehr widerlegen lässt, achselzuckend zur Kenntnis genommen. Der Geheimdienst, von dem hier die Rede ist, nennt sich Bundesnachrichtendienst (BND) und ist, zumindest dem Gesetz nach, im Ausland tätig. Sein Vorläufer wurde bereits 1946 aufgebaut und trug den Namen »Organisation Gehlen«. Reinhard Gehlen (1902–1979) war Generalmajor der Naziwehrmacht und Leiter des Armeegeheimdienstes »Abteilung Fremde Heere Ost«. Kurz vor der Niederlage des Faschismus ergab er sich und bot den Vereinigten Staaten seine Dienste an. So entstand, kontrolliert von den US-amerikanischen Besatzungsbehörden die »Organisation Gehlen«, für die das ehemalige NSDAP-Mitglied auf manche seiner ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter zurückgreifen konnte. Damit wurde, wie eine interne Studie der CIA 1954 freimütig einräumte, »ein braunes Sammelbecken« geschaffen. Zu den Mitarbeitern des westdeutschen Nachrichtendienstes zählten u. a.: Klaus Barbie, der berüchtigte Gestapo-Chef von Lyon, Alois Brunner, ein führender Mitarbeiter Adolf Eichmanns, Franz Rademacher, Leiter des sogenannten Judenreferats im Auswärtigen Amt, Walther Rauff, auf den die Verwendung mobiler Gaswagen zurückgeht, sowie viele andere »ehemalige« Nazis. Der neue Geheimdienst, so könnte man sagen, bestand aus Nazizellen. Die Mehrheit derer, die zu Beginn der 1950er Jahre in Westdeutschland politische Verantwortung innehatten, störte das nicht. Die »Organisation Gehlen« ging 1956 komplett im neu gegründeten BND auf. Und der Chef dieses Auslandsgeheimdienstes wurde – Reinhard Gehlen.

Faschistische Spezialtruppe

In seine Amtszeit fällt der Aufbau und die Führung einer staatsterroristischen Vereinigung namens »Stay-behind«. Unter konspirativen Umständen und Ausschaltung aller demokratischen ­Kontrollgremien wurden ab den 1950er Jahren in vielen NATO-Staaten unter Führung des Militärbündnisses neonazistische Gruppen angeworben und bewaffnet. In Deutschland war damit die »Organisation Gehlen« beauftragt. Das auf NATO-Ebene angesiedelte Stay-behind-Programm diente der Abwehr der »roten Gefahr«. Im Fall einer »sowjetischen Invasion« sollten Faschisten als irreguläre Truppen hinter den feindlichen Linien Aufklärung betreiben und Sabotageaktionen durchführen, daher die Bezeichnung Stay-behind. Zu ihrer Aufgabe zählte auch das Ausschalten von »Kollaborateuren«, die man bis in linke SPD-Kreise hinein sowie in der Friedensbewegung vermutete. Doch der »Tag X«, die militärische Invasion der Sowjetunion, blieb aus.
Als in den 1960er und 1970er Jahren die außerparlamentarische Opposition wuchs, und sich europaweit die politischen Kräfteverhältnisse nach links verschoben, veränderte sich auch der operative Auftrag dieses staatsterroristischen Netzes: Der Feind wurde fortan nicht mehr außen, sondern innen verortet. An die Stelle der Sowjetunion traten linke und kommunistische Parteien sowie militante Gruppen außerhalb des parlamentarischen Parteienspektrums. Zahlreiche Angriffe auf linke Zentren und Morde an Linken in verschiedenen Ländern, die selbstverständlich nie aufgeklärt werden konnten, gehen mutmaßlich auf das Konto der Stay-behind-Truppe.
Gleichzeitig orientierten die Verantwortlichen auf eine »Strategie der Spannung«: Mit Terroranschlägen, die auf den ersten Blick wahllos und sinnlos erschienen (wie der Bombenanschlag in Bologna am 2. August 1980 oder der auf das Oktoberfest in München am 26. September 1980), sollte ein Klima der Angst erzeugt werden, in dem die Bevölkerung bereitwillig weitere Einschränkungen von Freiheits- und Schutzrechten bis hin zur Ausrufung des Staatsnotstandes hinnehmen würde. Gleichzeitig nutzte man diese verheerenden Attentate, indem man linke Gruppierungen (in Italien die Roten Brigaden, in Deutschland die Rote Armee Fraktion) dafür verantwortlich machte, um so weitere repressive Maßnahmen gegen diese bewaffneten Organisationen zu legitimieren. Im Prinzip ging es darum, militante linke Gruppen mit extralegalem Terror zu bekämpfen. In Italien trug diese Verbindung von neofaschistischen Kadern, militärischen Führungsstäben und Geheimdiensten den Namen »Gladio«. Der Staat legte sich auf diese Weise, neben dem existierenden Gewaltapparat, eine Struktur zu, die von Gerichten ungestört operieren konnte.
Das schier Unvorstellbare, dass nach der militärischen Niederlage des Faschismus Regierungen in Europa und militärische Kommandostellen der NATO mit neofaschistischen Gruppierungen zusammenarbeiteten, war über 30 Jahre ein gutgehütetes Geheimnis. Die Aufklärung wurde behindert, wo es nur ging: Akten verschwanden, Beweismittel wurden vernichtet, Zeugen verstarben, und Aussagewillige nahmen sich das Leben. Bis heute wird behauptet, es habe sich bei den Terroranschlägen um Einzeltäter gehandelt. Dass es eine deutsche Stay-behind-Truppe gegeben hat, ist aber zumindest seit dem Jahr 2013 offiziell bekannt. Auf eine parlamentarische Anfrage des Linkspartei-Abgeordneten Andrej Hunko antwortete der Staatsminister Eckart von Klaeden: »Infolge der weltpolitischen Veränderungen hat der Bundesnachrichtendienst in Abstimmung mit seinen alliierten Partnern zum Ende des 3. Quartals 1991 die Stay-behind-Organisation vollständig aufgelöst.«4

Schwierige Reform

In letzter Zeit schreibt die Süddeutsche Zeitung (SZ) auffallend oft über den BND – und das äußerst kritisch. Da ist ungeschönt von faschistischen Kontinuitäten die Rede. Man nennt den BND ein »Schattenreich«, in dem Nazis Zuflucht, Anstellung und Schutz gefunden haben und dessen Mitarbeiter »außerhalb jeder parlamentarischen Kontrolle« agierten. Auch wird bemerkt, dass die parlamentarische Kontrolle des Nachrichtendienstes bis heute ein Witz ist und dass eine »Reform« her müsse. Der Ruf nach einer solchen wurde besonders laut, als der BND erst bestritt, dann log und schließlich zu dem Vorwurf schwieg, er sei Teil des globalen Überwachungssystems des US-Auslandsgeheimdienstes National Security Agency (NSA).
Nachdem der »NSA-Skandal« im Jahr 2013 für einigen Unmut und »verfassungsrechtliche« Bedenken sorgte, wollte man den Geheimdienst fortan an die kurze Leine nehmen und aus der rechtsfreien Zone herausholen – hieß es. Im Oktober 2016 kam dann die Reform – und wie! Was früher nicht explizit verboten war, wurde jetzt ausdrücklich erlaubt: »An diesem Freitag hat der Bundestag nun die größte BND-Reform aller Zeiten verabschiedet. Das Gesetz verpasst dem Dienst neue Regeln. Regeln, die für Transparenz und Klarheit sorgen, schwärmt die große Koalition. Kritiker schimpfen: Das Gegenteil ist der Fall, frühere Rechtsbrüche werden für die Zukunft legitimiert«, hieß es in einem Kommentar im Spiegel.5 Sicher ist jedenfalls eines: Die über 6.000 Arbeitsplätze beim BND sind gerettet, die Mitarbeiter können wieder ruhig schlafen: »Die frühere Rechtsgrundlage, die fast nichts verboten habe, habe die BND-Mitarbeiter verunsichert«, so der damalige Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Clemens Binninger (CDU).
Auch die SZ zeigte sich empört und ließ nicht locker. In der Ausgabe vom 8. Dezember 2017 war zu lesen: »Die Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes (BND) gestaltet sich trotz aller Reformen weiter sehr schwierig. Ein erst im Frühjahr installiertes neues ›Unabhängiges Gremium‹, das aus zwei Bundesrichtern und einem Bundesanwalt besteht, kommt in seinem ersten geheimen Bericht zu einem für Befürworter von Kontrollen des Bundesnachrichtendienstes deprimierenden Ergebnis.«6 Wie das Blatt weiter berichtet, hatte die Datenschutzbeauftragte des Bundes, Andrea Voßhoff, bereits im September 2016 massive Vorwürfe gegen den Auslandsnachrichtendienst erhoben und von »systematischen Gesetzesverstößen« gesprochen. Der BND habe ihre »Kontrolle rechtswidrig mehrmals beschränkt. Eine umfassende, effiziente Kontrolle« sei ihr nicht möglich gewesen. Die Schlussfolgerung in der SZ: »Im Grunde macht das neue Gremium die Erfahrungen, die schon die früheren Kontrolleure gemacht haben. Was wirklich wichtig sein kann, ist von irgend jemand geschwärzt worden. Vier Jahre ist es her, dass der Whistleblower Edward Snowden die Massenausspähung der amerikanischen National Security Agency (NSA) enthüllt hat. Dann kam heraus, dass BND und NSA eng zusammengearbeitet hatten und schließlich stand fest, dass auch der BND Ausländer wie Freiwild behandelte und sie kräftig ausspionierte. Schärfere, strengere Kontrollen wurden gefordert. Ein neues BND-Gesetz wurde verabschiedet. So wurde auch das neue Unabhängige Gremium geschaffen. Aber es scheint so zu sein, wie es immer war.«

Gehlens Archiv

Auch mit Blick auf die Geschichte des BND blieb die Zeitung aus München kritisch. Im Laufe des Jahres 2017 wurde der Redaktion Reinhard Gehlens Geheimarchiv zugespielt. In einer Reportage von Uwe Ritzer und Willi Winkler heißt es: »Die Vergangenheit kommt in zwei Pappkartons. Schmale Ordner, ein paar Schnellhefter, Stapel eng mit Maschine beschriebenes Papier (…). 46 Blechdosen, in Leinensäckchen oder gelben Kodak-Schachteln, in jeder Filmdose eine Spule mit meterlangem Zelluloidstreifen (…). Mehr als 100.000 Dokumente, sauber abfotografiert, systematisch auf Zelluloid archiviert, oft ›geheim‹ oder ›streng geheim‹ gestempelt.«7 Über die Herkunft des Materials schweigt die SZ sich aus, »aus vertraulicher Quelle zugespielt«, schreiben die beiden Journalisten. Inhaltlich findet sich manches Neue in dem Material, aber doch nichts Sensationelles. Das Gehlen-Archiv enthält die Lebensläufe zahlreicher Nazis, die in der BRD neben und mit Ex-Generalmajor Gehlen eine »demokratische« Karriere machen: den des Mitverfassers und Kommentators der »Nürnberger Rassengesetze«, Staatssekretär Hans Globke, Adenauers rechte Hand. Man erfährt, was auch nicht besonders neu ist, dass der BND alle bespitzelte, die man für »links« hielt, was damals noch die SPD einschloss. So wurde auch der Politologe Wolfgang Abendroth überwacht, weil er sich gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands ausgesprochen hatte. Er war dem BND ein eigenes Dossier wert. Und der Geheimdienst verfügte über einen Spitzel »ganz oben an der Spitze der SPD«, den Informationsdirektor Fried Wesemann. Die Reportage endet mit den Worten Gehlens, der bis zum letzten Atemzug ein Antikommunist und Nazi blieb: »Hitlers Entschluss, in die Sowjetunion einzufallen, war militärisch und politisch richtig, nur die Art, wie er den Feldzug führte, war falsch.«8
Das von der SZ über mehrere Artikel verteilte Material aus dem Privatarchiv zeigt, dass der BND tatsächlich ein eigenes »Schattenreich« aufgebaut hat, dass also in der BRD eine Form des »tiefen Staates« existiert. Es zeigt auch, dass all dies bis heute nicht aufgearbeitet, geschweige denn aufgelöst wurde. Man sollte sich fragen: Warum lassen Parlament und Regierung dies zu? Warum stärken sie dieses »Schattenreich« noch? Und eine weitere Frage stellt sich: Warum bekommt ausgerechnet die SZ das Privatarchiv Gehlens zugespielt?
Wer die Geschichte des BND kennt, und die kennt natürlich auch die SZ, wundert sich, dass in den Dokumenten aus Gehlens Privatarchiv über das Mitte der 1950er Jahre aufgebaute »Stay-behind«-Netzwerk nichts zu finden ist. Oder berichtete das Blatt nur nicht darüber? Schließlich erscheint es mehr als unwahrscheinlich, dass Gehlen darüber nichts archiviert hat. Und selbst wenn, warum erwähnt die SZ nicht wenigstens, dass Gehlen ein Gründungsvater dieses staatlichen Terrornetzes war? Warum verliert sie darüber kein einziges Wort?

Ein Dilettantenverein?

Wenn es nach dem Blatt aus München geht, so ist der BND bei keiner im Bundestag vertretenen Partei wohlgelitten – bis auf die CSU. Hans Leyendecker schreibt in der Ausgabe vom 1. Juni 2017: »Mit Verachtung, Spott und Misstrauen reagierte viele Jahre die Politik außerhalb Bayerns auf Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes (…). CDU-Kanzler Ludwig Erhard verwies den Verbindungsstab der Geheimen aus der Dachstube des Kanzleramts, weil er ›mit solchen Leuten‹ nichts zu tun haben wollte. Der SPD-Kanzler Helmut Schmidt höhnte über den ›Dilettantenverein‹«. In den 1990er Jahren soll der BND dann im Zuge der sogenannten Plutonium-Affäre auch »die letzten Getreuen« aus den Reihen der bayrischen Christsozialen verloren haben.9
Sollte all das stimmen, bliebe die Frage, warum dann der BND nach wie vor »unkontrollierbar« sein soll. Wenn das Parlament wollen würde, hätte es die Macht im Handumdrehen: Es müsste nur ein Gesetz verabschieden, das den BND dazu verpflichtet, das zu tun, was er bis heute torpediert. Die Rede vom zahnlosen Parlament, von hintergangenen Parlamentariern ist mehr als verschleiernd. Es handelt sich um eine falsch gelegte Fährte. Wer 60 Jahre vom Geheimdienst »hintergangen« wird, ist nicht hilflos, sondern Pate, Partner und Komplize.
Es gibt für diese Annahme keinen besseren Zeugen als Klaus-Dieter Fritsche (CSU). Ein Mann, dessen »Laufbahn« für sich spricht: Von 1996 bis 2005 war er Vizechef des Inlandsgeheimdienstes, genannt Verfassungsschutz. Um zu klären, wie versehentlich wichtige Akten von V-Leuten im Nahbereich des NSU vernichtet werden konnten, wurde er am 18. Oktober 2012 als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt. Im Gegensatz zu vielen anderen Bediensteten seiner ehemaligen Behörde war von ihm kein Bedauern zu hören und er täuschte auch keine Erinnerungslücken vor. Er machte vielmehr klar, warum die Behörde so gehandelt hat und warum dies richtig war: »Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. Es darf auch nicht so weit kommen, dass jeder Verfassungsfeind und Straftäter am Ende genau weiß, wie Sicherheitsbehörden operativ arbeiten und welche V-Leute und verdeckten Ermittler im Auftrag des Staates eingesetzt sind. Es gilt der Grundsatz ›Kenntnis nur wenn nötig‹. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.«10
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Er baute im Auftrag der USA die Vorläuferorganisation des BND auf – Reinhard Gehlen (1902–1979), Generalmajor der Naziwehrmacht und Leiter des Armeegeheimdienstes »Abteilung Fremde Heere Ost« (Aufnahme aus dem Jahr 1944)
Nach seiner Tätigkeit beim Inlandsgeheimdienst arbeitete Fritsche von 2005 bis 2009 als Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt. Von Dezember 2009 bis 2013 war er Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Im Januar 2014 stieg er zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt und zum Beauftragten für die Nachrichtendienste des Bundes auf. Er wurde damit zum ranghöchsten Beamten im Bereich »Innere Sicherheit«. Eine Traumkarriere. In dieser Funktion zeigte er Ende des vergangenen Jahres auch den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums ihre Grenzen auf. In der SZ war zu lesen, er habe die Kontrolleure des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu absoluter Vertraulichkeit im Zusammenhang mit dem Bericht des Unabhängigen Gremiums ermahnt (…). Sollte der Bericht an die Öffentlichkeit dringen, könne dies auch strafrechtliche Konsequenzen haben«.11

Kein Vertrauensverlust

Der immer wieder behauptete Vertrauensverlust zwischen Geheimdienst und politischer Führung existiert im Kern nicht. Sonst wäre Klaus-Dieter Fritsche nicht da, wo er heute ist. Tatsächlich schweißen die von ihm angesprochenen »Staatsgeheimnisse« alle zusammen: die Parteien und die Medien, die sich um sie scharen. Das betrifft ganz besonders die »Staatsgeheimnisse« in den Zuständigkeitsbereichen des BND und des Verfassungsschutzes. Denn wer möchte ernsthaft als regierungsbereite Partei das Fass »Stay-behind« aufmachen und sich damit möglicherweise selbst belasten? Wer will die »Staatsgeheimnisse« im Kontext der NSU-Terror- und Mordserie lüften, die dann nicht nur den Verfassungsschutz belasten würden, sondern auch all jene, die diesen politisch und dienstrechtlich führen? Wenn also die SZ über das, wofür »Gehlen« steht, nur die halbe Wahrheit schreibt, dann tut sie den Geheimdiensten trotz aller anderen Enthüllungen einen großen Gefallen. Und genau hier, bei den Geheimdiensten, darf man wohl auch die »vertrauliche Quelle« vermuten, die die SZ so reichlich beschenkt hat.
Anmerkungen:
1 Uwe Ritzer/Willi Winkler: »Jäger, Sammler, Vogelfreund. Blick ins Schattenreich des berüchtigten BND-Chefs Reinhard Gehlen«, Süddeutsche Zeitung, 2.12.2017
2 Ebd.
3 »Kanzler Adenauer ließ Willy Brandt bespitzeln«, Der Spiegel 15/2017
4 Stenografischer Bericht der 236. Bundestagssitzung vom 24.4.2013 (Plenarprotokoll 17/236, S. 29.634), ­http://dip21.­bundestag.de/dip21/btp/17/17236
5 Annett Meiritz: »Spionage-Affäre bequem abgeräumt«, Spiegel online, 21.10.2016
6 Hans Leyendecker/Reiko Pinkert: »BND behindert Kontrollgremium bei der Arbeit«, Süddeutsche Zeitung, 8.12.2017
7 Uwe Ritzer/Willi Winkler: »Jäger, Sammler, Vogelfreund, a. a. O.
8 Ebd.
9 Hans Leyendecker: »Ein Geheimdienst wie aus einem schlechten Agentenfilm«, Süddeutsche Zeitung, 1.6.2017
10 Hans Leyendecker/Reiko Pinkert, a. a. O.
11 Ebd.

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