IMI-Standpunkt 2017/038
Merkels fatales Kondolenztelegramm
von: Jacqueline Andres | Veröffentlicht am: 8. Dezember 2017
In ihrem Kondolenztelegramm an den ägyptischen
Präsidenten, Abdel Fattah Al-Sisi, betonte Bundeskanzlerin Merkel, sie
habe „mit großer Bestürzung […] die Nachricht vom Angriff auf eine
Moschee auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel erhalten, bei dem so viele
unschuldige Menschen den Tod fanden und viele weitere verletzt wurden.“
Merkel verurteilte diesen niederträchtigen Anschlag auf das Schärfste.
Bei dem besagten Anschlag Ende November 2017 auf die Rawda-Moschee in dem Ort Al Rawda im Norden Sinais wurden mehr als 305 Menschen getötet. Zu diesem Anschlag, der zumindest in den deutsch- und englischsprachigen Leitmedien als der blutigste in der modernen Geschichte des Landes benannt wird, bekannte sich bislang niemand, doch die ägyptische Staatsanwaltschaft hält die sich dem Islamischen Staat zuordneten Gruppe Wilaya Sinai (Provinz Sinai) für verantwortlich. An Sisi direkt richtete Bundeskanzlerin Merkel folgende politisch schwerwiegenden Worte: „Seien Sie versichert, dass Deutschland im Kampf gegen den Terror weiter an der Seite Ihres Landes und der Menschen in Ägypten stehen wird.“
Mit Bomben und brutaler Gewalt gegen Terror?
Sisi antwortete nur einen Tag später mit Luftschlägen auf den Anschlag – dabei kamen laut der Zeitung EgyptToday mindestens 30 Menschen ums Leben, von denen behauptet wird, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.[1] Nach Details und rechtlichen Grundlagen wird nicht gefragt. Auch die bombardierten Angriffsziele klangen im Artikel fast willkürlich und zufällig ausgewählt: es wurden Pickups bombardiert und weitere „terrorist hotbeds“ ausgehoben. Auf den von der ägyptischen Luftwaffe geposteten Bildern der Operation wird die schlechte Auflösung der Bilder deutlich, die wohl als Grundlage ihrer militärischen Maßnahme dienten, die auch ganz offiziell nicht die Festnahme Verdächtiger zum Ziel hat, sondern ihre „Eliminierung“.[2] An die ägyptischen Streitkräfte stellte Sisi die Forderung, innerhalb von drei Monaten die Situation in den Griff zu bekommen und befahl ihnen, die dazu „notwendige brachiale Gewalt“ anzuwenden. Im kommenden Jahr stehen wieder Präsidentschaftswahlen in Ägypten an und es ist davon auszugehen, dass Sisi die verbleibende Amtszeit dazu nutzen wird, sich politischer Gegner_innen im Rahmen seines Kriegs gegen den Terror zu entledigen. Ahmed Shafiq, der 2012 die Präsidentschaftswahl nur knapp gegen Mohammed Morsi verlor, stand zunächst nach seiner Absichtserklärung in 2018 erneut zu kandidieren, in den Vereinigten Arabischen Emiraten unter Hausarrest und wurde kurz danach nach Ägypten abgeschoben und gilt seither als verschwunden.[3]
Wie Sisi den Terror auf der Sinai-Halbinsel stärkte
Weitet man den Terrorismusbegriff auch auf staatlichen Terror aus, so ist der blutigste Anschlag von Sisi selbst gegen die Opposition angeordnet worden. Am 14. August 2013 erschossen ägyptische Sicherheitskräfte mehr als 1000 Anhänger_innen der Moslembruderschaft, die auf dem Rabi’a- und dem Al-Nahda-Platz gegen den Militärputsch Sisis und für den aus dem Amt gejagten ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Mohammed Morsi, demonstrierten. Hierbei handelt es sich laut Human Rights Watch um eine der brutalsten Massenhinrichtungen von Demonstrant_innen in der jüngeren Weltgeschichte und um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.[4] Nach dem Massaker erhielten die involvierten Sicherheitskräfte eine Bonuszahlung sowie ein Ehrendenkmal auf dem Rabi’a-Platz, das die gute Zusammenarbeit von Armee und Polizei zum Schutz der ägyptischen Bevölkerung symbolisieren soll.[5] Dieses brutale Vorgehen sollte für Sisis weiteren Umgang mit Dissens und Opposition zukunftsweisend sein und zu einer Radikalisierung und islamistischen Einfärbung des Dissenses vielerorts führen – auch auf der Sinaihalbinsel. Nachdem zunächst Unbekannte wiederholt die Gaspipeline von Sinai nach Israel sabotierten und sich infolgedessen das erste Mal als Ansar Beit Maqdis (ABM) vorstellten, nahm ihr Diskurs zunehmend islamistischere Töne an und die ägyptischen Sicherheitsdienste sowie die zahlreichen Militärunternehmen stellten ihre neuen Angriffsziele dar.
Krieg gegen Terror, den niemand sieht
Widersprechen kann den Erfolgsmeldungen des Militärs bezüglich seines Krieges auf dem Sinai auch kaum niemand – seit der Einführung des Ausnahmezustands auf dem Sinai im Jahr 2014 herrscht ein „media blackout“ auf der Halbinsel. Durch das wiederholte Abschalten des Mobilfunks und Internets können selbst Bewohner_innen die Vorgänge vor Ort oft nicht nach außen tragen.
Journalist_innen können nur selten in den Sinai einreisen und sollten sie in ihrer Berichtserstattung über den Krieg gegen den Terror auf der Halbinsel von der Linie der Regierung abweichen, so verstoßen sie gegen das 2015 erlassene Anti-Terrorgesetzt und landen immer wieder vor Militärgerichten, wie u.a Mohannad Sabry. Sabry sieht einen Grund für diesen Berichtsverbot darin, dass die Regierung befürchtet, den Erfolgsbehauptungen von Seiten seines Militärapparats könnte widersprochen werden und die traurige Realität eines mehrdimensionalen Versagens der Regierung offensichtlich werden. Auch nach dem Anschlag gestattete das Militär den Journalist_innen keinen Zugang zu der Moschee und verbat, Bilder der Beerdigungen zu machen.[6] Nach Aussagen von Khaled Megahed, einem Sprecher des Gesundheitsministeriums, habe dieses den Medien ohne weitere Erklärung verboten, mit den Verletzten zu sprechen.[7]
Seit der Amtszeit von Sisi wurden hunderte Menschen grundlos festgenommen, gefoltert und zum Teil auch außergerichtlich hingerichtet. Wie sein Amtsvorgänger ließ auch Sisi Tunnel zum angrenzenden Gazastreifen mit Salzwasser fluten, wodurch das Grundwasser versalzt. Um die Errichtung neuer Tunnel zu erschweren, ließ Sisi in der Zeit von Juli 2013 bis August 2015 mehr als 3.255 an den Gazastreifen angrenzende Häuser in der ägyptischen Stadt Rafah zerstören, um eine Pufferzone zu errichten. Viele der vertriebenen Bewohner_innen sahen sich durch die unverhältnismäßige geringe Entschädigung dazu gezwungen, in selbst errichteten Hütten in der Wüste zu leben, oder auch Zuflucht in Orten wie Al Rawda zu suchen.
Diese militärische Terrorismusbekänpfung verschlimmert die Situation auf dem Sinai, schafft einen fruchtbaren Boden für die Rekrutierung islamistischer Gruppierungen und verschärft die Misere der zwischen die Fronten des staatlichen und des islamistischen Terrors geratenen Anwohner_innen.
Ziel des Anschlags?
Einige Anwohner_innen sehen den Grund des Anschlages neben des Angriffs auf eine Moschee des Jaririya-Sufi-Ordens vor allem auch in der Zusammenarbeit der Dorfbewohner_innen mit den staatlichen Sicherheitskräften innerhalb der vergangenen Monate, die vor allem aus der Weitergabe von Informationen über die Bewegungen der Wilayat Sinai oder am Straßenrand platzierte unkonventionelle Sprengvorrichtungen bestand.[8] Der Krieg auf dem Sinai bringt die Bewohner_innen in die Situation, sich auf die Seite einer der Kriegsparteien zu stellen und zieht sie somit immer weiter in die Spirale der Gewalt. Die nach dem Anschlag gestellte Forderung der Union der Stämme Sinais nach einer Bewaffnung ihrer Mitglieder durch das Militär für den Krieg gegen Wilayat Sinai ist besorgniserregend und könnte den Weg in einen Bürgerkrieg pflastern.[9]
Bei dem Anschlag auf die Rawda-Moschee schienen die hinterlassenen Munitionsreste Aufschluss über die Täterschaft zu geben: auf ihnen waren die Initialen der ägyptischen Armee zu erkennen. Bisher, laut Al-Monitor, sei es nur der Gruppe Wilayat Sinai gelungen, bei Angriffen auf das Militär dessen Waffen und Munition zu erbeuten. Mehr Waffen versprechen mehr Gewalt. Zudem könnten nach einer Bewaffnung der Union der Stämme Sinais auch interne Streitigkeiten unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung bewaffnet ausgetragen werden.
Die Legitimierung der Luftschläge sind kein stiller Gruß
Das mit „stillem Gruß“ gezeichnete Kondolenztelegramm gießt somit mehr Öl ins Feuer, das seit Jahren Tausenden Menschen auf der Halbinsel Sinai das Leben gekostet hat und alle Bewohner_innen unter eine Kollektivstrafe stellt. Die Luftschläge, hinter denen Bundeskanzlerin Merkel steht, werden den durch Staatsterror und Marginalisierung entstandenen islamistisch eingeordneten Terrorismus auf der Halbinsel eher stärken als schwächen. Sabrys Ansicht nach müsse die Regierung, um die Situation vor Ort zu bessern, zunächst eingestehen, dass ihre Militäroperationen und Sicherheitspolitik der letzten Jahre ein Fehlschlag waren. Außerdem müssten die staatlichen Behörden unverzüglich die gravierenden und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen beenden, die – gepaart mit der aus wirtschaftlichen und politischen Marginalisierung entstandenen Perspektivlosigkeit – die lokale Jugend in die Arme bewaffneter Gruppen treibt. Die Wurzeln des Konfliktes liegen in der historischen Benachteiligung der Bedouinen auf dem Sinai, deren Unmut gegen den Staat mit der Kriminalisierung und Kollektivbestrafung von Seiten der Mubarak und der Sisi Regierungen stieg. Gespräche, Bildung, soziale Einbindung und wirtschaftliche Teilhabe könnten den hausgemachten Konflikt viel eher beheben. Doch davon ist in Merkels Kondolenztelegramm und der weitergehenden polizeilichen, militärischen und geheimdienstlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ägypten nichts zu erkennen.
Anmerkungen
[1] Air Force kills terrorists of mosque attack in fleeing pickups, egypttoday.com, 25.11.2017
[2]القوات الجوية تقتل عدد من العناصر الإرهابية المنفذة للهجوم الإرهابى , mod.gov.eg, 25.11.2017
[3]Ahmed Shafiq whereabouts unknown after he is ‚deported to Cairo‘, middleeasteye.net, 03.12.2017
[4] Ägypten: Tötungen in Rabaa und andere Tötungen wohl Verbrechen gegen die Menschlichkeit, hrw.org, 24.08.2014
[5]Five Egyptians arrested for vandalising army-built memorial in Rabaa, english.ahram.org.eg, 15.05.2014
[6]Mourad Hegazi: Province of Sinai ordered Rawda Sufis to halt rituals 1 week before Friday attack, madamasr.com, 24.11.2017
[7]Karoline Kamel, I was in Rawda, madamasr.com, 26.11.2017
[8]Sinai massacre forebodes more violence, al-monitor.com, 28.11.2017
[9]Should Egypt arm Sinai tribes to confront extremists?, al-monitor.com, 07.12.2017
Bei dem besagten Anschlag Ende November 2017 auf die Rawda-Moschee in dem Ort Al Rawda im Norden Sinais wurden mehr als 305 Menschen getötet. Zu diesem Anschlag, der zumindest in den deutsch- und englischsprachigen Leitmedien als der blutigste in der modernen Geschichte des Landes benannt wird, bekannte sich bislang niemand, doch die ägyptische Staatsanwaltschaft hält die sich dem Islamischen Staat zuordneten Gruppe Wilaya Sinai (Provinz Sinai) für verantwortlich. An Sisi direkt richtete Bundeskanzlerin Merkel folgende politisch schwerwiegenden Worte: „Seien Sie versichert, dass Deutschland im Kampf gegen den Terror weiter an der Seite Ihres Landes und der Menschen in Ägypten stehen wird.“
Mit Bomben und brutaler Gewalt gegen Terror?
Sisi antwortete nur einen Tag später mit Luftschlägen auf den Anschlag – dabei kamen laut der Zeitung EgyptToday mindestens 30 Menschen ums Leben, von denen behauptet wird, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.[1] Nach Details und rechtlichen Grundlagen wird nicht gefragt. Auch die bombardierten Angriffsziele klangen im Artikel fast willkürlich und zufällig ausgewählt: es wurden Pickups bombardiert und weitere „terrorist hotbeds“ ausgehoben. Auf den von der ägyptischen Luftwaffe geposteten Bildern der Operation wird die schlechte Auflösung der Bilder deutlich, die wohl als Grundlage ihrer militärischen Maßnahme dienten, die auch ganz offiziell nicht die Festnahme Verdächtiger zum Ziel hat, sondern ihre „Eliminierung“.[2] An die ägyptischen Streitkräfte stellte Sisi die Forderung, innerhalb von drei Monaten die Situation in den Griff zu bekommen und befahl ihnen, die dazu „notwendige brachiale Gewalt“ anzuwenden. Im kommenden Jahr stehen wieder Präsidentschaftswahlen in Ägypten an und es ist davon auszugehen, dass Sisi die verbleibende Amtszeit dazu nutzen wird, sich politischer Gegner_innen im Rahmen seines Kriegs gegen den Terror zu entledigen. Ahmed Shafiq, der 2012 die Präsidentschaftswahl nur knapp gegen Mohammed Morsi verlor, stand zunächst nach seiner Absichtserklärung in 2018 erneut zu kandidieren, in den Vereinigten Arabischen Emiraten unter Hausarrest und wurde kurz danach nach Ägypten abgeschoben und gilt seither als verschwunden.[3]
Wie Sisi den Terror auf der Sinai-Halbinsel stärkte
Weitet man den Terrorismusbegriff auch auf staatlichen Terror aus, so ist der blutigste Anschlag von Sisi selbst gegen die Opposition angeordnet worden. Am 14. August 2013 erschossen ägyptische Sicherheitskräfte mehr als 1000 Anhänger_innen der Moslembruderschaft, die auf dem Rabi’a- und dem Al-Nahda-Platz gegen den Militärputsch Sisis und für den aus dem Amt gejagten ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Mohammed Morsi, demonstrierten. Hierbei handelt es sich laut Human Rights Watch um eine der brutalsten Massenhinrichtungen von Demonstrant_innen in der jüngeren Weltgeschichte und um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.[4] Nach dem Massaker erhielten die involvierten Sicherheitskräfte eine Bonuszahlung sowie ein Ehrendenkmal auf dem Rabi’a-Platz, das die gute Zusammenarbeit von Armee und Polizei zum Schutz der ägyptischen Bevölkerung symbolisieren soll.[5] Dieses brutale Vorgehen sollte für Sisis weiteren Umgang mit Dissens und Opposition zukunftsweisend sein und zu einer Radikalisierung und islamistischen Einfärbung des Dissenses vielerorts führen – auch auf der Sinaihalbinsel. Nachdem zunächst Unbekannte wiederholt die Gaspipeline von Sinai nach Israel sabotierten und sich infolgedessen das erste Mal als Ansar Beit Maqdis (ABM) vorstellten, nahm ihr Diskurs zunehmend islamistischere Töne an und die ägyptischen Sicherheitsdienste sowie die zahlreichen Militärunternehmen stellten ihre neuen Angriffsziele dar.
Krieg gegen Terror, den niemand sieht
Widersprechen kann den Erfolgsmeldungen des Militärs bezüglich seines Krieges auf dem Sinai auch kaum niemand – seit der Einführung des Ausnahmezustands auf dem Sinai im Jahr 2014 herrscht ein „media blackout“ auf der Halbinsel. Durch das wiederholte Abschalten des Mobilfunks und Internets können selbst Bewohner_innen die Vorgänge vor Ort oft nicht nach außen tragen.
Journalist_innen können nur selten in den Sinai einreisen und sollten sie in ihrer Berichtserstattung über den Krieg gegen den Terror auf der Halbinsel von der Linie der Regierung abweichen, so verstoßen sie gegen das 2015 erlassene Anti-Terrorgesetzt und landen immer wieder vor Militärgerichten, wie u.a Mohannad Sabry. Sabry sieht einen Grund für diesen Berichtsverbot darin, dass die Regierung befürchtet, den Erfolgsbehauptungen von Seiten seines Militärapparats könnte widersprochen werden und die traurige Realität eines mehrdimensionalen Versagens der Regierung offensichtlich werden. Auch nach dem Anschlag gestattete das Militär den Journalist_innen keinen Zugang zu der Moschee und verbat, Bilder der Beerdigungen zu machen.[6] Nach Aussagen von Khaled Megahed, einem Sprecher des Gesundheitsministeriums, habe dieses den Medien ohne weitere Erklärung verboten, mit den Verletzten zu sprechen.[7]
Seit der Amtszeit von Sisi wurden hunderte Menschen grundlos festgenommen, gefoltert und zum Teil auch außergerichtlich hingerichtet. Wie sein Amtsvorgänger ließ auch Sisi Tunnel zum angrenzenden Gazastreifen mit Salzwasser fluten, wodurch das Grundwasser versalzt. Um die Errichtung neuer Tunnel zu erschweren, ließ Sisi in der Zeit von Juli 2013 bis August 2015 mehr als 3.255 an den Gazastreifen angrenzende Häuser in der ägyptischen Stadt Rafah zerstören, um eine Pufferzone zu errichten. Viele der vertriebenen Bewohner_innen sahen sich durch die unverhältnismäßige geringe Entschädigung dazu gezwungen, in selbst errichteten Hütten in der Wüste zu leben, oder auch Zuflucht in Orten wie Al Rawda zu suchen.
Diese militärische Terrorismusbekänpfung verschlimmert die Situation auf dem Sinai, schafft einen fruchtbaren Boden für die Rekrutierung islamistischer Gruppierungen und verschärft die Misere der zwischen die Fronten des staatlichen und des islamistischen Terrors geratenen Anwohner_innen.
Ziel des Anschlags?
Einige Anwohner_innen sehen den Grund des Anschlages neben des Angriffs auf eine Moschee des Jaririya-Sufi-Ordens vor allem auch in der Zusammenarbeit der Dorfbewohner_innen mit den staatlichen Sicherheitskräften innerhalb der vergangenen Monate, die vor allem aus der Weitergabe von Informationen über die Bewegungen der Wilayat Sinai oder am Straßenrand platzierte unkonventionelle Sprengvorrichtungen bestand.[8] Der Krieg auf dem Sinai bringt die Bewohner_innen in die Situation, sich auf die Seite einer der Kriegsparteien zu stellen und zieht sie somit immer weiter in die Spirale der Gewalt. Die nach dem Anschlag gestellte Forderung der Union der Stämme Sinais nach einer Bewaffnung ihrer Mitglieder durch das Militär für den Krieg gegen Wilayat Sinai ist besorgniserregend und könnte den Weg in einen Bürgerkrieg pflastern.[9]
Bei dem Anschlag auf die Rawda-Moschee schienen die hinterlassenen Munitionsreste Aufschluss über die Täterschaft zu geben: auf ihnen waren die Initialen der ägyptischen Armee zu erkennen. Bisher, laut Al-Monitor, sei es nur der Gruppe Wilayat Sinai gelungen, bei Angriffen auf das Militär dessen Waffen und Munition zu erbeuten. Mehr Waffen versprechen mehr Gewalt. Zudem könnten nach einer Bewaffnung der Union der Stämme Sinais auch interne Streitigkeiten unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung bewaffnet ausgetragen werden.
Die Legitimierung der Luftschläge sind kein stiller Gruß
Das mit „stillem Gruß“ gezeichnete Kondolenztelegramm gießt somit mehr Öl ins Feuer, das seit Jahren Tausenden Menschen auf der Halbinsel Sinai das Leben gekostet hat und alle Bewohner_innen unter eine Kollektivstrafe stellt. Die Luftschläge, hinter denen Bundeskanzlerin Merkel steht, werden den durch Staatsterror und Marginalisierung entstandenen islamistisch eingeordneten Terrorismus auf der Halbinsel eher stärken als schwächen. Sabrys Ansicht nach müsse die Regierung, um die Situation vor Ort zu bessern, zunächst eingestehen, dass ihre Militäroperationen und Sicherheitspolitik der letzten Jahre ein Fehlschlag waren. Außerdem müssten die staatlichen Behörden unverzüglich die gravierenden und zahlreichen Menschenrechtsverletzungen beenden, die – gepaart mit der aus wirtschaftlichen und politischen Marginalisierung entstandenen Perspektivlosigkeit – die lokale Jugend in die Arme bewaffneter Gruppen treibt. Die Wurzeln des Konfliktes liegen in der historischen Benachteiligung der Bedouinen auf dem Sinai, deren Unmut gegen den Staat mit der Kriminalisierung und Kollektivbestrafung von Seiten der Mubarak und der Sisi Regierungen stieg. Gespräche, Bildung, soziale Einbindung und wirtschaftliche Teilhabe könnten den hausgemachten Konflikt viel eher beheben. Doch davon ist in Merkels Kondolenztelegramm und der weitergehenden polizeilichen, militärischen und geheimdienstlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ägypten nichts zu erkennen.
Anmerkungen
[1] Air Force kills terrorists of mosque attack in fleeing pickups, egypttoday.com, 25.11.2017
[2]القوات الجوية تقتل عدد من العناصر الإرهابية المنفذة للهجوم الإرهابى , mod.gov.eg, 25.11.2017
[3]Ahmed Shafiq whereabouts unknown after he is ‚deported to Cairo‘, middleeasteye.net, 03.12.2017
[4] Ägypten: Tötungen in Rabaa und andere Tötungen wohl Verbrechen gegen die Menschlichkeit, hrw.org, 24.08.2014
[5]Five Egyptians arrested for vandalising army-built memorial in Rabaa, english.ahram.org.eg, 15.05.2014
[6]Mourad Hegazi: Province of Sinai ordered Rawda Sufis to halt rituals 1 week before Friday attack, madamasr.com, 24.11.2017
[7]Karoline Kamel, I was in Rawda, madamasr.com, 26.11.2017
[8]Sinai massacre forebodes more violence, al-monitor.com, 28.11.2017
[9]Should Egypt arm Sinai tribes to confront extremists?, al-monitor.com, 07.12.2017
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