Münchens Stadtrat fasste vor wenigen Tagen einen Beschluss, der die Informationsfreiheit in der Stadt spürbar einschränkt. Künftig wird verhindert, dass städtische Räume für Veranstaltungen vermietet werden dürfen, in denen Kritik an der israelischen Besatzungspolitik geübt und die befristete internationale BDS-Bewegung zum Boykott israelischer Produkte (boycott, divestment, sanctions) überhaupt nur erwähnt wird. Wenn es nach dem Stadtrat geht, dürfen auch keine Referenten wie zum Beispiel der israelische Journalist Gideon Levy mehr in städtischen Räumen auftreten. Der Redakteur der israelischen Zeitung Haaretz hatte im Mai bei einem Vortrag im Kulturzentrum Gasteig zu »50 Jahre israelische Besatzung Palästinas« auf eine Frage aus dem Publikum geäußert, er halte einen Boykott israelischer Waren auch durch deutsche Bürger für ein legitimes Mittel, um Israels Regierung zu bewegen, die völkerrechtswidrige Besatzung zu beenden.
Während Künstler und Intellektuelle vergeblich Widerspruch gegen das gemeinsame Vorhaben von SPD und CSU anmeldeten, freut sich Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens, »in einer Stadt zu leben, in der Geschichts- und Verantwortungsbewusstsein zu realer Politik werden«.
Die Grünen hatten im Stadtrat noch versucht, aus der Vorlage eine Formulierung zu streichen, die allein schon das »Befassen« mit Zielen der BDS-Bewegung untersagt, sie konnten aber gegen die geschlossene Front der Münchner Stadt-GroKo nichts ausrichten. Am Ende stimmte dann sogar die Mehrheit der grünen Stadträte doch mit SPD und CSU, gegen Linke und Ökologisch-Demokratische Partei.
Der Beschluss hat zur Folge, dass die Münchner Publizistin Judith Bernstein, Sprecherin der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe, die in Jerusalem als Tochter jüdischer Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland aufwuchs, in städtischen Räumen nicht mehr ihren Vortrag über »Jerusalem, das Herzstück des israelisch-palästinensischen Konflikts« halten kann. Der Grund: Die Dialoggruppe befürwortet den befristeten Boykott israelischer Produkte.
Dies voraussehend hatte die Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft »Frieden und internationale Politik« der Linken noch schnell für Oktober einen Saal für den Vortrag gebucht. Als der Gasteig den Saal dann plötzlich fristlos kündigte, konnte die Veranstaltung erst durch eine Gerichtsentscheidung erzwungen werden.
Der Stadtratsbeschluss vom 13. Dezember wird vermutlich eine Reihe neuer Gerichtsverfahren zur Folge haben, denn er verletzt die vom Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit (Art. 5). Noch im November hob der Bundesvorstand der Humanistischen Union in einer Erklärung hervor, dass Meinungsäußerungen unabhängig davon, »ob sie begründet oder unbegründet, emotional oder rational, sachlich oder polemisch sind«, vom Grundgesetz geschützt seien. Das Bundesverfassungsgericht habe die Meinungsfreiheit als »schlechthin konstituierend für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung« bezeichnet (Lüth-Urteil). Anfang Oktober war bereits ein von 500 Münchner Einzelpersonen unterzeichneter Aufruf »Hände weg von der Meinungsfreiheit in München!« den Stadträten und den Medien übermittelt worden, ohne dass es darauf Reaktionen gab.
Warum SPD und CSU diese Regelung so sehr wollten, dürfte mit der Nähe von Oberbürgermeister Reiter (SPD) zur Israelitischen Kultusgemeinde der Stadt zusammenhängen. Im Sommer hatte Reiter die Schirmherrschaft für den Israel-Tag übernommen, der unter dem Motto »50 Jahre Wiedervereinigung Jerusalems« stand. Da war er US-Präsident Trump ein paar Monate voraus.
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