Sonntag, 21. Januar 2018

Wege zum Glück (Erhard Jöst)


Haben Sie auch öfters Glückserlebnisse? Sicherlich! Man braucht ja nur den Computer einzuschalten und seine Mails abzurufen: Unter den Nachrichten finden sich meist mehrere mit der Information: »Sie haben gewonnen!« Man muss dem Absender dann nur seine Kontodaten geben, möglichst mit der Geheimzahl, und umgehend ist die Überraschung perfekt.

Ich bin in dieser Hinsicht für kriminelle Internetritter eine Niete: Ich mache keine Geschäfte online und nutze auch kein Internet-Banking. Wenn man mich auf die altmodische Art informiert, ist das etwas anderes. Vor einer Woche erhielt ich zum Beispiel von einem Bekleidungslieferanten, bei dem ich schon gelegentlich Hemden gekauft hatte, einen lieben Brief. Mit der Post! Aber was sage ich: Das war kein normaler Brief, das war eine richtige ethisch-philosophische Abhandlung. Die hat er für mich persönlich geschrieben. So entzückend und so einnehmend! Ich lese Ihnen einfach Passagen vor, dann können Sie sich selbst ein Bild machen:
»Lieber Herr Jöst! Viele Wege führen zum Glück. Einer davon besteht für mich darin, jeden Tag mit kleinen Erfolgserlebnissen zu bereichern. Heute ist mir bereits ein solches Erlebnis vergönnt, denn ich habe Sie dazu gebracht, meinen Brief zu öffnen. Das nächste Ziel ist nun, so originell und unterhaltsam zu sein, dass Sie ihn auch bis zum Ende lesen. Wäre ich Rockstar geworden, hätte ich es da sicher leichter: Auf einer großen Bühne und mit dem Mikro in der Hand wäre mir die Aufmerksamkeit der jubelnden Menge sicher. Doch ich habe mich für ein anderes Leben entschieden – das des Hemdenschneiders. Und an dieser Stelle kommen Sie als mein geschätzter Kunde ins Spiel. Ich möchte nämlich Danke sagen.«

Der Herr Hemdenschneider hat deshalb dem Brief einen Gutschein beigelegt. Dieser versprach 20 Prozent Nachlass. Wahnsinn: 20 Prozent! Und er machte keinen Mindestbestellwert zur Auflage. Nein, der Herr Schneider schrieb: »Kaufen sie sich dafür einfach, was Ihnen gefällt. Ich gebe gerne zu, dass mich das wirklich glücklich machen würde.«

Nun frage ich Sie: Hätten Sie diesem Angebot widerstehen können? Ich konnte es nicht. Ich habe mir sofort zwei Hosen zum Multikaufpreis in Höhe von 115 Euro bestellt und den Gutschein beigelegt. 115 Euro weniger 23 Euro laut Gutschein ergibt 92 Euro, hatte ich berechnet. Gestern bekam ich die Hosen, die beigelegte Rechnung führte den zu zahlenden Betrag in Höhe von 118,79 auf. Nanu, dachte ich, wie kommt das denn? Gut, man darf die Gebühr für Porto und Verpackung in Höhe von 6,95 Euro nicht vergessen. Zwar hatte ich auch einen Gutschein für kostenlosen Versand, aber den hatte ich der Bestellung nicht beigelegt, weil man keine zwei Gutscheine gleichzeitig vorlegen darf. Aber 92 plus 6,95 für Porto ergibt 98,95 – auf meiner Rechnung stand aber 118,79. Also dachte ich nach – und kam auf die Lösung!

Weil ich der Bestellung den Gutschein über 20 Prozent Rabatt beigegeben hatte, legte der Lieferant nicht den Multikaufpreis in Höhe von 115 Euro, sondern den Einzelkaufpreis in Höhe von 69,90 für jede Hose zugrunde. Zieht man von jeder Hose 20 Prozent ab, ergibt sich ein Betrag in Höhe von 55,92 Euro, zusammen 111,84 Euro, ergibt mit den 6,95 Euro für Porto einen Gesamtbetrag in Höhe von 118,79. Hätte ich zwei Hosen zum Multikaufpreis bestellt, ohne den Gutschein beizulegen, hätte ich diese zum Preis von 115 plus Porto, also für 121,95 Euro bekommen. Also habe ich mit dem Gutschein immerhin 3,16 Euro gespart. Gut: Aber hätte ich den Gutschein mit 20 Prozent Nachlass nicht eingelöst, sondern den für einen kostenlosen Versand, dann hätte ich nur 115 Euro für die Hosen zahlen müssen und nicht nur 3,16 Euro, sondern 6,95 Euro gespart. So kam ich zu der Erkenntnis, dass das Glück des Hemdenherstellers mein Pech war.

Aber noch einmal falle ich auf diesen Hemdenschneider-Trick nicht herein! Wenn er mir wieder einen Gutschein mit 20 Prozent Nachlass schickt, werde ich diesen wegwerfen. Denn wenn ich ihn beim Hemdenkauf einsetzte, dann müsste ich noch drauflegen, wie ich ausgerechnet habe. Denn ein Hemd kostet laut Katalog im Normalpreis 49,90 Euro, vier Hemden im Multikauf 139 Euro. Und jetzt rechnen Sie einmal mit: 49,90 Euro minus 9,98 Nachlass ergibt 39,92 Euro, das macht bei vier Hemden 159,68 Euro. Das sind sage und schreibe 20,68 Euro mehr, als wenn ich vier Hemden zum Multikaufpreis in Höhe von 139 Euro kaufe.

Also: Ins Feuer mit den Gutscheinen, die einen Nachlass versprechen und in Wirklichkeit die Ware teurer machen! Meine Erkenntnis lautet: Wege zum Glück muss man ohne Gutscheine einschlagen, sonst geht es in die Hosen.

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