Donnerstag, 25. Januar 2018

Beihilfe zum Angriffskrieg


Die deutsche Rüstungsindustrie konnte sich auf die große Koalition verlassen: Sie genehmigte mehr brisante Waffenexporte als ihre Vorgänger

Von Claudia Wangerin
War Sigmar Gabriel (SPD) über den geplanten Einmarsch der türkis
War Sigmar Gabriel (SPD) über den geplanten Einmarsch der türkischen ­Armee in Nordsyrien vorab informiert? Sagte er seinem türkischen ­Amtskollegen ­Mevlüt Cavusoglu dennoch die Nachrüstung deutscher Panzer zu? Washington und Moskau wurden im Vorfeld der völkerrechtswidrigen ­Invasion von Ankara über den geplanten Angriff in Kenntnis gesetzt. Was wusste ­Regierungschefin Angela Merkel (CDU)?
Bei solchen Erfahrungswerten kann sich die deutsche Rüstungswirtschaft nur wünschen, dass wieder eine große Koalition zustande kommt: Die letzte »Groko« hat in den vergangenen vier Jahren deutlich mehr Rüstungsexporte genehmigt als die Vorgängerregierung von Union und FDP.
Der Gesamtwert der Ausfuhren lag von 2014 bis 2017 bei 25,1 Milliarden Euro und damit 21 Prozent höher als in den Jahren der »schwarz-gelben« Koalition von 2010 bis 2013. Die noch vorläufigen Zahlen teilte das Wirtschaftsministerium auf Anfrage der Linksfraktion mit, die Aufstellung lag am Mittwoch der Deutschen Presseagentur vor. Lieferungen in Drittstaaten außerhalb von EU und NATO – darunter auch Kriegsparteien wie das absolutistische Königreich Saudi-Arabien – nahmen demnach sogar um 47 Prozent auf 14,48 Milliarden Euro zu.
Als Wirtschaftsminister gab dafür die meiste Zeit Sigmar Gabriel (SPD) grünes Licht, bis er im Januar 2017 das Amt des Außenministers übernahm. Als solcher stellte er noch vor zwei Wochen seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Aussicht, bereits gelieferte Leopard-2-Kampfpanzer aus deutscher Produktion mit Minenschutz nachzurüsten.
Dagegen sprach sich am Mittwoch selbst Gabriels Parteifreund Rolf Mützenich aus: »Ich glaube, das wäre zum jetzigen Zeitpunkt das falsche Signal«, sagte der SPD-Außenexperte am Mittwoch im Deutschlandfunk. Fotos dieser Panzer im Einsatz gegen den selbstverwalteten Kanton Afrin in Nordsyrien waren Anfang der Woche um die Welt gegangen. Dass sich der türkische Angriff, der am Samstag begann, nicht gegen die Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) richtet, war offensichtlich – das Gebiet wird von den überwiegend kurdischen Volks- und Frauenverteidigungskräften YPG und YPJ kontrolliert.
Die Fraktionschefin der Partei Die Linke im Bundestag, Sahra Wagenknecht, stellte am Mittwoch klar, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt und bezeichnete den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als Despoten. »Was für eine dreiste Lüge, wenn Außenminister Gabriel für den geplanten Panzerdeal mit der Türkei den gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus ins Feld führt. Denn die Panzer kommen nicht etwa gegen die Terrormilizen des IS zum Einsatz, sondern gegen kurdische Selbstverteidigungseinheiten in Syrien, die den Terror des IS seit Jahren mutig bekämpfen«, erklärte Wagenknecht. Ihre Fraktionskollegin Sevim Dagdelen hatte vergangene Woche deutsche Rüstungsexporte in die Türkei als »Beihilfe zum Mord an kurdischen Anti-IS-Kämpfern« bezeichnet. Die Bundesregierung müsse sofort alle Waffenlieferungen an das Land stoppen, die dort stationierten Soldaten der Bundeswehr abziehen und die Weitergabe von Zieldaten aus deutschen AWACS-Aufklärungsmaschinen unterbinden, so Dagdelen.
Albert Recknagel, Vorstandsmitglied der Menschenrechtsorganisation »Terre des Hommes«, wies am Mittwoch in einer Stellungnahme darauf hin, dass »alle 14 Minuten irgendwo auf der Welt ein Mensch mit einer deutschen Waffe getötet wird«.
Auch der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripur kritisierte den Anstieg der Rüstungsexporte. Es sei eine »Bankrotterklärung«, wenn die vorgesehene Einzelfallprüfung letztendlich mehr Ausfuhren bedeute, sagte Nouripur am Mittwoch im ARD-»Morgenmagazin«.
Allerdings hatten die Grünen selbst als Juniorpartner der SPD mitregiert, als Ende 2005 die Verteidigungsministerien Deutschlands und der Türkei die Lieferung von 354 »Leopard 2 A4«-Panzern besiegelten – ohne den Verwendungszweck auf Landesverteidigung zu begrenzen. Der Türkei wurde lediglich untersagt, die Panzer ohne Zustimmung der Bundesregierung an Dritte zu verkaufen oder zu verschenken.

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