Die im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten Verbände haben erneut an Mitgliedern verloren. Das teilte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann am Freitag beim Jahresauftakt des Dachverbands in Berlin mit. Demnach waren Ende 2017 noch 5,995 Millionen Menschen in einer der acht DGB-Gewerkschaften organisiert, etwa 52.000 weniger als im Jahr zuvor. Ein weiteres bedeutendes Thema der Pressekonferenz: Der Gewerkschaftsbund rät Union und SPD dazu, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen.
»Natürlich hätte ich mir nach wie vor eine Mitgliederzahl mit einer Sechs am Anfang gewünscht«, sagte Hoffmann. Doch nach wie vor sei der DGB die mitgliederstärkste Organisation der Bundesrepublik. 850 Menschen würden die ihm angehörenden Einzelverbände jeden Tag aufnehmen. »Wir lassen uns von der Entwicklung nicht irritieren, wenngleich wir nicht zufrieden sind«, so der DGB-Vorsitzende.
Hintergrund des Mitgliederrückgangs sei einerseits das hohe Alter vieler Gewerkschaftsmitglieder. Einige würden mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben auch aus der Gewerkschaft austreten. Zudem seien die DGB-Verbände zwar sehr gut darin, Jugendliche in einer dualen Ausbildung zu erreichen. Doch etwa 50 Prozent der Heranwachsenden würden nach der Schule ein Studium aufnehmen. Mit ihnen Kontakt herzustellen, falle den Gewerkschaften bisweilen schwer.
Hinzu komme ein drittes Problem: »Die verschiedenen Outsourcing-Prozesse in den letzten Jahrzehnten.« Unternehmen, sagte Hoffmann, würden immer weiter aufgespalten. So gliederten etwa Kliniken ihr Reinigungspersonal in eigene »Facility Management«-Betriebe aus, für die in der Regel kein Tarifvertrag gelte. Damit werde vordergründig der Grad der Tarifbindung in Deutschland angegriffen, doch die Vorgänge blieben auf Dauer nicht ohne Auswirkung auf die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder. Um gegenzusteuern, müsse die Politik es erleichtern, einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären (er gilt dann für sämtliche Betriebe einer Branche). Bislang müssten sowohl Unternehmer wie auch Gewerkschaften eine solche Allgemeinverbindlichkeitserklärung vom Staat verlangen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) stehe dabei »ständig mit beiden Beinen auf der Bremse«, so Hoffmann.
Doch diese Anliegen, so eine Befürchtung des DGB, werden bei der kommenden Regierung wohl kein Gehör finden. Mit Blick auf das Sondierungsergebnis von Union und SPD sagte Hoffmann: »In Hinsicht auf die Tarifbindung sehen wir noch deutlichen Nachholbedarf.« Auch dass Midijobs, also Stellen deren Entgelte zwischen 450 und 850 Euro liegen, ausgeweitet werden sollen, kritisierte der Gewerkschafter. Und hinsichtlich nötiger Investitionen in die Bildung und die Infrastruktur sei das Festhalten daran, keine neuen Kredite aufzunehmen, »nicht der Weisheit letzter Schluss«.
Trotzdem machte der DGB-Vorsitzende klar: Der Dachverband befürwortet eine neue Koalition aus Union und SPD. Man sei »insgesamt zu einer positiven Bewertung« der Sondierungsergebnisse gelangt, so Hoffmann. Im 28seitigen, von CDU, CSU und SPD verabschiedeten Ergebnispapier sei mehr an Verbesserungen enthalten, als es nach den »Jamaika«-Sondierungen der Fall gewesen sei, so etwa eine Stabilisierung des Rentenniveaus. Zuvor diskutierte Einschnitte wie die Schleifung des Arbeitszeitgesetzes seien abgewehrt worden. Explizit erwähnte Hoffmann, der selbst Mitglied der Sozialdemokratie ist, dass er hoffe, die SPD-Delegierten werden auf einem dafür anberaumten Sonderparteitag am Sonntag der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmen.
Noch am 9. Oktober hatte sich Hoffmann deutlich anders geäußert. Auf dem Gewerkschaftstag der IG Bauen, Agrar, Umwelt in Berlin wandte er sich an die versammelten Kollegen mit dem Ausspruch: »Die große Koalition wurde abgewählt.« Fast wortgleich hatten zu dieser Zeit die Spitzen der SPD ihren damals verkündeten Gang in die Opposition begründet.
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