IMI-Standpunkt 2017/039 - in: AUSDRUCK (Dezember 2017)
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 13. Dezember 2017
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Ganze Ausgabe des AUSDRUCK (Dezember 2017)
Zumindest in der Außendarstellung war der Krieg gegen Libyen 2011 die erste Nato-Intervention, bei der europäische Staaten die Führungsrolle übernommen hatten. Nachdem Frankreich und Großbritannien im November 2010 ein weitreichendes Abkommen zur Verteidigungskooperation beschlossen hatten, das Deutschland außen vor ließ, begannen sie, unterstützt von den USA, am 19. März 2011 mit Luftschlägen gegen die libyschen Truppen. Die NATO stieg erst drei Tage später ein und übernahm das Kommando. Bereits nach weniger als einem Monat wiesen die USA subtil auf ihre zentrale Rolle im Bündnis hin, nachdem Meldungen kursierten, den Briten und Franzosen gingen die Luft-Boden-Raketen aus. Was unter dem Vorwand des Schutzes der Zivilbevölkerung begonnen wurde, entlarvte sich als gnadenloser Luftkampf gegen die regiemetreuen Truppen und ihre Verbündeten. Für die damalige Zeit ungewohnt offen berichtete u.a. die Tagesschau aber auch über französische und britische Spezialkräfte, die nach Libyen gebracht wurden, um die Aufständischen auch am Boden zu unterstützen. Die USA organisierten umfangreiche Waffenlieferungen über den Balkan und die Arabische Halbinsel, Frankreich warf Kisten mit Waffen und Munition „zum Schutz der Zivilbevölkerung“ ab. Darüber hinaus wurden die umfangreichen Waffenlager des Regimes geplündert.
Sahel: Aufgerüstet und destablisiert
Noch bevor Muammar al-Gaddafi am 20. Oktober 2011 zu Tode gefoltert wurde, war jegliche staatliche Ordnung in Libyen zerstört und der vermeintliche Aufstand in eine Vielzahl konkurrierender Milizen zerfallen. In der Folge geschah das, was allen Beobachter_innen eigentlich von vornherein klar sein musste. Thinktanks und Strategieabteilungen dies- und jenseits des Atlantiks hatten bereits seit Jahren auf Bevölkerungswachstum, Armut und v.a. unkontrollierbare Grenzen zwischen Nord-, West- und Zentralafrika hingewiesen, von einem Pulverfass geredet und die Region aufgerüstet. Bei der EU liefen diese Programme unter der Maßgabe der Migrationsbekämpfung, bei den USA im Kontext des Kriegs gegen den Terror.
Insofern war absehbar, dass mit der Zerschlagung des Gaddafi-Regimes, welches ein umfangreiches Patronagesystem auch in den benachbarten Ländern unterhalten und Konflikte zwischen bewaffneten Gruppen moderiert hatte, die gesamte Großregion destabilisiert würde. Im Falle der Zentralfrikanischen Republik, die von muslimischen Milizen aus dem Tschad überfallen wurde, kann dabei sogar noch von einer aktiven Rolle Frankreichs ausgegangen werden. Dass sich schwer bewaffnete Tuareg aus Libyen quer durch den nördlichen Niger nach Mali aufmachen würden, war schlicht nicht zu verhindern. Sie griffen jene neuen Stützpunkte der malischen Armee und Polizei an, die zuvor mit EU-Unterstützung „die Präsenz des Malischen Staates in der Fläche“ – konkret im traditionell nach Autonomie strebenden Norden des Landes – verstärken sollten. Junge Offiziere im Süden putschten daraufhin in der Erwartung noch weit umfangreicherer Ausbildungs- und Ausstattungshilfe v.a. aus Europa, stürzten das Land damit aber letztlich vollends ins Chaos. Das nutzten islamistische Kräfte, die die Kontrolle in den Städten des Nordens übernahmen, was Frankreich als Vorwand nutzte, um im Januar 2013 mit Luftschlägen und Spezialkräften zu intervenieren.
Diese Intervention, die viel zu gut vorbereitet war, um tatsächlich – wie gemeinhin dargestellt – in letzter Sekunde erfolgt zu sein, um einen Vormarsch der Islamisten aufzuhalten, war von Anfang an nicht auf Mali beschränkt. Beteiligt waren unter französischer Führung Truppenteile aus den Nachbarstaaten (bzw. dem Tschad), die zuhause wiederum durch französische Spezialkräfte ersetzt wurden. Im August 2014 wurde der Einsatz unter dem Namen Operation Barkhane auch offiziell auf die Nachbarstaaten Mauretanien, Niger, Burkina Faso und den Tschad ausgedehnt, wo seitdem dauerhaft französische Soldaten präsent sind, um „den Terrorismus“ zu bekämpfen. De facto haben die betreffenden Staaten ihre Souveränität damit weitgehend abgegeben bzw. eingebüßt. Von Seiten der EU und NATO werden sie mittlerweile unter der Bezeichnung G5-Sahel zusammengefasst und als solche sollen sie nun eine gemeinsame Interventionstruppe aufstellen, die aus der EU finanziert und in der Praxis natürlich von Frankreich gesteuert wird.
Deutsche Beihilfe
Obwohl das Auswärtige Amt unter Guido Westerwelle gelegentlich noch Zweifel an der völkerrechtlichen Grundlage der französischen Intervention durchscheinen ließ, unterstützte das Verteidigungsministerium diese von Anfang an. Zunächst stellte es von Dakar (Senegal) aus den Lufttransport für die afrikanischen Truppen und Luftbetankung für die französischen Kampfjets bereit, dann übernahm die Bundeswehr wesentliche Anteile einer EU-Mission im Süden Malis, die jene Truppen ausbildet, die anschließend den Norden kontrollieren sollen. Seit die Präsenz afrikanischer Truppen in Mali in den UN-Einsatz MINUSMA überführt wurde, beteiligt sich die Bundeswehr hieran zusätzlich mit einem mittlerweile auf 1.000 Soldaten angewachsenen Kontingent und übernimmt sie zentrale Aufgaben wie Aufklärung, Führung, Lufttransport und Evakuierung. Die meisten dieser Soldaten sind im Camp Castor bei Gao im Nordosten Malis stationiert, das quasi den letzten gut gesicherten und erreichbaren Außenposten der internationalen Truppen darstellt, an den in nördlicher und östlicher Richtung die umkämpften Wüsten- und Grenzgebiete nach Algerien und Niger anschließen. Zentrale Aufgaben übernehmen neben den Objektschutzkräften der Luftwaffe die Heeresaufklärer und die Hubschrauberstaffeln der Division Schnelle Kräfte, zu denen auch u.a. die Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte gehört. Auch die beiden im Juli 2017 in Mali getöteten Piloten eines Kampfhubschraubers gehörten zu dieser Division. Erstmals seit Afghanistan werden hier auch die von Israel geleasten, großen Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron 1 eingesetzt. Außer in Bamako und Gao hat die Bundeswehr mittlerweile auch in Niamey im benachbarten Niger einen Logistikstützpunkt eingerichtet. Wie in Bamako findet auch hier eine EU-Mission zum Kapazitätsaufbau, also der Ausbildung von Polizei- und Gendarmeriekräften zur Bekämpfung der Migration und des Terrorismus statt.
Neue Deutsche Verantwortung
Ursula von der Leyen hatte kurz nach ihrem Amtsantritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt, dass sich das neue deutsche Selbstbewusstsein durch mehr militärische Einsätze in Afrika zeigen werde. Seitdem wurden in und bei den Hauptstädten Malis und Nigers mehrere zivile-militärische EU-Stützpunkte aufgebaut, die sichtbar auf Dauer angelegt sind und in denen Deutschland eine zentrale Rolle spielt. Die Spezialkräfte bleiben auch nach Afghanistan in Übung. Wer sich trotzdem noch fragt, warum Deutschland bereit ist, bei Frankreichs Bemühungen zur Restaurierung eines Französisch-Westafrikanischen Kolonialreichs und der Zurückdrängung des US-amerikanischen Einflusses in Westafrika den Juniorpartner zu spielen, der sei auf die Ergebnisse des Deutsch-Französischen Ministerrates vom 13. Juli 2017 verwiesen, in dem beide Länder – nach der Wahl Trumps und der Brexit-Entscheidung – unverhohlen ihren Führungsanspruch in der EU reklamierten. „Um die Debatte zu beleben … haben sich Frankreich und Deutschland auf eine Reihe von bindenden Verpflichtungen und Elementen für eine inklusive und ambitionierte PESCO geeinigt.“ PESCO bedeutet dabei die sog. Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, das Konzept eines militärischen Kerneuropas, in dem Deutschland und Frankreich nun vorangehen wollen, ohne auf lästige Mehrheitsentscheidungen Rücksicht nehmen zu müssen. „Eine langfristige Vision“, so heißt es weiter, „könnte darin bestehen, ein Streitkräftedispositiv in der gesamten Bandbreite zu
entwickeln – ergänzend zur NATO“. Das Ziel ist also gewissermaßen, sich als deutsch-französisches EUropa auch gegenüber der NATO zu positionieren und die Region, in der das verwirklicht werden soll, ist der sog. „Sahel“. Entsprechend stellten beide Regierungen fest, dass „die Sahelzone … eine zentrale Rolle in der strategischen Agenda der EU“ spiele und schlugen deshalb eine „Sahel-Allianz“ als „Plattform für ein verbessertes und erweitertes Eingreifen in der Sahelregion“ vor. In einer Epoche des allgemein konstatierten Bedeutungsverlustes der US-amerikanischen Führungsrolle realisiert sich das deutsch-französische Kerneuropa somit als Projekt zur Rekolonialisierung Westafrikas.
Rückschlag: Sklavenmärkte
Einer der nächsten Schritte dieser Rekolonialisierung Afrikas ist der gemeinsame Gipfel der Europäischen und Afrikanischen Union Ende November 2017 in Abidjan, Côte d’Ivoire, in dessen Vorfeld auch ein EU-Afrika-Wirtschaftsgipfel stattfand. Eine Woche zuvor fand bereits im Europäischen Parlament eine Konferenz „für eine erneuerte Partnerschaft mit Afrika“ statt, zu der hochrangige Vertreter der afrikanischen Politik angekündigt waren und insbesondere über verbesserte Kapazitäten zur Terrorismusbekämpfung diskutiert werden sollte. Die Stimmung war jedoch deutlich frostiger als erwartet. Grund waren wohl die zuvor bekanntgewordenen Bilder über Sklavenmärkte in Libyen, die bei afrikanischen Politiker_innen Empörung und eine erneute Kritik am NATO-Krieg gegen Libyen 2011 hervorriefen. Der EU-Außenbeauftragten Mogherini fehlte es wohl auch an entsprechender Sensibilität, als sie auf Fragen, wie die EU ihre Verantwortung angesichts öffentlicher Sklavenauktionen versteht und was sie zu tun gedenke, mit den immerselben Floskeln antwortete. Man habe die „libyschen Authoritäten aufgefordert, die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen“. Der Vorsitzende der Afrikanischen Union reagierte darauf mit der Aussage: „Im Moment gibt es keinen Staat, keine Rechte und kein Gesetz in Libyen.“ Von dieser scharfen Kritik an der EU ist jedoch in den Pressemeldungen des Europäischen Auswärtigen Dienstes und des Parlamentes nichts zu lesen.
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