Die Gewalt im Acapulco der Armen
Von Abel Barrera, Leiter des Menschenrechtszentrums Tlachinollan*
(Tlapa, Guerrero, 12. Januar 2018, la jornada).-
Gegen drei Uhr morgens, als auf dem Dorfsportplatz getanzt wurde,
sah ich, wie zwei Mitglieder der gemeindebasierten Polizei einer
Person folgten, die auf das Comisariado zurannte [Büro des
Comisario, dem Beauftragten für das Gemeindeland. Die Beauftragten
werden in der Theorie von der Gemeindeversammlung gewählt. Oft
erfolgt ihre Wahl aber unter Unregelmäßigkeiten oder die
Regierungsbehörden versuchen, die Comisarios zu kooptieren]. Bevor
diese dort Einlass fand, erreichten die beiden Gemeindepolizisten
sie und hielten sie fest. Als sie sie dann mitnahmen, zog eine der
Personen, die in dem Kommissariat tranken, ihre Pistole und schoss
auf sie. In diesem Moment kamen die Compañeros von der CRAC
[Regionale Koordination der Gemeindeversammlungen, die die
gemeindebasierte Polizei in verschiedenen Dörfern des
Bundesstaates Guerrero organisiert] zur Unterstützung angerannt.
Dies war der Augenblick, in dem die Schießerei losging. Sie spielte sich zwischen den
Leuten aus dem Comisariado und der gemeindebasierten Polizei ab.
Wir rannten alle in unsere Häuser und nur einige wenige näherten
sich dem Sportplatz, um zu erfahren, was vor sich ging. Was wir
wussten, war, dass weitere sechs Personen ermordet wurden und dass
die Leute vom Comisariado dafür verantwortlich waren. Gegen neun
Uhr kamen gut bewaffnete Polizeieinheiten des Bundesstaates. Sie
sprachen mit dem Comisario und mit Marco Antonio [Marco Antonio
Suastegui, Sprecher des Rates der Ejidos und Gemeinden in
Opposition zum Stauwerk
La Parota, Cecop]. Danach kam die Ermittlungspolizei
(policía ministerial). Mehrere Personen aus dem Dorf versteckten
sich im Berghang, weil sie Angst hatten, dass ihnen etwas
geschehen könnte.
Die Präsenz der Polizisten war nicht so sehr, um den
Familienangehörigen der Ermordeten zu helfen, sondern sich der
gemeindebasierten Polizei entgegenzustellen. Als die Körper für
den Transport zur Gerichtsmedizin vorbereitet waren, tauchte
plötzlich ein Hubschrauber auf. Er flog ganz tief über der
Kommandantur der CRAC. Unterdessen kamen mehr Pickups mit
Polizisten, sowohl vom Bundesstaat als auch von der
Ermittlungspolizei. Alle, die wir dort waren, hörten einen Schuss,
der aus einer Polizeiwaffe kam. Es war wie ein Signal, denn
daraufhin begannen die Regierungsleute zu feuern. Es waren viele,
sie kamen in mehr als 25 Pickups. Sie hatte uns bereits umzingelt
und darum zogen sie ihre Waffen. Von den gemeindebasierten
Polizisten gab es höchstens 20. Ihre Waffen sind mit denen, die
die Regierungspolizisten benutzten, nicht vergleichbar.
Als sie schossen, sahen wir wie Crescenciano Everado, Kommandant
der gemeindebasierten Polizei, mit seinen Händen am Kopf
hinkniete. Sie schleiften ihn weg und schlugen ihn. Wir wissen
nicht, was passierte, denn jetzt wird uns gesagt, dass er tot ist.
Dasselbe geschah mit Alexis „El Coco“ und „El Monty“, der Felciano
heißt. Inmitten der ganzen Schießerei sahen wir nicht, wie sie sie
umgebracht haben. Mehrere Compañeras begaben sich in das Gebäude
der gemeindebasierten Polizei, wo die Körper von Ulises und
Eusebio lagen, die beiden Gemeindepolizisten, die in den frühen
Morgenstunden ermordet worden waren. Die staatlichen Kräfte kamen
hinterher und stießen die Frauen nach draußen. Danach betraten sie
die Häuser der Leute vom Rat der Ejidos und Gemeinden in
Opposition zum Stauwerk La Parota (Cecop). Sie kamen schreiend
herein: „Wo sind die Waffen?“. Ohne Erlaubnis wühlten sie alles
durch. Sie wollten von uns wissen, wo sich Vicente befand, der
Bruder von Marco Antonio
Dasselbe machten sie in Aguacaliente mit anderen Compañeros vom
Cecop. Dorthin kamen sie mit Iván Soriano Leal alias„El
Chistorete“. Ihn hatte die gemeindebasierte Polizei festgenommen,
weil sie in dem Auto, mit dem er und weitere drei Personen
unterwegs waren, Waffen und Marihuana fanden. Er zeigte und sagte
den Polizisten, wo die Mitglieder des Cecop lebten. Er machte sie
glauben, dass sie über viele Waffen und ebenfalls Drogen
verfügten. Sie gingen zum Haus von Vicente in Aguacaliente und
sagten dort seiner Schwiegermutter, sie solle die 300 Waffen
übergeben, die versteckt seien. Sie suchten sogar in den Eimern
mit benutztem Klopapier und im Kühlschrank nach, ohne etwas zu
finden.
Sie entwaffneten alle Polizisten der CRAC, schleiften sie mit
sich und rissen ihnen ihre Uniformen vom Leib. Marco Antonio
legten sie Handschellen an und warfen ihn auf einen Pickup. Jetzt
wissen wir, dass ihn zum Berg mitnahmen und ihn dort folterten.
Sie verhüllten sein Gesicht und schlugen ihm mit einem
Moringa-Holz auf die Gesäßbacken, bis er das Bewusstsein verlor.
Sie zwangen ihn, einen Schuss abzugeben. Sie sagten ihm, dass sie
ihn nun endgültig fertig machen würden. Dass er diesmal nicht
davon kommen würde, er sei überfällig. Wir Frauen haben Angst,
dass der Comisario Rache ausübt, denn er wird von der Polizei des
Bundesstaates und der Ermittlungspolizei begleitet. Wir sehen auch
die Pistoleros herumstreifen, die mit Humberto Marín arbeiten.
Dieser zahlt dafür, dass die CRAC verschwindet und dafür, dass die
Comisarios gewählt werden, die seiner Gruppe angehören. Die
Regierung unterstützt die Befürworter*innen des Staudamms La
Parota. Uns vom Cecop haben sie überdrüssig und Marco wollen sie
umbringen.
Die Regierung erklärt, dass wir die Kriminellen sind. Sie
erfindet, dass wir Schwerbewaffnete sind und uns dem Drogenverkauf
widmen. Sie soll herkommen, um zu sehen, wie wir leben. Unser Haus
hat nicht einmal einen Zementfußboden. Schau dir nur einmal die
Straße an, das sieht nicht nach Acapulco aus. Hierhin haben sich
weder Gott noch der Teufel jemals verirrt. Wir bearbeiten das Land
und können gerade einmal genug Mais ernten, um das Jahr über zu
essen zu haben. Von der Regierung kommt keine Unterstützung, um
Arbeit zu haben und unsere Böden besser bearbeiten zu können. Uns
Arme behandeln sie wie Idioten und Faulpelze. Ganz besonders uns
vom Cecop. Sie haben uns über, weil wir nicht erlauben, dass die
Nationale Stromgesellschaft unser Land betritt, um den Staudamm La
Parota zu bauen.
Die Regierung hat sich darum gekümmert, Hass in unseren Dörfern
zu säen und lässt es nicht zu, dass wir uns organisieren. Seit
sich die gemeindebasierte Polizei in La Concepción gegründet hat,
hat die Regierung sich anderer Gruppen und Personen bedient, um
einen Zusammenstoß zu provozieren. So geschah das mit der
Vereinigung der Dörfer und Organisationen des Bundesstaates
Guerrero (Upoeg; [inzwischen regierungsnah und paramilitärisch
organisiert]) und mit „El Chistorete“, einem ehemaligen Militär,
der auf die Unterstützung der Regierung und der Leute, die mit dem
Verbrechen arbeiten, zählen kann. Ihn schützen die Polizisten und
er nützt ihnen als Informant. Darum haben sie ihn befreit. Das
Problem geht weiter, denn der Comisario organisiert die Leute,
damit sie uns aus dem Dorf vertreiben. Er sagt, wir vom Cecop
haben die Schuld an dem Vorfall. Mit der Unterstützung der
Regierung sind sie in die Kommandantur der CRAC eingedrungen und
haben alles in den Hof geworfen. Unter Geschrei und Gelächter
haben sie alles verbrannt, damit es keine Beweise dafür gibt, wie
die Regierungspolizisten unsere Polizisten umbrachten. Darum
schlugen sie auch mehrere Journalisten und nahmen ihnen ihre
Ausrüstung weg. Denn die Journalisten wissen, was sie taten. Sie
wollen nicht mehr, dass die Journalisten ins Dorf kommen. Am Tag
der Beerdigung warfen sie diese hinaus und sagten ihnen, falls sie
nicht wollten, dass ihnen etwas zustieße, kämen sie besser nicht
zurück. Sie sagen, die gemeindebasierte Polizei sei nun zusammen
mit ihren Toten begraben, jetzt werde die Polizei des
Bundesstaates im Dorf sein. Sie wollen Rache und das Stauwerk La
Parota. Wir wollen, dass unsere Territorien respektiert werden.
Wir wollen, dass die Regierung uns in Frieden lässt. Dass sie
wirklich untersucht, was Sonntag im Morgengrauen passiert ist und
dass sie aufhört, ihre mordenden Polizisten zu schützen. Wir
wollen, dass dieser Albtraum in dem Acapulco, in dem wir Armen
leben, endlich ein Ende hat.
*Abel Barrera, 2011 mit dem Amnesty International Menschenrechtspreis der deutschen ai-Sektion
ausgezeichnet, fasst in diesem Text verschiedene Zeugenaussagen
von Mitgliedern des Rates der Ejidos und Gemeinden in Opposition
zum Stauwerk La Parota (Cecop) zusammen.
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