IMI-Analyse 2016/15
Der Internationale Frauenstudiengang Informatik der Hochschule Bremen und die Bundeswehr
von: Thomas Gruber | Veröffentlicht am: 7. Juni 2016
Die Hochschule Bremen geht für den internationalen Frauenstudiengang Informatik (IFI) eine enge Kooperation mit der Bundeswehr ein. Neun der 38 Studienplätze werden jährlich für Offiziersanwärterinnen der Bundeswehr im Rahmen eines dualen Studiums geblockt.[1] Die HS Bremen übernimmt damit eine wichtige Rolle in der Ausbildungsoffensive des deutschen Militärs, sie verschafft der im Cyberkrieg und dem digitalen Wettrüsten scheinbar so weit abgehängten Bundeswehr[2] Zugriff auf aktuelle informatische Forschungsergebnisse und essentielles technisches Know-How. Dass dabei erhebliche Geldmittel vom Militär in die Hochschule fließen werden, betont auch der Hochschulsprecher Ulrich Berlin, laut dem die Bundeswehr sich am IFI mit Verwaltungskosten beteilige. Darüber hinaus dürfen „Kooperationspartner […] keinen Einfluss auf die Inhalte nehmen.” Und weiter: „Es gibt also auch keine inhaltlichen Änderungen im Studiengang.” Dass eine solche Entscheidung allerdings sehr wohl zu einschneidenden Änderungen von Studieninhalten im IFI führen kann, muss inzwischen wohl auch der Hochschulsprecher feststellen: Ralf Streibl, der seit der Gründung des Studienganges im Jahr 2000 als Lehrbeauftragter des Fachgebietes „Informatik und Gesellschaft” an der Hochschule Bremen angestellt war, gibt aufgrund der Kooperation der HS Bremen mit der Bundeswehr seine Lehrtätigkeit auf. In einem offenen Brief[3] an die Hochschulrektorin begründet der Dozent seine Entscheidung und zeigt damit auf, wie sich die Hochschule als Wegbereiterin einer militarisierten zivilen Forschungslandschaft der eigenen Profilierung einer selbstreflektierenden wissenschaftlichen Institution beraubt.
Was hat die Informatik mit der Gesellschaft zu tun und was will die Gesellschaft von der Informatik?
Der informatischen und informationstechnologischen Forschung kann aus zwei sehr unterschiedlichen Perspektiven begegnet werden. Zum einen befasst sich die wissenschaftliche Arbeit in der Informatik oft mit der Formulierung und der Lösung programmierlogischer oder hardwaretechnischer Fragestellungen, die Forscher_innen können daher die Motivation ihrer Arbeit in der theoretischen Bearbeitung komplexer mathematisierter oder technischer Probleme finden, ohne einen Anwendungsbezug herstellen zu müssen. Zum anderen sind viele ethisch problematische Technologien und Programme ohne Forschungsergebnisse aus der Informatik schlicht undenkbar. Seien es kryptologische Konzepte zur Bereitstellung von Überwachungstechnologie, die Programmierung und Steuerung militärisch genutzter Satellitensysteme oder die automatische Zielerkennung einer Kampfdrohne mit Methoden des maschinellen Lernens – viele Prozesse in der polizeilichen Überwachung oder der modernen Kriegsführung sind auf die Forschung in der Informatik angewiesen. Da die Informatik damit einige drastische Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft, wie die Verletzung der Privatsphäre von Bürger_innen durch immer weiter umgreifende Überwachung oder die Bedrohung von Menschenleben durch moderne Kriege, erst möglich macht, werden Forschungsschwerpunkte und -projekte von Informatiker_innen zunehmend zu einem Politikum. Die Konzepte im Cyberwar, wie beispielsweise die Verbreitung von Schadprogrammen auf Privatrechnern, die Bedrohung ziviler Infrastruktur oder die Offenlegung privater Kommunikation, fußen zudem oft auf der militärischen Instrumentalisierung von Bürger_innen oder dem Missbrauch vorwiegend zivil genutzter Kommunikationsstrukturen als militärisches, geo- und wirtschaftspolitisches Schlachtfeld.
Dass die Auswirkungen informatischer Forschung unter diesen Gesichtspunkten Gegenstand eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses sein müssen, ist selbstverständlich. Die Forderung nach einer solchen Debatte kann auch die Hochschulen, von denen die Forschungsergebnisse ausgehen, nicht aussparen – Hochschulen sind weder ein abgeschotteter Elfenbeinturm, in dem die Forscher_innen sich ihrer eigenen Verantwortung stellen und dieser ohne Wechselwirkung mit der Gesellschaft nachkommen können, noch sind sie Institute, die zur reinen Auftragsforschung missbraucht werden dürfen. Ralf Streibl schreibt in seinem offenen Brief: „Verantwortung in der Wissenschaft endet nicht bei Forschung. Die Identifikation, Betrachtung, Analyse, Bewertung und Reflexion von Rahmenbedingungen, divergierenden Interessen, gesellschaftlichen Wirkungen, ethischen Fragen und Dilemmata, Entwicklungspfaden, Handlungsspielräumen und Gestaltungsoptionen im offenen kommunikativen Miteinander und im gegenseitigen kritischen Diskurs muss wesentlicher Teil von Hochschullehre und Studium sein.”[4]
Peacebuilding mal ernst gemeint – eine zentrale Aufgabe der Hochschule
Während Frieden als gesellschaftlicher Grundwert unbestreitbar scheint, drängen militärische und staatliche Akteur_innen auf eine immer aktivere Umprägung von Konfliktlösungen in der öffentlichen Wahrnehmung. „Friedensmissionen” im Rahmen politischer Konflikte, „humanitäre Interventionen” gegen gesellschaftliche Krisen und nicht zuletzt nationale Sicherheit durch Terrorismusbekämpfung – der Duktus wie die konkrete Außen- und „Sicherheitspolitik” rutschen immer stärker ins Militärische ab. Ralf Streibl dazu: „Kriterium für Frieden ist die Fähigkeit, mit Konflikten umzugehen […]. Erforderlich hierfür ist gleichermaßen eine Friedensstruktur wie auch eine Friedenskultur. Dem entgegen steht jedoch die bis heute in vielen Köpfen fest verwurzelte Überzeugung, Frieden sei nur durch Stärke erreichbar. Diese Überzeugung zu hinterfragen und in einem offenen Diskurs jenseits militärisch geprägter Sichtweisen den Weg zu einer echten Friedensfähigkeit zu eröffnen ist eine große Herausforderung für Politik und Gesellschaft und damit eine zentrale Aufgabe für Bildung und Wissenschaft.”[5]
Dabei ist wohl die wichtigste Frage, wie der Übergang zu einer solch reflektierten Bildungs- und Forschungspraxis aussehen soll. Professor_innen, Dozent_innen und wissenschaftliche Mitarbeiter_innen geraten inzwischen immer stärker unter den Druck der Liberalisierung des Forschungssektors. Die Einwerbung kompetitiver Drittmittel ist längst ein fester Bestandteil von Stellenausschreibungen und die Ablehnung eines Forschungsthemas aufgrund ethischer Bedenken kann schlimmstenfalls als Arbeitsverweigerung eingestuft werden – zumindest schadet es mit großer Wahrscheinlichkeit dem internationalen Ansehen der Forscher_innen. Dem entgegen steht die Möglichkeit ebenjene Missstände innerhalb der Bildungs- und Forschungseinrichtung auf allen Ebenen zu diskutieren und kritisch zu begleiten. Die Fragen, mit welchen eine Hochschule im Kontext dieser Anforderungen konfrontiert wird, formuliert Ralf Streibl wie folgt:[6]
- „Ermutigt und unterstützt sie ihre Mitglieder, regelmäßig im Sinne praktizierter gesellschaftlicher Verantwortung die Auswirkungen und Folgen eigenen wissenschaftlichen Handelns in Forschung und Lehre zu prüfen und zu hinterfragen?”
- „Werden Studierende angeregt und eingeladen, sich mit entsprechenden Fragen und Problemen als Teil ihres Studiums zu beschäftigen?”
- „Ermöglicht die Institution einen öffentlichen Diskurs über die Bedeutung und Folgen der dort betriebenen Forschung?”
- „Schafft sie Transparenz durch eine Verpflichtung zur Bekanntgabe von Forschungsthemen, Kooperationen und Herkunft von Fördermitteln sowie die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Forschungsergebnissen?”
- „Fördert sie Diskurse in den Gremien und Fächern hinsichtlich der Ambivalenz wissenschaftlicher Erkenntnisse und Entwicklungen?”
„Unsere Gesellschaft braucht mehr Menschen, die Rückgrat zeigen!”
Den Lehrbeauftragten, der diese Fragen als Aufgabe an eine verantwortungsbewusste Bildungseinrichtung stellt, ist die HS Bremen damit los. Der Hochschulsprecher Ulrich Berlin verargumentiert die Kooperation der Hochschule mit der Bundeswehr damit, dass neue Zielgruppen für den Studienfang erschlossen werden sollen, da die Nachfrage für den IFI nicht besonders stark war.[7] Dass Berlin dabei eher wie ein PR-Berater für Großunternehmen klingt als ein Vertreter einer zivilen Bildungseinrichtung, passt zur „Zielgruppe”, die erschlossen werden soll: Es wird sich nicht mit interessanten Inhalten oder einem innovativen Bildungsangebot um neue Studentinnen bemüht und damit das Profil des Informatikstudiums an der Hochschule gestärkt, sondern es werden Studienplätze an die Bundeswehr verkauft, die damit Soldatinnen zu Expert_innenwissen verhilft. Eine wirkliche Profilierung würde die Stärkung eines wissenschaftsethischen und politischen Diskurses innerhalb der Hochschule bedeuten und gerade nicht die offene Einladung für die Bundeswehr, den IFI in einen militärischen Kontext zu setzen. Ralf Streibl beschließt seine Entscheidung folgendermaßen: „Als Reaktion auf den Beschluss der Hochschule Bremen, den besagten Kooperationsstudiengang mit der Bundeswehr einzurichten, werde ich […] meine langjährige Mitwirkung in diesem Studiengang beenden. […] Mein Bemühen galt der Schaffung eines anregenden Lern- und Studienambiente, in welchem – geprägt durch Offenheit, Wertschätzung und Reflexion – die Studentinnen die Möglichkeit erhalten sollten, Szenarien und Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und zu bewerten, ihre und anderer Leute Sichtweisen in Frage zu stellen und vor allem kontrovers zu diskutieren. In der Presse wurde berichtet, dass – laut Leitung der Hochschule Bremen – die Bundeswehr keinen Einfluss auf Inhalte des Studiums nehmen könne. Dies mag formal auch so sein. Durch die strukturelle und finanzielle Verbindung zwischen Hochschule und Bundeswehr verändert sich aber der Gesamtkontext. Ich selbst bin nicht dazu bereit, als Person und mit meiner Lehrveranstaltung Teil solch einer Konstruktion zu sein”.[8]
Ob die HS Bremen Ralf Streibls alte Stelle noch einmal neu vergibt, ist bislang unklar; sie führt den Studieninhalt zu „Informatik und Gesellschaft” zumindest an prominenter Stelle in der Beschreibung der Studieninhalte des IFI auf.[9] Dass bei einer Neubesetzung der Lehrstelle die ergebnisoffene Diskussion über ethisch fragwürdige und diskutable Forschung eine untergeordnete Rolle spielen dürfte, ist dagegen absehbar. Abschließend steht vor allem eines fest: An deutschen Forschungseinrichtungen wie in der Öffentlichkeit muss ein lebhafter Diskurs über die zunehmende Militarisierung und die Liberalisierung des Bildungs- und Forschungssektors stattfinden. Dabei ist dem Bremer AStA, wenn er über das Ausscheiden von Ralf Streibl aus der Hochschule schreibt, nur wenig hinzuzufügen: „Unsere Gesellschaft braucht mehr Menschen, die Rückgrat zeigen!”[10]
Anmerkungen
[1] Hochschule will mit Bundeswehr zusammen arbeiten, https://weserreport.de/2016/04/28/weser/sued/hochschule-will-mit-bundeswehr-zusammen-arbeiten/, aufgerufen am 23.5.2016.
[2] Von der Leyens später Eintritt in den Cyberwar, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ursula-von-der-leyen-stellt-cyberarmee-kdocir-auf-14200457.html, aufgerufen am 23.5.2016.
[3] Offener Brief von Ralf Streibl an die Hochschulrektorin der HS Bremen, http://www.kramschubla.de/hsb/HSB.pdf, aufgerufen am 23.5.2016.
[4] Ebd., S. 4-5.
[5] Ebd., S. 3.
[6] Ebd., S. 7.
[7] Geplanter dualer Studiengang in der Kritik, http://www.duales-studium.de/news/geplanter-dualer-studiengang-in-der-kritik, aufgerufen am 23.5.2016.
[8] Offener Brief, S. 8-9.
[9] Studieninhalte des Internationalen Frauenstudiengangs Informatik, http://www.hs-bremen.de/internet/de/studium/stg/ifi/inhalte/, aufgerufen am 23.5.2016.
[10] Facebook-Eintrag des AStA Bremen am 19.5.2016, https://www.facebook.com/astahsb/?fref=nf, aufgerufen am 23.5.2016.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen