Dienstag, 7. Juni 2016

Eintausend deutsche Soldaten in Mali

IMI-Analyse 2016/14



von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 30. Mai 2016


Mit überwältigender Mehrheit (503 zu 66 Stimmen bei sechs Enthaltungen) hat der Bundestag am 28. Januar der „Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung“ der Bundeswehr an der MINUSMA-Operation in Mali zugestimmt. Anfang März dann besuchte die Verteidigungsministerin von der Leyen mit hochrangiger Delegation für drei Tage das Land und auch die im Aufbau befindlichen deutschen Container im von der niederländischen Armee übernommenen Camp Castor im umkämpften Norden des Landes. Das sorgte kurzfristig für etwas Berichterstattung über den Bundeswehreinsatz, die danach aber schnell wieder abebbte. Das ist erstaunlich, denn die Mission in Mali könnte bald Afghanistan als gefährlichsten Einsatz der Bundeswehr ablösen.
Als von der Leyen Camp Castor besuchte, waren bereits etwa 200 Soldat_innen der Bundeswehr vor Ort. Mit als Erste waren bereits im Februar Sanitätskräfte dort stationiert worden, die künftig verletzte Bundeswehrangehörige versorgen sollen. Insgesamt umfasst das Mandat des Bundestages den Einsatz von 650 Kräften der Bundeswehr, von denen etwa 400 im Norden, der Rest überwiegend in der Hauptstadt Bamako im Süden stationiert sein werden. Dem Sanitätstrupp folgten Spezialpioniere aus Husum, die für den Aufbau der Container und deren Sicherung u. a. mit insgesamt 320.000 Sandsäcken zuständig waren. Ende Februar dann übernahmen Objektschutzkräfte der Luftwaffe u. a. von bewaffneten Wachtürmen aus den Schutz des Lagers. Mittlerweile hinzugekommen sind Heeresaufklärer des einsatzerprobten Aufklärungsbataillons „Holstein“ aus Eutin. Falls die Spähtrupps außerhalb des Feldlagers in Gefechte geraten, steht dort ein „Mobile Reaction Team“ mit etwa 40 Kräften in Bereitschaft, um schnell und robust vor Ort sein und mitkämpfen zu können. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit bewaffneter Auseinandersetzungen eingeschätzt wird, zeigt sich auch daran, dass die Bundeswehr in diesem Einsatz nur mit gepanzerten Fahrzeugen – insgesamt etwa 60 überwiegend vom Typ „Fennek“ und „Dingo“ sowie „Eagle IV“ und Transportpanzer „Fuchs“ – unterwegs ist.
Die Heeresaufklärer sind neben dem Spürpanzer „Fennek“ v. a. mit Drohnen ausgestattet. Dazu gehört die „Mikro-Aufklärungsdrohne für den Ortsbereich“ (MIKADO), die mit einer Reichweite von etwa 1 km mit handelsüblichen Kameradrohnen vergleichbar ist, sowie die gut 4 m breite LUNA-Drohne. Die LUNA wird von einem Katapult gestartet und bei der „Landung“ mit einem Netz aufgefangen. Insgesamt sind mehrere Fahrzeuge und über 20 Personen notwendig, um sie zum Einsatz zu bringen, dann kann sie in einem Radius von ca. 80 km mit verschiedenen Kameras das Gebiet aufklären und in Echtzeit Bilder liefern. Nach ersten Tests im Camp Castor soll die Drohne zukünftig auch außerhalb eingesetzt werden, um Verbindungsstraßen zu überwachen und Bewegungen bewaffneter Gruppen zu verfolgen. Die Luna-Drohne wird bereits seit Jahren in Afghanistan eingesetzt und vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) wurde ihre Bilderkennung optimiert, sodass sie z. B. eigenständig Fahrzeuge identifizieren und verfolgen kann. Die Verteidigungsministerin kündigte bei ihrem Besuch in Mali außerdem an, dass bis Ende des Jahres noch deutlich größere Drohnen des Typs Heron I in Mali stationiert werden sollen, wie sie bislang von der Bundeswehr nur in Afghanistan eingesetzt wurden und werden. Die Heron I ist eine Drohne der MALE-Klasse (Medium Altitude, Long Endurance) und kann mit einer Einsatzreichweite von etwa 400 km über 24 Stunden in der Luft bleiben. Sie gehört nicht der Bundeswehr, sondern wird vom Hersteller (IAI) über das deutsche Rüstungsunternehmen Airbus Defence and Space geleast, das auch für die Ausbildung, Wartung und Teile der Steuerung verantwortlich ist.
Nach Angaben der Zeit sollen zwei oder drei Heron-Drohnen nach Mali verlegt werden und die Verteidigungsministerin begründet dies so: „Mit kleineren Drohnen könne die Bundeswehr zwar die unmittelbare Umgebung ihres Standortes in Gao überblicken, aber nicht die vielen hundert Kilometer langen Straßen zwischen den Städten in der dünn besiedelten Region… ‚Es ist in dieser Wüstenregion so: Wer die Straße beherrscht, der kann den Zugang zu einer Stadt ermöglichen oder die Stadt von der Versorgung abschneiden‘, sagte von der Leyen in Gao“.[1]
Ein wesentlicher Teil der Arbeit des deutschen Kontingents besteht tatsächlich darin, die „Rettungskette“ im Fall von Verwundeten und die eigenen Versorgungswege unter Kontrolle zu halten. Diesem Ziel dienen letztlich auch die sog. CIMIC-Teams, die „Erkundungsfahrten“ nach Gao und in andere Siedlungen unternehmen um – neben vielen Fotos mit Kindern und Frauen – „einen Beitrag zum zivilen Lagebild“ zu liefern, damit entsprechende Erkenntnisse „bei militärischen Entscheidungen mit berücksichtigt werden können.“[2]

Zur Sicherheitslage in und um Gao
Von der malischen Hauptstadt Bamako aus dem Fluss Niger folgend ist Gao nach Timbuktu die letzte große Stadt vor der Grenze zum Staat Niger. Von hier aus führen wichtige und traditionelle Verbindungsrouten in und durch die Sahara. Wesentliche Teile des Transsahara-Handels und selbst die Migration wurden jedoch in den letzten Jahren verstärkt illegalisiert und entsprechend werden diese Routen heute von kriminellen, oft auch als terroristisch eingestuften Gruppen kontrolliert. Während Gao aus Sicht der Regierung im Süden Malis und auch der UN-Truppe MINUSMA über die Versorgungswege entlang des Niger versorgt und kontrolliert wird, bestehen wichtige und bislang kaum kontrollierbare Verbindungen in den von Wüste geprägten Süden Algeriens, den Niger und hierüber auch nach Libyen. Im Grenzgebiet zwischen Algerien und Mali befindet sich das unübersichtliche Ifoghas-Gebirge, in dem sich seit 2013 verschiedene als terroristisch oder sezessionistisch eingestufte Kräfte verbarrikadiert und verlustreiche Kämpfe mit französischen und tschadischen Truppen geliefert haben. Von Mali aus liegt der Zugang zu diesem Gebirge in Kidal, das zugleich eine Provinz, ein weiträumiges Siedlungsgebiet und eine Stadt ist. Trotz intensiver Bemühungen haben es bislang französische Spezialeinheiten mit Luftunterstützung und die v. a. aus dem Tschad und anderen Nachbarstaaten stammenden Soldaten der MINUSMA nicht geschafft, diese Region auch nur annähernd unter Kontrolle zu bringen. Eine große Offensive mit 60 gepanzerten Fahrzeugen fand offenbar am 10. April 2016 statt und wurde dadurch bekannt, dass mindestens drei französische Soldaten starben, als sie auf eine Mine fuhren, was auch in deutschen Medien berichtet wurde. Über weitere Verluste ist wenig bekannt, laut Statistik der UN sind jedoch bislang 86 Menschen, davon 80 Soldaten, seit Juli 2013 im Rahmen der MINUSMA-Mission ums Leben gekommen. Damit ist MINUSMA bereits jetzt die gefährlichste UN-Mission weltweit, wobei unklar ist, welche Opfer überhaupt der MINUSMA zugeordnet werden, da Frankreich mit Kontingenten aus denselben afrikanischen Staaten, welche einen Beitrag zu MINUSMA leisten, auch im Zuge seiner Operation Barkhane operiert, die die gesamte Region von Mauretanien an der Westküste bis zum Tschad umfasst. In Mali unterstützen die MINUSMA-Truppen die malische Armee bei der Rückeroberung des Nordens. Deren Verluste werden ebenfalls nicht erfasst, sollen sich jedoch alleine bis zum Jahr 2014 auf etwa 500 belaufen haben. Die Zahl der offiziell bestätigten Gefallenen der französischen Armee beläuft sich mit dem Vorfall am 10. April bislang auf sieben, wobei in Wirklichkeit deutlich mehr französische Soldaten gefallen sein dürften.
Insofern ist es allenfalls Ausdruck (neo)kolonialer militärischer Arbeitsteilung, wenn Verteidigungsministerin von der Leyen für die Bundeswehr in Mali von keinem „Kampfauftrag“ sprechen möchte und versichert, dass die Bekämpfung von Terroristen keine Aufgabe der Bundeswehr sei. Ziel ist es vielmehr, jene Aufklärung zu leisten, mit der dann französische Spezialeinheiten mit Luftunterstützung und ihre afrikanischen Hilfstruppen ins Gefecht geschickt werden; und eben die Sicherung der Nachschubwege, der Aufklärungstrupps (durch Mobile Reaction Teams) und des Camps selbst. Dass auch die 320.000 Sandsäcke und die rund um die Uhr bemannten Wachtürme dabei alles andere als symbolisch sind, wird u. a. daran deutlich, dass eben jenes Camp Castor, das nun von der Bundeswehr geschützt wird, erst im Dezember 2015 – damals noch unter niederländischer Führung – mit Granaten beschossen wurde und bis heute nicht einmal das unmittelbare Umfeld – und schon gar nicht Gao selbst – als sicher gelten kann.
Aufgrund seiner Lage und Funktion als Tor zur Sahara ist es wenig verwunderlich, dass die im Oktober 2011 u. a. von aus Libyen zurückgekehrten Tuareg gegründete MNLA (Mouvement National de Libération de l’Azawad) Gao zur Hauptstadt des „Staates“ Azawad kürte, als sie im April 2012 den Norden Malis für unabhängig erklärte. Gut zwei Monate später gewannen jedoch islamistische Gruppen nach heftigen Gefechten in der „Schlacht um Gao“ (26.-28.6.2012) die Oberhand in Gao, Timbuktu und Kidal. Im Januar 2013 dann erfolgte die Intervention Frankreichs, mit der Gao und Timbuktu zurückerobert wurden. Den französischen Soldaten folgten Truppen der MINUSMA-Vorgängermission AFISMA aus den Nachbarstaaten und anschließend Truppen der malischen Armee. Gerade durch diese Truppen aus dem Süden Malis kam es im Zuge der Rückeroberung im Schatten der französischen Intervention zu schweren Übergriffen auf Tuareg als „Vergeltung“ für den Vormarsch der MNLA ein Jahr zuvor. Die MNLA hat sich zwar von den Islamisten distanziert und bekämpft diese nun in Koordination mit den französischen Truppen, will aber die Präsenz der malischen Armee im Norden nicht dulden.
Wer aktuell die Oberhand und den Rückhalt der Bevölkerung in Gao selbst hat, lässt sich schwer sagen. Nach dem französischen Vormarsch gab es zwar viele Presse- und Radioberichte über jubelnde Bewohner, die französische Fahnen schwenkten und von Aufbruchsstimmung war die Rede. Mittlerweile aber ist die Berichterstattung aus Gao und Timbuktu wieder zum Erliegen gekommen. Neben den Bildern der CIMIC-Teams der Bundeswehr, die (stets mit Handschuhen bekleidete) Soldaten im harmonischen Miteinander mit Frauen und Kindern zeigen, gibt es kaum Nachrichten aus Gao, was schlicht damit zu tun hat, dass die Sicherheitslage für (westliche) Journalist_innen zu gefährlich ist. Konvois mit Waren, UN-Mitarbeiter_innen und anderen Zivilisten werden häufig auf den Straßen von und nach Gao überfallen oder angegriffen. In der Stadt dürfte weiterhin die MNLA sehr einflussreich sein, Islamisten aus dem Umland können einsickern und Anschläge verüben. In den entlegeneren Gegenden kann durchaus von Arrangements der MNLA mit islamistischen Gruppierungen ausgegangen werden, von einer Zusammenarbeit mit eher kriminell/ökonomisch motivierten bewaffneten Gruppen ohnehin. Der Krieg ist hier zum Geschäft geworden.
 Logistik vom Süden und von Niger aus
Das Mandat zur Beteiligung der Bundeswehr an MINUSMA sieht neben den genannten Komponenten (sanitätsdienstliche Versorgung, Aufklärung, Sicherung und Schutz, zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC)) auch Personal aus den Bereichen Führung(sunterstützung), militärisches Nachrichtenwesen, Luftbetankung und Lufttransport sowie in Stäben und Hauptquartieren vor. Während Führungsunterstützung und Nachrichtenwesen zumindest anteilig auch in Gao stattfinden dürften, wird ein Großteil dieser Fähigkeiten von Bamako im Süden aus bereitgestellt. Hier befindet sich nicht nur das Hauptquartier der MINUSMA, sondern auch das Transit Camp Midgard auf dem Flughafen der Hauptstadt. Dort sind Logistiker der Bundeswehr stationiert, weil hier die Transportflugzeuge landen, deren Fracht dann für den Weitertransport nach Gao auf der Straße oder wiederum per Flugzeug verladen wird. Bereits bis 13. April 2016 sollen dies „über 1.200 Tonnen Material, verteilt auf 16 Transportflugzeuge“, darunter „Einsatzfahrzeuge mit Waffenanlagen, Funkgeräten und Schutzausrüstung“ sowie 350 Soldaten gewesen sein.[3] Das Mandat umfasst jedoch auch den taktischen Lufttransport von Soldaten aus den Nachbarstaaten ins Einsatzgebiet sowie „bei Bedarf“ die Luftbetankung von französischen Kampfflugzeugen.
Auf diese Weise unterstützte die Bundeswehr schon zuvor die MINUSMA und die Vorgängermission AFISMA. Hierzu hatte sie parallel zur (angeblich spontanen) Intervention Frankreichs im Januar 2013 auf dem Flughafen Dakar in Senegal einen Luftwaffenstützpunkt aufgebaut und dort Maschinen vom Typ Transall und ab März 2013 auch einen Airbus 310 zur Luftbetankung stationiert. Bis zum 30. Juli 2014 haben die deutschen Transportflugzeuge „auf mehr als 470 Unterstützungsflügen etwa 4.500 Passagiere sowie rund 520 Tonnen Material von und nach Mali“ transportiert[4] und damit einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, AFISMA und die darauf folgende MINUSMA-Mission zu realisieren. Die größten Kontingente dieser 11.750 Kräfte umfassenden Mission stammen (neben Bangladesch mit 1.442) aus den Staaten Burkina Faso (1.720), Tschad (1.440), Togo (934), Niger (859), Guinea (850) und Senegal (666, Stand aller Zahlen: 30.4.2016). Dabei handelt es sich um Staaten, die eine tw. sehr enge militärische Kooperation mit Frankreich (und, nachgeordnet, Deutschland) pflegen und in denen das Militär eine starke innenpolitische Rolle spielt, die aber wenig bis gar keine eigenen Fähigkeiten für den strategischen Lufttransport haben.
Die Luftbetankung gestaltete sich in der Umsetzung jedoch bald völkerrechtlich kompliziert. Praktisch konnte sie nur französische Kampfflugzeuge betreffen. Während die ursprüngliche Intervention Frankreichs unter dem Operationsnamen „Serval“ nach Auffassung der Bundesregierung und der UN noch mit dem Mandat der AFISMA zu vereinbaren war, trat die offensive Bekämpfung des Terrorismus dabei immer klarer in den Vordergrund. Spätestens als die französische Mission unter dem neuen Namen „Barkhane“ auf Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad ausgedehnt wurde, wurde jedoch eine Einzelfallprüfung nötig, ob der jeweilige konkrete Auftrag des entsprechenden französischen Flugzeuges unter das UN-Mandat fällt oder nicht. Entsprechend wurde der Airbus zurückverlegt und mittlerweile unterstützt Deutschland Frankreich mit derselben Fähigkeit in Syrien. Die Transalls und damit der Stützpunkt in Senegal wurden zwischenzeitlich für den Einsatz zur Ebola-Bekämpfung in Westafrika umgewidmet. Nun sollen die Transportmaschinen für Flüge nach Gao im benachbarten Niger stationiert werden, von dessen Hauptstadt Niamey es nur halb so weit zum Camp Castor ist, wie von Bamako aus.
Beihilfe zum Bürgerkrieg
Alle bisher genannten deutschen Kontingente finden offiziell im Rahmen der MINUSMA statt. Zeitgleich mit dem Einsatz der Luftwaffe zur Unterstützung der Mission AFISMA wurde vom Bundestag im Februar 2013 jedoch die Beteiligung an einer weiteren Militärmission im Rahmen der EU beschlossen. Dabei handelt es sich um eine Ausbildungsmission für die malischen Streitkräfte. 2013 betrug das Bruttoinlandsprodukt Malis mit seinen etwa 16 Mio. Einwohner_innen knappe 17 Mrd. US$ (im Vergleich Deutschland: 3.726 Mrd.), wovon etwa 1,5 % in eine Armee mit etwa 10.000 Kräften floss. Die erst kurz zuvor wieder verstärkt im Norden Malis stationierten Einheiten waren in kurzer Zeit von der MNLA vernichtend geschlagen und – zumindest in der Wahrnehmung ihrer im Süden verbliebenen Kameraden – regelrecht massakriert worden. Aus Empörung hierüber und insgesamt unzufrieden mit dem Krisenmanagement des amtierenden Präsidenten Amadou Toumani Touré (dessen Amtszeit einen Monat später geendet hätte) hatten im März 2012 junge Offiziere in der Hauptstadt geputscht, was die Fähigkeiten von Regierung und Armee, politisch oder militärisch auf den Tuareg-Aufstand im Norden zu reagieren, weiter minimierte. International wurde der Putsch zwar verurteilt, aber recht schnell Bereitschaft signalisiert, der Forderung der Putschisten nach internationaler Unterstützung bei der Bekämpfung der MNLA nachzukommen. Das Erstarken der Islamisten im Norden und das Eingreifen Frankreichs, mit dem angeblich ein Vormarsch der Islamisten nach Bamako verhindert wurde, ließen diese Bereitschaft weiter wachsen und so beschloss die EU Anfang 2013, eine Ausbildungsmission nach dem Vorbild eines entsprechenden EUTM-Einsatzes im Bürgerkriegsland Somalia. Ziel war es, Soldaten auszubilden, die direkt danach in den Norden geschickt werden. Deutschland beteiligte sich hieran zunächst mit 180 Kräften, weitete dieses Mandat jedoch schrittweise auf mittlerweile 350 Soldatinnen und Soldaten aus. Gegenwärtig stellt Deutschland damit nicht nur das mit Abstand größte Kontingent der Mission, sondern hat im Sommer 2014 auch die Führung des Einsatzes übernommen.
Das Hauptquartier der EUTM liegt in einem ehemaligen Hotel in Bamako, die Ausbildung findet auf dem nahegelegenen Stützpunkt Koulikoro statt und umfasst inzwischen auch Artillerie-Übungen. Deutschland kann dabei auf lange Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit den malischen Streitkräften zurückblicken, die bereits in den 1970er Jahren begann. Im Rahmen der Ausbildungs- und Ausstattungshilfe wurden viele (über die Jahre wahrscheinlich hunderte) höherrangige malische Militärs in Deutschland aus- und fortgebildet. Der amtierende malische Kommandant des Feldlagers in Koulikoro konnte zum Beginn der EUTM-Mission die deutschen Soldaten in ihrer Muttersprache begrüßen und dem Deutschlandfunk Interviews auf Deutsch geben. Über viele Jahre, zuletzt seit 2005, waren zudem Beratergruppen der Bundeswehr vor Ort und organisierten die kostenlose Überlassung von militärischer Ausrüstung, nicht jedoch von Waffen und Munition. Einen Schwerpunkt bildete dabei schon traditionell das Pionierwesen und insbesondere der Brückenbau und andere Methoden zum spontanen Überwinden von Gewässern.
Betrachtet man die Geografie des Binnenlandes Mali, ist diese Priorisierung bemerkenswert. Schließlich strebt die Bevölkerung im Norden bereits seit Jahrzehnten eine möglichst hohe Autonomie an und wurden vergangene, meist von Tuareg dominierte Aufstände mehrfach durch Zusagen befriedet, die Stationierung vom Süden kontrollierter Sicherheitskräfte im Norden zu reduzieren. Während in Timbuktu das Denkmal „Flamme de la Paix“ an die symbolische Verbrennung hunderter Waffen nach einem solchen Friedensschluss im Jahr 1996 erinnerte, lieferte Deutschland Ausrüstung und Know How, das es der malischen Armee ermöglichte, mit großen Kontingenten unerwartet den Niger zu überqueren und in den Norden vorzustoßen.
Die militärische Ausbildungs- und Ausstattungshilfe wurde nach dem Putsch 2012 kurzzeitig eingestellt, offenbar mittlerweile aber wieder aufgenommen. Im April 2016 nannte die Bundesregierung drei Projekte der Ausstattungshilfe im Umfang von insgesamt 3.15 Mio. Euro für den Zeitraum 2013-2016, darunter Instandsetzungsmaßnahmen an der Zentralwerkstatt der Pioniere in Bamako und die „Nachsorge am Ausbildungszentrum in Bapho (Wasserübungsplatz für Fähranlagen und Brückenbau; Pontoneinsatz)“.[5] Die Zahl der hierfür eingesetzten Berater wird von der Regierung mit zwei (vier ab Juli 2016) angegeben. Die Bundeswehr berichtete jedoch bereits im März 2015 unter dem Titel „Auf zu neuen Ufern“ von einer Ausbildungsmaßnahme mit „elf deutschen Soldaten und ihre[n] knapp 60 ‚Azubis’“ in Segou, von Koulikoro etwa 100 km nordöstlich entlang des Niger gelegen: „Das Niger-Binnendelta ist eine Lebensader für die malische Bevölkerung. Für die Streitkräfte des westafrikanischen Landes hingegen ist er das größte Hindernis. Brücken gibt es in Mali kaum. Nur in der Hochwasserzeit zwischen Oktober und Januar kann der Fluss mit größeren Booten überquert werden. Mit der Hilfe deutscher Pioniere aus Minden lernen die malischen Soldaten den Fluss mit einfachen Mitteln zu überqueren“.[6]
Offenbar fand diese neunwöchige Ausbildung im Rahmen des EUTM-Einsatzes, jedoch außerhalb des Standortes statt. Für die Zukunft ist die Ausdehnung der EUTM auf mehrere Standorte entlang des Niger bis in den umkämpften Norden geplant. Damit wird der Einsatz zwangsläufig gefährlicher und „robuster“ und die Grenzen zum Kampfeinsatz verschwimmen weiter.
Gefährlich ist jedoch auch die EUTM-Mission bereits jetzt. Am 21. März meldete der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) einen Angriff auf deren Hauptquartier in Bamako, bei dem ein Angreifer getötet worden sei. Wie viele Angreifer es gab und wer an dem Gefecht beteiligt war, wurde jedoch nicht veröffentlicht. Dass sich die Sicherheitslage weiter verschärft, unterstreicht auch das Erstarken der erst seit Anfang 2015 existierenden „Front de libération du Macina“ im Gebiet um Mopti, das wiederum nur gut 100 km nordöstlich von Segou liegt, wo die Ausbildungsmaßnahme zur Überwindung des Niger stattfand. Diese bewaffnete Gruppe rekrutiert aus der dort ansässigen Bevölkerungsgruppe der Fulbe, die beim Konflikt zwischen Norden und Süden zwischen die Fronten gerieten. Obwohl sie in Zentralmali und außerhalb des Azawad leben, wird ihnen oft pauschal von den Sicherheitskräften Sympathie für die Islamisten unterstellt. Bereits im Januar 2016 hatte Human Rights Watch einen Bericht veröffentlicht, wonach zahlreiche Fulbe von der malischen Armee misshandelt, willkürlich inhaftiert und in einigen Fällen auch exekutiert wurden.[7] Womöglich wird der Konflikt auch von einzelnen Fraktionen bewusst angeheizt und ethnisiert. Anfang Mai etwa berichteten internationale Presseagenturen übereinstimmend, dass nahe Mopti zunächst vier Vertreter der Fulbe in einem Restaurant von einer regierungstreuen Miliz erschossen und bei der anschließenden Beerdigung neun weitere Angehörige der Gemeinschaft getötet wurden.
Drohnenkrieg und Militarisierung – für seltene Erden?
Aktuell ist der Einsatz von 1.000 Soldaten der Bundeswehr in Mali mandatiert. Darüber hinaus sind weitere deutsche Soldaten ohne Mandat des Bundestages vor Ort, wie etwa die Beratergruppe und Personal an der „Ecole de Maintien de la Paix“ (EMP), wo afrikanische Polizisten für den Einsatz in „Friedensmissionen“ wie MINUSMA ausgebildet werden. Außerdem hat Deutschland auch die Führung der im Januar 2015 begonnenen zivil-militärischen Mission EUCAP Sahel Mali inne. Solche Missionen der EU zum Kapazitätsaufbau gelten ansonsten meist als „zivile“ Einsätze, da sie v. a. aus Berater_innen und Polizeikräften bestehen. Bei EUCAP Sahel Mali jedoch spielt die European Gendarmerie Force (EGF) eine zentrale Rolle und damit jene Einheiten der EU-Mitgliedsstaaten Spanien, Frankreich, Italien, Niederlande, Portugal, Rumänien und Polen, die sowohl unter zivilem Kommando, als auch militärisch mit Kombattantenstatus eingesetzt werden können. Im Rahmen der EUCAP-Mission in Mali werden zwar auch Lehrgänge für Verkehrspolizist_innen veranstaltet, zugleich steht jedoch auch jenes für die EGF typische Spektrum von Einsatzformen auf dem Programm, das vom Tränengas- und Schlagstockeinsatz gegenüber Demonstrationen über den Personenschutz inklusive Nahkampfausbildung bis hin zu geheimdienstlichen Ermittlungen reicht.
Zusammenfassend kann mit Fug und Recht davon gesprochen werden, dass Mali mit tatkräftiger Unterstützung Deutschlands umfassend militarisiert wird. Das von der UN für MINUSMA erteilte Mandat ist entsprechend ausgreifend und unbestimmt zugleich und damit völlig unrealistisch. In Bundeswehrkreisen wird deshalb auch von einem Einsatz ausgegangen, der Jahrzehnte dauern könnte. Sicherheitslage und regionales Umfeld sind in vielerlei Hinsicht mit Afghanistan vergleichbar. 2017 soll die zukünftig in Mali stationierte Drohne Heron I außerdem durch das Nachfolgemodell Heron TP ersetzt werden, die bewaffnungsfähig ist. Es braucht dann nur noch einen Vorfall mit einigen verwundeten oder verletzten Bundeswehrangehörigen, und die Forderung wird laut werden, dass nun auch Deutschland mit bewaffneten Drohnen auf die Jagd nach Terroristen gehen soll.
Diese Militarisierung findet statt, während unter den beteiligten europäischen Staaten keinerlei Einigkeit oder Konzept besteht, wie die zugrundeliegenden Konflikte gelöst und der malische Staat zukünftig organisiert werden soll. Zur Erinnerung: Die Bundeswehr bildet malische Soldaten aus, die nicht nur Minderheiten attackieren, sondern ihrerseits in einem schweren Konflikt mit der immer noch nach Unabhängigkeit strebenden MNLA steht. Diese kämpft in Koordination mit Frankreich jene Gebiete frei, die anschließend von MINUSMA und der Bundeswehr kontrolliert werden können, damit hier wiederum die malische Armee stationiert werden kann. Während im UN-Mandat das Ziel der territorialen Integrität verankert ist, unterstellen Viele Frankreich als wichtigstem militärischen Akteur jedoch ganz andere Ziele. Alexander Göbel etwa, „Afrika-Korrespondent“ des Deutschlandfunks, mutmaßte bereits im Juni 2015: „Fakt ist: Wie im Nachbarland Niger gibt es auch im Norden Malis Uran, außerdem Gold, Seltene Erden, Erdöl. Je näher die Tuareg-Rebellen ihrem Ziel kommen – einem unabhängigen Staat Azawad -, desto leichter dürfte es für Frankreich sein, später die Ressourcen zu kontrollieren. Ein Friedensvertrag, gar ein wirklich souveräner und stabiler malischer Staat, der würde dieser Strategie nur im Wege stehen.“[8] Vor allem stabile und demokratische Staatswesen – in Mali, Niger dem Tschad und allen anderen in diesen Konflikt gezogenen Ländern des Sahels – dürften diesen Zielen noch viel mehr im Wege stehen.

Anmerkungen
[1] Bundesregierung verlegt Heron-Drohnen nach Mali, zeit.de vom 5.4.2016.
[2] „’Über Fußball kommt man immer ins Gespräch‘ – Eine Einsatzregion verstehen durch CIMIC“, Einsatz.Bundeswehr.de, 31.3.2016.
[3] „MINUSMA: Wichtig für den Aufbau – Die Drehscheibe Bamako-Sénou“, Einsatz.Bundeswehr.de, 13.4.2016.
[4] „Die Bundeswehr in Mali (MINUSMA)“, Einsatz.Bundeswehr.de, 5.4.2016.
[5] Bundestags-Drucksache 18/8086.
[6] „Auf zu neuen Ufern – deutsche und malische Pioniere überqueren gemeinsam den Niger“, Einsatz.Bundeswehr.de, 31.3.2015.
[7] Human Rights Watch: Mali: Abuses Spread South – Islamist Armed Groups’ Atrocities, Army Responses Generate Fear, 19.02.2016.
[8] Ein Friedensvertrag, gestützt auf lose Hoffnungen, deutschlandfunk.de, 20.6.2015.

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