Freitag, 22. Mai 2015

Schräge Eurovision: Laibachs Neueste...

http://jungle-world.com/artikel/2014/09/49427.html von Sonja Vogel, Jungle World Nr. 9, 27. Februar 2014 Neues von Laibach? Kaum zu glauben, aber das slowenische Musikkollektiv gibt es tatsächlich noch. Acht Jahre nach dem Konzeptalbum »Volk« haben Laibach ihr neues Studioalbum mit dem Titel »Spectre« vorgelegt, die Gruppe ist damit bereits auf Tour. Der musikalische Teil des Kunstkollektivs Neue Slowenische Kunst (NSK) wurde seit 1981 immer wieder totgesagt, hat aber überlebt. Wenn auch nicht unbeschadet: Als politisches Projekt ist Laibach mit dem Sozialismus, genauer mit seiner jugoslawischen Sonderform, untergegangen. Übrig geblieben ist eine Band mit wechselnder Besetzung, die immer wieder an Projekten wie der Neubearbeitung von Johann Sebastian Bachs »Kunst der Fuge« oder dem Soundtrack zum Nazi-Trash­film »Iron Sky« arbeitet. Die Konfrontation mit der Ikonographie des Nazismus, die Verschmelzung dissonanter Motive aus dem sozialistischen Realismus und der Nazi-Ästhetik, wie Laibach sich dies zum Markenzeichen machte, dieser Mix aus düsterem Industrial und westlichem Pop allerdings wirkte nirgendwo so explosiv wie im ehemaligen Jugoslawien – gerade weil der Staat anders war: offen, blockfrei, transnational. Bis die sozialistische Moderne in den achtziger Jahren in die Krise geriet. Die Krise ist der eigentliche Geburtsmoment von Laibach und dem NSK als politischer Gruppe. 1987 gewann ein Plakatentwurf des NSK einen Wettbewerb zum Tag der Jugend. Er zeigte einen Fackelträger mit jugoslawischer Fahne und Friedenstaube. Erst im Nachhinein wurde bekannt, dass das Bild von dem nationalsozialistischen Künstler Richard Klein stammte; nur die Insignien des Deutschen Reiches waren ersetzt worden. Die Regierung war entsetzt, das Publikum verstört. Da funktionierte noch, was Slavoj Žižek als Laibachs »Talent« bezeichnet hat, nämlich die Abbildung der »versteckten Kehrseite« der politischen Systeme. Indem die Kunst die hegemoniale Ordnung ernster nahm, als sie das selbst tat, konnte sie deren Bruchlinien sichtbar machen. Wenige Jahre später zerfleischte sich ­Jugoslawien in nationalistischen Kriegen. Im Grunde genommen waren Laibach eben immer schon ein Argument für das Scheitern des Staates – und das ist vielleicht das Tragische an diesem Kunstprojekt. (Das Spiel mit den Zeichen funktionierte anderswo übrigens ganz anders: In Westdeutschland und der Bundesrepublik etwa zog es bis in die neunziger Jahre ganze Gruppen von Neonazis zu den Konzerten, die das taten, was Žižek sich in gewisser Weise gewünscht hatte: Laibach ernst nehmen.) Der Poster-Skandal ist nun 27 Jahre her, die Welt hat sich weitergedreht. Und Laibach versuchen aufzuschließen. Mit »Spectre«, einem glatt durchproduzierten Studioalbum. In seiner Perfektion wirkt es jedoch etwas blass. Musikalisch ist es weit weg vom Industrial der Anfangszeit, den Technoexperimenten oder dem verspielten Pop der Neunziger. Trotz des Knurrens von Sänger Milan Fras und der eher grellen Beiträge von Sängerin Mina Špiler bleiben die Stücke diesmal überraschend zart, es fehlt die gewohnte Armageddon-Wall-of-Sound. Inhaltlich soll »Spectre«, so verspricht es jedenfalls der Pressetext, indes ein Meilenstein sein: Laibachs Sprung »vom Abstrakten zum Konkreten«. Und tatsächlich scheint das Kollektiv sehr um einen Kommentar zum Status Quo Europas jenseits der gewohnten Zweideutigkeiten bemüht zu sein. Das klingt dann so wie »The Whistleblower«, eine klassische Laibach-Hymne, die das Album eröffnet. Das Stück beginnt mit einer aufmunternd gepfiffenen Melodie und Trommelwirbeln, die schließlich von dumpfen Beats und dunklem Orgelsausen überspült werden und – wie sollte es anders sein – in triumphalen Fanfaren enden. »From North and South/We come from East and West/Breathing as one/Living in fame/Or dying in flame/We laugh/Our mission is blessed«, spricht Milan Fras mit weicher Stimme und der Chor der Whistleblower antwortet (das kann man sich in etwa so vorstellen wie in Monty Pythons »Lumberjack«-Song). Ein charmantes Heldenepos jedenfalls – und das griffigste Stück der Platte. Die Texte handeln ausnahmslos vom Scheitern Europas, dem Urthema des Kollektivs. Slogans wie »No history/no repent/no surrender/no descent/and no commandments on the wall/no god, no rules to scare you all« sind auch ein zeitloser Abgesang auf die postmoderne Welt. Hier zeigt sich jener mit »Retroavantgarde« bezeichnete künstlerische Ansatz. Das Konzept der ständigen Wiederholungen von Zitaten, jene retromanische Schleife, die auf der Hoffnung basiert, Geschichte möge sich wiederholen, hat im Pop längst seine exorzistische Wirkung verloren. Was im NSK-Kollektiv der Bildenden Künstler, Irwin, noch funktioniert, ist bei Laibach eher langweilig: alles schon bekannt. Ein Beispiel ist das Video zum Album, das die monumentale Musik mit den fließenden Bewegungen einer Modern-Dance-Gruppe kontrastiert – eine schlaffe Kopie der legendären Ballettszene aus dem Video zu »Država – Der Staat« von 1985. Textlich geht es tatsächlich konkreter zu, in »Eurovision« etwa. »In the absence of war/We are questioning peace/In the abscence of god/We all pray to police«, flüstert uns Fras zum Hämmern einer verwischten Bassdrum ein, zur Endlosschleife der Warnung »Europe is falling (apart)«. Die unscharfen ätherischen Choräle, die immer wieder in den strammen Beats untergehen, ziehen sich durch das ganze Album. »I want torture/Arms and corporations/No control, president or parliament! Feed my hunger with poverty/Feed my lust with bikini food!/I’m having a good time/And I want my nation to break down!« heißt es in »Bossa­nova«. Über dem treibenden Snare-Getöse und dem dunklen bis spitzen Gesang Špilers fließt der Sprechgesang – ein schöner Kommentar zu den bröckelnden Rändern Europas, zur Ausweglosigkeit, die über die Schengen-Grenze kriecht und die Menschen nun auch in Bosnien auf die Straße treibt. Ironischerweise kommen Laibach so wieder an ihrem Ausgangspunkt an, in Sarajevo, einer Stadt, an der das Projekt Europa in den Neunzigern politisch scheiterte und die für Laibach und das NSK wichtig ist. 1992 wurde der virtuelle NSK-Staat gegründet, der von Zeit zu Zeit auch eigene Pässe ausgab: Im eingekesselten Sarajevo sollen sie 1994/95 Dutzenden die Ausreise ermöglicht haben – eine gelungene politische Intervention. Ein Höhepunkt des »Spectre«-Albums ist »Resistance is futile«. Titel und Text sind Zitate der Borg-Slogans aus »Raumschiff Enterprise«, die aus einer Folge von 1989 stammen, in der die Enterprise von den Borg bedroht wird, einem Kollektiv, das sich entwickelt, indem es andere Gesellschaftsformen und deren Wissen in ein kollektives Bewusstsein überführt. Getragen wird der Song vom blechernen, retrofuturistischen Computersprech. Im Hintergrund schwellen bedrohlich die Kriegstrompeten – eine Variation der Originalmusik der TV-Serie – an, vorsintflutliches Elektrogepiepse gibt den Beat. »Your life as it has been is over«, spricht Milan Fras die Worte des assimilierten Captain Jean-Luc Picard. Statt »We are the Borg«, heißt es »We are Laibach« – eine Anspielung auf den NSK-Staat, einen Staat ohne Territorium. »What the hell is Laibach all about?« könnte man nun mit Žižek fragen. Doch Laibach und dem NSK geht es um nichts. Seit den neunziger Jahren ist es ein Projekt der Leerzeichen, das wild durch das Chaos der Gegenwart pflügt – ein Zustand, der nach einer »Inquisitionsmaschine« verlangt, wie der Kulturtheoretiker Alexei Monroe Laibach und das NSK nennt. Mu­sikalisch sind Laibach nur noch mäßig interessant, als politisches Projekt überholt. Als Teil eines Kunstkollektivs aber funktionieren sie noch ganz gut. Laibach: Spectre. (Mute Artists/Goodtogo)

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