Mittwoch, 13. Mai 2015

Zum Tag des Großen Sieges haben die Kiewer die Angst besiegt!

Ilja ROMASCHIN | 09.05.2015 | 21:00 Wenn man Ihnen erzählt, daß die Kiewer von Angst erdrückt sindt und sich vollständig der Macht des in den Nazifarben gefärbten Regimes untergeworfen haben, so glauben Sie das nicht. Ich bin in Kiew geboren, habe aber hier viele Jahre gelebt. Ich habe schon viele Festveranstaltungen zum Tag des Sieges erlebt, doch es waren eben Veranstaltungen. Immer waren sie froh und heiter, doch immer – organisiert. Am 9. Mai 2015 war alles anders. Hunderttausende besiegten ihre Angst Eine solcher Zahl Menschen, die zum Ehren-Park, zum Ewigen Feuer am Grab des unbekannten Soldaten dem Befehl ihres Herzes folgen, die unorganisiert und ungeachtet den Einschüchterungen gekommen waren, sah bisher niemals. Viele Stunden nacheinander kamen Menschen jeden Alters, der Strom bewegte sich von der Petscherskaja Straßen zum Obelisk des Ruhmes. Der „Traum des Proktologen“ Schon am frühen Morgen, als die Straßen im Stadtzentrum und bei der Metrostation „Arsenalnaja“ halbleer waren, fiel eine unglaubliche Anzahl Miliz auf, die offenbar aus der ganzen Ukraine hergekarrt worden war, Offiziere vom Major bis zum Obersten hielten das Zentrum umzingelt. Soldaten in Tarnanzügen hatten zusammen mit der Miliz haben den Durchgang zum Ewigen Feuer abgeriegelt und die ganze Fahrbahn blockiert. Blumen niederzulegen war verboten. Jugendliche Freiwillige teilten das neue, von den Machthabern erdachte Emblem aus: eine rote Mohnblume mit einem schwarzen Loch in der Mitte. Witzbolde nannten dieses Symbol den „Traum des Proktologen“[1], aber Spaß beiseite, noch niemand hat bewertet, welchen Schaden die ideologische Beeinflussung gebracht hat, in deren Verlauf das Gedächtnis an den Sieg des einst so einheitlichen Volkes abgeätzt wurde. In den letzten Monaten wurde manchmal empörender Wahnsinn in die Köpfe der Menschen eingepflanzt, so beispielsweise, daß die Ukrainer von Moskau betrogen worden seien und nur deshalb auf der Seite des Feindes – der Sowjetunion – gekämpft hätten. Die ukrainische Gestapo Und doch haben sich die Kiewer nicht verhalten, wie die Machthaber es von ihnen erwarteten. Plötzlich sah ich neben der „Arsenalkanone“ eine Gruppe von Menschen mit Porträts ihrer Verwandten – der Kriegsteilnehmer – mit orange-schwarzen Gardeschleifen, befestigt an den Porträts. Die Schleifen wurden von den nebenan stehenden Militärs in Tarnanzügen abgerissen. Sie rissen sie ab, aber schwiegen. Als ich einen soliden Miliz-Oberst fragte, warum wir nicht zum Ewigen Feuer durchgelassen wurden, grinste er und antwortete mit einem Kopfnicken in Richtung auf die schwarzen Fahrzeuge der SBU[2]: „Dort stehen sie … die garantieren dafür.“ Der Aufmarsch der Junta war vorbei – das Volk feiert Das, was dann „Parade“ genannt wurde, war eine klägliche Schau. Unter schneidigen Märschen zogen ukrainische Militärmusiker und drei eingeladene Orchester aus Polen, Litauen und Estland durch die Hauptstraße, danach marschierte irgendsoein unbekanntes Musikkorps aus Jordanien. Sie lieger durcheinander, spielten mäßig. Doch endlich war zur Freude der ermüdeten Wächter die Umzingelung beendet, und die Großmachtführer verließen irgendwie unmerklich den Park des Ruhmes. Die Reste der „Parade“ zerstreuten sich rasch, und eigentlich hatte der Feiertag gerade erst begonnen. Ich sah Kiewer in gehobener Stimmung gehen. Den Gesichtern sah man an: „Sie zwingen uns, auf Ihre Weise zu feiern, doch nun werden wir auf unsere Weise feiern.“ Der Mut der Kiewer Bevölkerung Später auf dem heimweg dachte ich: Woher haben die Menschen das nur erfahren, daß sie so zahlreich erschienen waren? Diese Menge Menschen? Doch sie hatten verstanden. Am Tag des Sieges, am 9. Mai 2015, straften die Kiewer diese Machtparade mit Verachtung. Wer eingeschüchtert wird, der schaut ins Gedächtnis seiner Familie. Das Gedenken an die Vergangenheit ist unauslöschbar. Und damit sagten die Menschen den Kiewer Behörden: „Wir fürchten uns vor euch nicht!“ Ein Menschenstrom in Kiew am Denkmal des Sieges der Sowjetunion Zwei Wörter über Gardeschleifen. Anfangs sah man sie nur selten. Aber beim Ewigen Feuer, am dem Dutzende und Hunderte Kiewer vorüberzogen, trugen viele dieses Symbol des Großen Sieges der Sowjetunion und sie fürchteten sich nicht vor der angedrohten Abrechnung durch die Machthaber. Sie gingen vorbei am Grab Marschalls Rybalko, am Denkmal von Kowpak, an den Gräbern der Helden des Großen Vaterländischen Krieges, und sie legten auf jeder Platte mit den Namen der Helden ihre Blumen nieder. Tausende Farben. Am meisten beim ewigen Feuer. So viele Farben, daß eine lebendige Wand entstand. Und hier, beim Ewigen Feuer, flatterten die roten Fahnen von zwei Gardevereinigungen des Großen Vaterländischen Krieges. Es ertönten die sowjetischen Lieder der Kriegsjahre. Die Menschen gingen und gingen – ein Menschenstrom … Allen Drohungen zum Trotz: Feiertag des Sieges in Kiew Offizielle Reden gab es fast nicht. Einige Kommunisten und Sozialisten traten auf. Und von Herzen unterstützten die Menschen die Losungen „Ruhm dem sowjetischen Siegervolk!“ und „Es lebe Sowjetische Ukraine!“. Ich kann es nur wiederholen: das alles war spontan, nach dem Befehl des Herzes. Natürlich verlief es nicht ohne Lärm, ohne schmerzliche Aufschreie, doch sie versanken hier im Chor der Stimmen: „Ruhm dem Großen Sieg!“ Das hatte ich keinesfalls erwartet, aber die allgemeine Einstellung zum Feiertages war munter, mutig und froh … Die Kirche machte ihren Kindern Mut Später kam die Kiewer Geistlichkeit, die Bischöfe, angeführt vom obersten Metropoliten Onufrij hinzu. Gleich nach den Priestern folgen einige Gläubige mit Ikonen des Heiligen Georgij Pobedonosch, des Heiligen Wladimir, des hochwürdigen Serafim Sarowski. Viele hatten sich schon darüber gefreut, als die Ukrainische orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats im Namen des Metropoliten Onufrij und seiner Geistlichen jetzt am Vortag die so notwendige Furchtlosigkeit zeigte. In der Versammlung der oberen Führer am 8. Mai hatte der Metropolit Onufri zusammen mit zwei Bischöfen, dem Metropolit Antoni (Pakanitsch) und Bischof Iona (Tscherepanow) den Krieg verurteilt, und sie waren demonstrativ nicht aufgestanden, als Poroschenko die Namen der „Helden der АТО“ verlas. So hat die Kirche ihren richtigen Kindern Mut gemacht.[3] „Ewiges Gedenken“ – den Helden des Großen Vaterländischen Krieges! Gegen 13 Uhr Kiewer Zeit ertönte über den Hügel: „Christus ist auferstanden von den Toten!“ Und es nahm ein Gedenken an die gefallenen Helden der Großen Vaterländsichen Krieges seinen Anfang. Zugleich mit Hunderten Priestern, wiederholten Tausende Kiewer: „Ewige Gedenken!“ Möglicherweise haben auch andere diesen Tag miterlebt. Sicher haben auch die Kiewer TV-Leute, die „Nestlinge von Kolomojski und Pintschuk“ es erlebt, doch sie werden andere Bilder zeigen. Ich habe jedoch gesehen, daß die Kiew unerschrocken, in innerer Opposition zu den Behörden, im Protest gegen die Verleumdung des Gedenkens an den „Heiligen Krieg“ aufgestanden sind. Mein lieber Vater begann den Großen Vaterländischen Krieg in den Kämpfen bei Kiew. Und manchmal war es mir schon peinlich vor ihm – wegen unserer Gleichgültigkeit, unserer Feigheit. Doch heute, am Tag des Sieges, an diesem 9. Mai, war es mir nicht mehr peinlich. Kiew, am 9. Mai 2015 http://www.fondsk.ru/news/2015/05/09/v-den-velikoj-pobedy-kiev-pobedil-strah-33273.html [1] Griechisch: πρωκτός (proktós) für „After“. Einen Mediziner, der sich mit der Proktologie beschäftigt, bezeichnet man als Proktologen. [2] SBU: ukrainisch СБУ, (Служба безпеки України), Sicheitsdienst der Ukraine (eine Art Gestapo) [3] Man muß wissen, das sogar von Stalin persönlich einige othodoxe Geistliche als Helden des Großen Vaterländische Krieges geehrt wurden, weil sie mutig gegen die Faschisten gekämpft hatten

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