Donnerstag, 28. Mai 2015
Bernhard Falk Vom Linksterroristen zum deutschen Gesicht al-Qaidas
Früher beging Bernhard Falk linksextreme Anschläge, heute betreut er islamistische Straftäter. Mit Blick auf mögliche Terrorakte in Deutschland sagt der Al-Qaida-Anhänger: "Unschuldige gibt es nicht."
Der Islamist isst Käsespätzle mit Beilagensalat und trinkt Wasser dazu. Sein Gegenüber nippt an einem Glas Bier und spießt Currywurst auf seine Gabel, an einem Restauranttisch im Düsseldorfer Hauptbahnhof. Alkohol und Schweinefleisch: Beides ist für gläubige Muslime "haram", also verboten. Aber das stört den Islamisten nicht. "Ich weiß ja, wen ich hier treffe", sagt der Mann mit dem dichten, grauen Bart. Dabei ist die Verbreitung des Glaubens zu seiner Mission geworden, seit er zur Lehre Allahs übergetreten ist.
Der Mann nennt sich Muntasir bi-llah, besser bekannt ist er aber unter seinem Geburtsnamen Bernhard Falk. Am Ärmel seines Militärparkas ist ein Aufnäher, darauf eingestickt die Schahada, das muslimische Glaubensbekenntnis: Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Gesandter. Auch Bernhard Falk begreift sich als Vorkämpfer für die gute Sache. Er hat nur über die Jahre seine Meinung geändert, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Der heute 48-Jährige war früher Mitglied der linksextremen Antiimperialistischen Zellen (AIZ), die mehrere Bombenanschläge in der Bundesrepublik verübten. Falk saß wegen vierfachen Mordversuchs 13 Jahre lang im Gefängnis. Noch bevor er seine Haft antrat, konvertierte er zum Islam.
Seit 2008 ist er wieder auf freiem Fuß – und führt seither ein "gottgefälliges" Leben, das ist ihm wichtig zu betonen. Die Meinungen darüber gehen allerdings auseinander. Die deutschen Sicherheitsbehörden sehen in Falk eine "relevante Person der islamistischen Szene". Seine Reisebewegungen quer durchs Land werden verfolgt. Hilfsorganisationen, die Familien mit Mitgliedern im radikal-islamistischen Umfeld betreuen, warnen vor ihm. Er indoktriniere, sei ein "sehr gefährlicher Multiplikator". Was Behörden wie die Familien besorgt, ist Bernhard Falks Präsenz: Er kümmert sich, er ist überall.
"Der Islam ist die beste und schönste Religion", sagt der Ex-Terrorist und schaufelt die letzten Spätzle auf seine Gabel. Fünf Mal am Tag beten, das gebe ihm spirituelle Kraft. Der Attentäter von einst gilt heute als graue Eminenz der salafistischen Szene in Deutschland. Radikal ist der einstige Physikstudent geblieben, der heute vornehmlich von Spenden aus der Szene lebt. Sein Markenzeichen ist eine skurrile Mischung aus Dschihad, Scharia und einem altlinken Antiimperialismus. "Ich bin ein Kind meiner Zeit, das kann man nicht leugnen", sagt Falk dazu. Aus seiner Vorliebe für die Terrorgruppe al-Qaida macht er keinen Hehl. "Das hat einfach Hand und Fuß bei denen", sagt er.
Terroristen? Nein, "politische Gefangene des BRD-Apparats"
Falk ist nicht der Mann großer, öffentlicher Auftritte. Das überlässt er anderen. Falk arbeitet lieber hinter den Kulissen, wie er sagt, er "informiert". Die Aushängeschilder der deutschen Salafistenszene sind "Hassprediger" wie Sven Lau und Pierre Vogel. Auch Ibrahim Abou-Nagie, der mit dem "Lies"-Projekt Korane in deutschen Innenstädten verteilt, gehört dazu.
"Die freuen sich über jede Seele, die sie zum Islam bekehren können, aber viel mehr ist da nicht", sagt Falk spöttisch. Es sei gut, dass diese Leute das Interesse für den Islam weckten – nur den jungen Leuten reiche das meist irgendwann nicht mehr. "Und dann bin ich da", sagt Falk, der auf islamistischen Veranstaltungen seine Flugblätter über Antiimperialismus und den Dschihad verteilt. "Aufrufe zu Gewalt oder Straftaten gibt es bei mir grundsätzlich nicht", betont er.
Der Ex-Terrorist widmet einen Großteil seiner Zeit der "Gefangenenhilfe": Er besucht islamistische Straftäter, gibt ihnen Ratschläge, sucht einen Anwalt für sie oder hilft bei persönlichen Problemen. Zu seinen Schützlingen gehören auch die vier Mitglieder der Düsseldorfer Al-Qaida-Zelle, die in Deutschland einen aufsehenerregenden Terroranschlag planten. Auch Marco Gäbel ist darunter, der sich vor Gericht wegen seiner Beteiligung am gescheiterten Bombenattentat auf dem Bonner Hauptbahnhof verantworten muss.
Für Falk sind diese Leute "politische Gefangene des BRD-Apparats" – die Wortwahl erinnert nicht zufällig an die linksradikale Rhetorik von einst. Doch Falk ist wählerisch: Er kümmere sich nicht um alle inhaftierten Islamisten. Jene, die mit den Behörden kooperieren und "umfassende Aussagen machen", wie er verächtlich sagt, hätten seine Hilfe nicht verdient. Aber was will er eigentlich erreichen?
Al-Qaidas Morde an Frauen und Kindern blendet er aus
Falk bezeichnet sich selbst als Salafisten. Seine Arbeit sei "irgendwie pastoral", sagt er. Welche Lehren aber verbreitet er? Die Menschen sollten verstehen, dass der Islam der einzige Weg sei, um Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt zu erreichen. Seine Begeisterung für al-Qaida empfindet er nicht als Widerspruch. Die Kämpfer seien gar nicht der blutrünstige Haufen, als der sie im Westen immer dargestellt würden.
"Einen Moment, bitte", sagt Falk und kramt in einer seiner Stofftragetaschen, mit denen er ständig unterwegs ist. Er zieht die "Allgemeinen Richtlinien für den Dschihad" heraus, ein 21 Punkte umfassendes Programm. Verfasser ist Al-Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri. "Hier steht, man soll keine Frauen und Kinder töten und auch keine Moscheen und Märkte angreifen." Dabei gibt es keine Zweifel daran, dass al-Qaida für genau solche Verbrechen verantwortlich ist.
Wer also hat es verdient zu sterben? "Unschuldige gibt es nicht", sagt Falk. "Die Deutschen haben Angela Merkel gewählt, die für Verbrechen an Muslimen verantwortlich ist." Die Mehrheit sehe tatenlos zu, sagt er und blickt dabei auf die vorbeieilenden Passanten im Hauptbahnhof. "Wen kann es da wundern, dass Islamisten diese Ungerechtigkeiten mit Anschlägen bestrafen?" Für ihn selbst ist sein Weltbild stimmig: einerseits das Gebot, Frauen und Kinder zu schützen – und andererseits die Sippenhaft und der angeblich verdiente Tod für all jene, die nicht an die islamistische Weltrevolution glauben wollen.
Auch wenn Falk nicht als Militanter in der deutschen Islamistenszene gilt, so sorgt er doch dafür, dass sie weiter gedeihen kann. Seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs zählt das Bundesamt für Verfassungsschutz 7000 Salafisten. Die Behörden vermuten weiter, dass seit 2011 rund 700 Extremisten aus Deutschland nach Syrien und in den Irak gereist sind; die Mehrheit hat sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen.
Bekanntestes Gesicht unter ihnen ist der Berliner Rapper Deso Dogg. Er und andere Salafisten mit deutschem Pass tauchen in Videos auf, die grausame Hinrichtungen zeigen. Es gibt auch Botschaften, in denen die deutschen Salafisten "verheerende Anschläge" in der Bundesrepublik ankündigen.
Drohungen, die die Behörden hierzulande durchaus ernst nehmen. "Unser Problem besteht darin, dass es immer wieder Personen gibt, die in Syrien und im Irak auftauchen, die wir vorher gar nicht kannten", sagt der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen.
Al-Qaida gilt bei vielen deutschen Extremisten als überholt
Bernhard Falk wiederum kennt einige der Export-Salafisten noch aus Deutschland. Nur über sie sprechen, das will er nicht. "So was gibt nur Ärger mit den Behörden", sagt er kopfschüttelnd und schiebt die ihm vorgelegte Liste mit den Namen deutscher IS-Kämpfer von sich. Ärger mit Polizei und Geheimdienst ist genau das, was der Ex-Terrorist nach 13 Jahren Haft unbedingt vermeiden möchte. Jedes seiner Flugblätter, jede einzelne Videoansprache lässt Falk deshalb vom Anwalt prüfen, bevor er sie öffentlich macht. "Ich will denen doch keinen Anlass geben, mich wieder wegzusperren", sagt er.
Falk verfolgt genau, was in Syrien und im Irak vor sich geht. Mit dem IS aber will der deutsche Islamist nicht in Verbindung gebracht werden – auch wenn sich beide auf die Lehren des Korans berufen. "Ich bin doch nicht verrückt, uns trennen inhaltlich Welten", sagt er entschieden und wiederholt es mehrfach. "Köpfe am Fließband abschneiden, wie das der IS tut, ist doch völlig absurd."
Die Helden des Bernhard Falk kämpfen für die Al-Nusra-Front; die Brigade tritt als offizieller Stellvertreter al-Qaidas in Syrien auf. "Das ist ein langfristiges Projekt, bodenständig und von der Bevölkerung unterstützt", sagt Falk und bestellt noch ein Wasser. Unter radikalen Islamisten in Deutschland ist Kritik am IS nicht beliebt. Zu überraschend war dessen Vorstoß, zu euphorisierend die anfänglichen Erfolge des Kalifats.
Al-Qaida hingegen gilt den IS-Anhängern als überholter, altbackener Verein, der den wahren Islam verunglimpfe. Wegen seiner Unterstützung für al-Qaida wird Bernhard Falk beschimpft und bedroht. "Möge Allah dich erleuchten oder vernichten", wünschte ihm Mohammed Mahmoud, ein bekannter österreichischer Dschihadist, aus Syrien per Twitter.
Nach Syrien reisen? Eine "Sackgasse"
Die zwischenzeitliche Formschwäche des IS registrierte Bernhard Falk mit tiefer Zufriedenheit; er werde deswegen seither als Al-Qaida-Sympathisant weniger häufig beschimpft. Zusätzliche Genugtuung bringt ihm der Siegeszug "seiner" Nusra-Front, die im Norden Syriens auf dem Vormarsch ist. Sie hat rivalisierende Rebellen, aber auch Regimetruppen von Präsident Baschar al-Assad weitflächig vertrieben.
Will er nun selbst in die Region reisen, um dort zu kämpfen? "Syrien ist doch eine Sackgasse", sagt Falk. "Ich kann nie mehr zurückkommen, wenn ich dorthin fahre." Er befürchtet wohl zu Recht, dass die deutschen Behörden ihm die Wiedereinreise verweigern würden. Ganz auswandern aber, wie einst der Prophet Mohammed, das würde Falk nur unter einer Bedingung. "Es müsste eine echte Zukunftsperspektive geben", sagt er. Er denkt an einen islamischen Staat, in dem "die Scharia nicht nach Lust und Laune ausgeübt wird". Ein gerechter Staat, in dem die Regeln Allahs gelten – und nicht die Regeln des Stärksten.
Die jüngsten Eroberungen der IS-Milizen im Irak und Syrien dürften seinen Träumen einen Dämpfer verpassen – und ihm selbst mehr Arbeit verschaffen. Das Erstarken des Islamischen Staates wird neue Kämpfer aus dem Ausland anlocken. Und wenn diese dann eines Tages nach Deutschland zurückkehren sollten, dann besteht die Chance, dass sie Bernhard Falks Hilfe brauchen können. Für ein paar Briefe oder die Vermittlung eines Anwalts.
Von Alfred Hackensberger Korrespondent Welt 25.05.15
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