Mittwoch, 13. Mai 2015
Hartz IV: Frust und lange Wartezeiten im Jobcenter
Vier-Augen-Prinzip verursacht erhöhten Personalbedarf im Jobcenter
Das Vier-Augen-Prinzip soll zur Erhöhung der „Kassensicherheit in den IT-Verfahren" beitragen, heißt es von offizieller Seite. Bisher galt diese Arbeitsanweisung nur bei Neuanträgen und Änderungen bei der Weiterbewilligung. Dass nun jede einzelne Auszahlung von einem zweiten Mitarbeiter gegengezeichnet werden muss, erschwert den Arbeitsalltag der Jobcenter-Angestellten ungemein.
Bei den ohnehin überlasteten Mitarbeitern liegen die Nerven blank – und das bekommen Hartz IV-Bezieher regelmäßig zu spüren. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen Sachbearbeiter und Arbeitsvermittler der Behörde ausgesprochen unfreundlichen und unsachlich auf die Anliegen der Leistungsberechtigten reagieren. So berichtete „sueddeutsche.de“ Anfang April über eine Jobcenter-Angestellte, die sich weigerte, weitere Anrufe einer Kundin entgegenzunehmen. „Aktuell sind wir derart überlastet", dass „künftig sämtliche Anliegen postalisch zu klären" seien, zitiert die Online-Ausgabe der Zeitung die Jobcenter-Mitarbeiterin. Die Betroffene müsse sich „künftig auch auf längere Bearbeitungszeiten einstellen", sofern sie sich „gegenüber ihrer Sachbearbeitung keinen anderen Ton" angewöhne.
Offener Brief der Jobcenter-Personalräte kritisiert Vier-Augen-Prinzip
Die Personalräte der Jobcenter sehen das Vier-Augen-Prinzip äußerst kritisch. Im Namen der Personalvertretungen der bayerischen Jobcenter formulierte der Personalrat des Münchner Jobcenters einen offenen Protestbrief. „Der durch die Weisung erzeugte zusätzliche Arbeitsaufwand ist erheblich", zitiert die Zeitung aus dem Schreiben. „Die zusätzliche Belastung führt die Organisation in einigen Bereichen über den Rand des Zumutbaren." An vielen Stellen könnten erforderliche Arbeiten „nicht oder nicht in wünschenswerter Tiefe" durchgeführt werden, weil dauerhaft Personalmangel bestehe. Erschwerend komme, dass bis zum 30. Juni alle Datenbestände zur Leistungsgewährung aus der alten Jobcenter-Software „A2LL" in die neue „Allegro" übertragen werden müssten. „Alle Datensätze müssen einzeln, von Hand, durch fachkundige Mitarbeiter, mit hohem Zeitaufwand - zusätzlich zur alltäglich anfallenden Arbeit - übertragen werden." Deshalb sei die Anweisung ein „Schlag gegen die Funktionsfähigkeit der Organisation".
Bundessozialministerin sieht keinen Handlungsbedarf
Münchens Sozialreferentin Brigitte Meier, Augsburgs Dritter Bürgermeister Stefan Kiefer und der Nürnberger Sozialreferent Reiner Prölß kamen den Personalräten zu Hilfe, in dem sie Bundessozialministerin Andrea Nahles aufforderten, die Geschäftsanweisung zurückzunehmen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Sicherungssysteme ausgeweitet werden müssten. Die finanzielle Ausstattung der Jobcenter verschärfe sich zunehmend, was zu Lasten der Leistungsbezieher gehe, heißt es in ihrem Schreiben. Durch die steigende Bearbeitungsdauer von Hartz IV-Anträgen, gerieten die Betroffenen in finanzielle Not. (ag)
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