Schlimmer als im Film: Um die US-Grenze
zu schützen, lässt Trump nun sogar Babys inhaftieren. Ohne
Eltern, finanziert durch Steuergelder. Die Empörung ist
groß.
Von Lea Wagner
taz v. 20.6.2018
Mit achtzehn Monaten lernen Kinder
oft Treppensteigen, mehrere Wörter aneinanderzureihen und
Rückwärtslaufen. Manche werden noch gestillt. Viele Eltern
finden Eineinhalbjährige zu klein, um sie in einer Kita betreuen
zu lassen.
In den USA werden achtzehn Monate alte
Kinder zurzeit inhaftiert. Ohne ihre Eltern. Das Vergehen der
Kinder? Illegal eingereist zu sein in ein Land, dessen Präsident
davon träumt, es wieder „großartig“ zu machen. Dafür müsse er es
von einer „Pest“ befreien: von illegalen Einwanderern.
„Vergewaltigern“. Genau so hat er Mexikaner bezeichnet.
Seit Mai sollen mehr als 2.300 Kinder
direkt nach Grenzübertritt verhaftet und in Lager gebracht
worden sein. Diese bestehen teils aus Zeltstädten in der
texanischen Wüste, teils sind sie in unbenutzten Warenhäusern
untergebracht, eines befindet sich in einer ehemaligen
Walmart-Filiale. An manchen dieser Orte schlafen die Kinder auf
Matratzen, eingewickelt in Thermofolie. Oft sitzen sie – manche
sind Babys – in käfigartigen Strukturen, die mitunter kaum
größer als ein Hundezwinger sind, auf dem Boden.
Mediziner und Psychologen, denen Zutritt
gewährt wurde – JournalistInnen durften bislang so gut wie keine
in die Lager – berichten von jämmerlich weinenden, teils
verzweifelt schreienden Kleinkindern. Ein inhaftiertes Mädchen
im Teenageralter soll wesentlich jüngeren Mithäftlingen gezeigt
haben, wie man ein Kleinkind wickelt. Und befreite so eine mit
ihnen zusammen eingesperrte Vierjährige, aus der misslichen
Lage, stundenlang mit einer schmutzigen Windel herumlaufen zu
müssen. Scheinbar fehlt es nicht nur an Personal, das die Kleine
wickeln könnte. Auch Windeln sollen knapp sein.
Hunderte Kinder könnten schlichtweg verlorengehen
Im Netz kursiert ein Audio-Mitschnitt
von der mexikanischen Grenze, das Undercover-JournalistInnen
aufgenommen und ins Internet gestellt haben sollen. Darauf hört
man die kläglichen Schreie von Kindern, die verzweifelt nach
ihren Eltern rufen. Sich das anzuhören, ist nur schwer
auszuhalten. Sogar ein Mädchen mit Down-Syndrom soll von seiner
Mutter getrennt worden sein. Und Babys, die noch gestillt
werden. Drei Lager eigens für Babys und Kleinkinder gibt es
bereits in Texas; ein viertes soll in Kürze eröffnet werden.
Gebaut mit Steuergeldern.
Getrennt sein sollen die Kinder von ihren
Eltern für die Dauer von deren Asylverfahren, die sich mitunter
über Jahre hinziehen können. In der Zwischenzeit sollen die
Kinder von den Lagern auf Pflegefamilien verteilt werden. Wie
Kinder und Eltern technisch überhaupt wieder zusammengeführt
werden können, ist unklar. Einen Plan scheint es nicht zu geben.
Ein Regierungsmitarbeiter befürchtet, Hunderte von Kindern
würden irgendwo im System verlorengehen. So fehlt bereits von
mehreren Kindern, hauptsächlich Mädchen, jede Spur. Man kann die
Entwicklungen unter dem Hashtag WhereAreTheGirls
verfolgen. Das letzte Mal, das ein ganz ähnlicher Hashtag
benutzt wurde, war, als die Terrororganisation Boko Haram
nigerianische Schulmädchen entführte.
Kinderärzte, Psychiater und Psychologen
schlagen Alarm und fürchten ernsthafte Folgen in Form von
anhaltender Traumatisierung durch größten emotionalen Stress.
Ein honduranischer
Vater, der von seiner Frau und seinem Kind getrennt wurde,
erlitt einen Nervenzusammenbruch. Und nahm sich anschließend das
Leben.
Das Netz reagiert entsetzt. Der ehemalige
US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders schreibt auf Twitter,
es handle sich – laut Amnesty – um Folter. Tauendfach geteilt
wurde das Video der Nachrichtensprecherin Rachel
Maddow, die in Tränen ausbricht und der die Stimme
versagt, als sie von den sogenannten „Babyknästen“ – offiziell
Tender Age Shelters genannt, also Heime für Kinder im zarten
Alter – berichten soll. #BabyJails
ist mittlerweile einer der Top Trends auf Twitter. Vielfach
gepostet wurde auch der Brief
einer Mutter an ihren sechsjährigen Sohn, den sie schon
zwei Wochen nicht mehr gesehen hat. Er möge die Hoffnung nicht
aufgeben, schreibt sie ihm. Und dass sie ihm für seine Rückkehr
das Batman-Spielzeug kaufen wolle, das er sich so sehr gewünscht
habe.
Kritik von Microsoft und mehreren ehemaligen First Ladies
Der CEO von Microsoft Satya
Nadella hat sich öffentlich gegen die Praktik von Trumps
Regierung ausgesprochen. Als Einwanderer und Vater fühle er sich
gleich doppelt angesprochen. Seinem Unternehmen wird allerdings
der Vorwurf gemacht, Software an die US-Grenzschutzagentur ICE
zu liefern.
Laura Bush, Michelle Obama und Hillary
Clinton zeigen sich ebenfalls empört.
Auffällig ist, dass sich die
Nazi-Vergleiche häufen. Man findet sie zum Beispiel unter dem
Hastag TrumpConcentrationCampsForKids.
Auf einem (Original)Bild von Auschwitz
prangt da plötzlich ein „Trump“-Schriftzug über dem
Lagereingang. Dann gibt es eine Zeichnung, auf der gestreifte
Pyjamas verkauft werden: „Für Migrantenkinder, klassischer Stil
wie in Europa in den 40ern, gefertigt in China – von Kindern für
Kinder, ideal fürs Lager“ steht darauf.
Die Angestellten der Einwanderungsbehörde
ICE werden auf Twitter von mehreren Usern sogar mit dem
NS-Verbrecher Adolf Eichmann verglichen. Eichmann hatte 1961 im
Prozess gegen ihn seine Taten damit gerechtfertigt, lediglich
seinen Job getan zu haben. Die Behördenmitarbeiter wählten
ähnliche Worte.
Vergleiche mit Ceaușescu
Außerdem tauchen Vergleiche mit Rumänien
unter Ceaușescu auf. Und mit der Internierung von in den USA
lebenden JapanerInnen während des Zweiten Weltkriegs. Ein Mann,
der damals ins Lager musste, meldet sich im Netz zu Wort. Er
schreibt, das, was damals passiert sei, sei weniger schlimm
gewesen als das, was sich gerade abspiele.
Und Trump? Sagt, er sei ebenfalls
schockiert. Doch schuld seien die Demokraten, die keiner
Verschärfung der Einwanderungspolitik zustimmten.
Zurzeit wird ein Gesetzesentwurf
verhandelt, der vorsieht, dass Kinder nur noch zusammen mit
ihren Eltern inhaftiert werden sollen. Der Preis dafür? Dass der
Kongress die für die Mauer an der US-mexikanischen Grenze
benötigten Gelder in Milliardenhöhe freigibt.
Ein schmutziger Deal. Aber alles
besser, als länger an der Trennung von Kindern und Eltern
festzuhalten. Kann jemand mal bitte Trump von der Liste von
Friedensnobelpreiskandidaten nehmen?
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