Ungerechter Tausch
Am 21. Juni 1948 bildeten sich vor den Banken der Westzonen lange Schlangen (Aufnahme aus Essen)
Foto: Bundesarchiv
(https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ec/Bundesarchiv_Bild_183-2005-1017-513%2C_Essen%2C_W%C3%A4hrungsr
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»Sie haben uns von
1945 bis zur Währungsreform richtig ausgehungert und mit unserer Arbeit
die ganzen Folgen des Krieges beseitigen lassen. Wir haben den Schutt
und die Trümmer weggeräumt und die Fabriken wieder aufgebaut, und die
Kapitalisten haben die sich angeeignet und sich die Taschen voll Geld
gemacht. Dann kam das große Wunder, die Währungsreform. Das, was wir
vorher mit Hunger und Schweiß erarbeitet hatten, wurde uns jetzt für
viel Geld verkauft. Aber ich bin mir klar darüber, dass diese Tatsache,
wenn auf einmal alles, was das Herz nur wünschen kann, zu kaufen ist,
eine große Wirkung auf das Denken und Fühlen aller Menschen gehabt hat.«
Der
20. Juni 1948 gilt bis heute in der historischen Erinnerung der
Bundesrepublik als Beginn des Wirtschaftswunders, als eigentliches
Gründungsdatum der Republik. An diesem Tag durften die Bewohner der
Westzonen einen Teil ihres Barbestandes, 60 Reichsmark, in Deutsche Mark
umtauschen. Wenn das so eine tolle Sache war, fragt man sich, warum
wurde der Start in den Wohlstand erst mehr als drei Jahre nach dem Krieg
vollzogen? Denn jedermann in den Westzonen wusste: Notwendig war ein
Währungsschnitt schon lange. Das Naziregime hatte durch Rüstung und
Krieg die Staatsschulden vervielfacht und den Geldumlauf inflationär in
die Höhe getrieben. Die Inflation zeigte sich an der Differenz zwischen
den festgesetzten Höchstpreisen für die mit Lebensmittelkarten
erhältlichen Waren und den Preisen auf dem Schwarzmarkt. Dort kosteten
im Frühjahr 1948 eine amerikanische Zigarette sechs, eine Glühbirne 50,
ein Pfund Kaffee 400 und ein Radio 3.000 Reichsmark. Spekulanten, die
derartige Güter anbieten konnten, horteten einen Teil davon in Erwartung
weiter steigender Preise. Die westdeutschen Behörden konnten
angesichts dieser Misere nicht länger untätig bleiben. Im Frühjahr 1948
stellte die »Sonderstelle Geld und Kredit« in Bad Homburg, eine
Einrichtung der das britische und US-amerikanische Besatzungsgebiet
umfassenden Zweizonenverwaltung, den sogenannten Homburger Plan für eine
Währungsreform vor. Für die dann erfolgte Reform spielte er allerdings
keine Rolle, denn die letzte Entscheidung lag bei den Besatzungsmächten.
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Dass die Alliierten in der Währungsfrage nicht längst eingeschritten waren, hatte politische Gründe. Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten konnten sich im Alliierten Kontrollrat nicht auf eine für alle Besatzungszonen geltende Währungsreform einigen. Als dann der sowjetische Militärgouverneur Wassili Sokolowski im März 1948 im Streit den Kontrollrat für immer verließ, erreichten die US-Amerikaner, dass sich Engländer und Franzosen ihren Reformvorschlägen anschlossen. Zu letzten Abstimmungen über den Modus des Geldumtauschs setzten die Westmächte im April eine Kommission von Experten aus den Westzonen ein, die unter strengster Geheimhaltung die Umtauschaktion vorbereiten sollte. Sieben Wochen dauerte die Arbeit der »Währungskonklave«, die in Rothwesten, nördlich von Frankfurt am Main, tagte. Am 16. Juni teilten die Westalliierten der sowjetischen Seite mit, dass sie für ihre Zonen die Geldumstellung vornehmen würden.
Zehn zu eins
Der 20. Juni wurde zum ersten Umtauschtag. Alle Westzonenbewohner begaben sich an diesem Tag zu den für sie zuständigen Lebensmittelkartenstellen. Gegen Vorlage ihres Ausweises und der Lebensmittelkarten erhielten sie das Kopfgeld, die ersten neuen Geldscheine. Insgesamt wurden an diesem und dem folgenden Tag 37 Milliarden Reichsmark eingezogen. Bis zum Oktober wurden auch die Bank- und Sparguthaben in einem Verhältnis von zehn zu eins umgestellt.Die Mehrzahl der Westdeutschen scherte das wenig. Sie starrten seit der Währungsreform fasziniert in die Auslagen der Geschäfte, in denen bisher über die für Marken erhältlichen Waren hinaus nur wenige Güter gekauft werden konnten und für die man zudem oft stundenlang hatte anstehen müssen. Am Tag nach der Währungsreform, einem Montag, waren die Schaufenster schlagartig gefüllt. Die lange gehorteten Waren kamen ans Tageslicht, denn die Preise waren, gemessen an den Schwarzmarktkursen, dramatisch gesunken. Hatte man in der Woche zuvor noch sechs Reichsmark für eine amerikanische Zigarette bezahlt, so konnte man dafür jetzt eine ganze Packung erwerben. Wer allerdings als Arbeitsloser, Kleinverdiener oder Rentner seinen Konsum weitgehend auf die früher zu subventionierten Kartenpreisen erworbenen Lebensmittel beschränken musste, erlebte dieses Preiswunder kaum. Die Währungsreform bewirkte hier eher das Gegenteil: Die Preise für Lebensmittel stiegen, verglichen mit dem Kartenpreisniveau, deutlich an. Auch in anderer Weise benachteiligte die Währungsreform die ärmeren Schichten: Die mühsam ersparten Notgroschen wurden beim Umtausch im Verhältnis von zehn zu eins nicht anders behandelt als die gut gefüllten Konten der Schwarzmarkthändler. Diejenigen, die Sachvermögen besaßen, wurden bevorteilt gegenüber Ausgebombten und Flüchtlingen, die ihre Immobilien und Wertgegenstände weitgehend verloren hatten.
Kritik der Gewerkschaften
Einer der wenigen Politiker, die die Währungsreform nicht uneingeschränkt begrüßten, war Reinhold Maier von der Demokratischen Volkspartei, die wenig später in die FDP aufging. Dem ersten baden-württembergischen Ministerpräsidenten war es, in Kenntnis des Homburger Plans, »unverständlich, dass bei der Währungsreform soziale Gesichtspunkte nicht berücksichtigt worden sind«.Die Gewerkschaften reagierten unmittelbar und verlangten zur Absicherung des Grundbedarfs bei einigen Gütern, Lebensmitteln, aber auch Textilien und Schuhen, ein ausreichendes Konsumgüterangebot zu niedrigen Preisen bereitzustellen. Am 12. November 1948 beteiligten sich in den Westzonen mehr als neun Millionen Bürger an einem von den Gewerkschaften ausgerufenen Streik. Daraufhin sah sich Ludwig Erhard, der Direktor der Verwaltung für Wirtschaft der westlichen Besatzungszonen, gezwungen, ein »Konsumbrotprogramm« zu initiieren. Es ermächtigte die Regierungsbehörden, den »Preis für Mehl, Brot und Kleingebäck« festzulegen, »soweit dies zur Sicherung der Brotversorgung der Bevölkerung oder eines volkswirtschaftlich gerechtfertigten Brotpreises erforderlich ist«. Die Gewerkschaften hatten damit einen Achtungserfolg errungen. An der sozialen Differenzierung, die mit der Währungsreform vorangetrieben wurde, änderte das aber nichts.
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