Seit Beginn der Wahlperiode 2017 starben in
Mexiko 47 Kandidaten gewaltsam. Kriminelle wollen zukünftige
Bürgermeister kontrollieren.
von W.-D. Vogel
taz v. 24.6.2018
OAXACA taz
| Zuletzt traf es Fernando Ángeles Juárez. Der 64-jährige
Bürgermeisterkandidat wollte sich gerade auf den Weg zu
einer Wahlveranstaltung machen, als mehrere bewaffnete
Männer am Donnerstag in sein Haus eindrangen und ihn
erschossen. Zwölf Stunden zuvor tötete ein Killerkommando
Omar Gomez Lucatero. Auch er wollte Stadtvorsteher werden,
und auch er war wie Ángeles offensichtlich den Kriminellen
im mexikanischen Bundesstaat Michoacán ein Dorn im Auge.
Es ist Wahlkampf in Mexiko. Kein Tag
vergeht, an dem nicht Amtsanwärter und deren Unterstützer
bedroht, angegriffen oder ermordet werden. Mit Juárez und
Lucatero steigt die Liste der Menschen, die seit der
Eröffnung der Wahlperiode im September 2017 gewaltsam
gestorben sind, auf 121 Opfer an. 47 waren für ein Amt
angetreten.
Eine Woche, bevor am 1. Juli in Mexiko
ein neuer Präsident, acht Gouverneure sowie zahlreiche
Abgeordnete und Bürgermeister gewählt werden, hat die
Eskalation damit einen historischen Rekord erreicht. Die
Zahl der Toten hat sich vervierfacht, seit die Mexikaner
2015 das letzte Mal zu den Urnen gegangen sind.
„Der aktuelle Wahlprozess ist in
erster Linie von Gewalt geprägt“, kritisierte die
Vorsitzende des mexikanischen Wahlgerichts, Janine Madeline
Otálora. In Teilen des Landes würden die Kriminellen
entscheiden, wer auf dem Wahlzettel stehe und wer nicht. Die
Angriffe finden vor allem in kleineren Städten armer
Bundesstaaten statt, in denen Banden des organisierten
Verbrechens das Sagen haben: Oaxaca, Guerrero, Michoacán.
Betroffen sind meist Bürgermeister und andere örtliche
Amtsträger.
Die Kriminellen müssen diese Behörden
und damit die Polizei kontrollieren, um ungestört Drogen zu
transportieren, Schutzgeld zu kassieren oder illegal
Edelmetall abzubauen. Wer ihnen in die Quere kommen könnte,
wird kaltgestellt. So wohl auch Ángeles Juárez, der in
seinem Wahlkampf Michoacán angekündigt hatte, mit den
„korrupten Behörden“ Schluss zu machen. Ebenso kann es
Politiker treffen, die für konkurrierende Banden arbeiten.
Eher sterben als die Wahl gewinnen
80 Prozent der Opfer gehören Parteien
an, die in den jeweiligen Regionen zur Opposition zählten.
Parteipolitisch lassen sich die Angriffe jedoch nicht
zuordnen. Während Ángeles Juárez für eine
bürgerlich-konservative Allianz kandidierte, starben in
Guerrero Aktivisten der ehemaligen Staatspartei PRI. In
Oaxaca stürmten vor wenigen Tagen bewaffnete Männer mit
Macheten und Pistolen das Haus der Abgeordneten Nancy
Benítez, die für das linke Bündnis Morena ins Rennen geht.
Sie hätten ihr gedroht, sie werde eher sterben als die Wahl
gewinnen, berichtet Benítez.
Auch Mitarbeiter der Nationalen
Wahlbehörde (INE) stehen unter dem Druck krimineller
Organisationen. „Sie haben uns klargemacht, dass sie nicht
wollen, dass wir in bestimmten Orten Schulungen
durchführen“, sagt Dagoberto Santos, der für die INE in
Guerrero arbeitet. Zudem hätten die Banden vorgeschrieben,
zu welchen Zeiten sie in ihren Büros arbeiten dürfen.
Nach INE-Angaben haben bereits
1.029 Amtsanwärter wegen der gewalttätigen Verhältnisse ihre
Kandidatur zurückgezogen. Eine indigene Gemeinde, die den
Bürgermeisterkandidaten Ángeles Juárez unterstützte, zieht
andere Konsequenzen: Sie forderte die Behörden auf, die
Täter zur Verantwortung zu ziehen. Sollte das nicht
geschehen, werde man die Mörder selbst aufgreifen und töten.
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