Donnerstag, 21. Juni 2018

Meseberger Erklärung: Deutsch-französische EU-Militarisierungsambitionen

IMI-Standpunkt 2018/024



von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 21. Juni 2018



Es ist wohl kaum übertrieben, die Ergebnisse des letzten deutsch-französischen Ministerrates am 13. Juli 2017 als „Meilenstein“ für den Ausbau des EU-Militärapparates einzustufen. Vor allem der Beschluss zum Bau mehrerer gemeinsamer Rüstungsgroßprojekte und die Einigung auf die wichtigsten Kriterien für eine Aktivierung der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (engl. PESCO) sind hier zu nennen. Ganz so spektakulär fielen die Ergebnisse des jüngsten Gipfeltreffens am 19. Juni 2018 nicht aus, dennoch enthält aber die abschließende „Meseberger Erklärung“ einige wichtige Passagen, die die EU-Außen- und Militärpolitik betreffen.
Außenpolitik: Kein Konsens!
Auf Grundlage der Einigung beim deutsch-französischen Gipfeltreffen im Juli 2017 konnte mit der Aktivierung von PESCO Ende letzten Jahres das Konsensprinzip im EU-Militärbereich partiell ausgehebelt werden. Nun steht selbiges für den außenpolitischen Bereich auf der Agenda, da die Einführung von Mehrheitsentscheidungen zu massiven Einflussgewinnen der bevölkerungsreichsten EU-Staaten – und damit natürlich zuvorderst Deutschlands und Frankreichs – auf Kosten der kleinen und mittleren Mitgliedsländer führt. Etwas freundlicher formuliert eine Analyse der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) den Nutzen von Mehrheitsentscheidungen folgendermaßen: „Die qualifizierte Mehrheit im Rat mit ihren Anforderungen (55% der Mitgliedstaaten, die 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren) verleiht den großen Mitgliedstaaten erhebliches Gewicht. […] Die Mehrheitsverfahren funktionieren dann am besten, wenn sie genutzt werden, um Mitgliedstaaten zu Kompromissen zu bewegen, die sie im Fall eines einzelstaatlichen Vetorechts abgelehnt hätten.“
In den letzten Monaten hat sich ein EU-Schwergewicht nach dem anderen hinter diese Forderung gestellt, angefangen von Wolfgang Ischinger, dem Leiter der Münchner Sicherheitspolitik, über den EU-Granden Jean Asselborn bis hin zu Außenminister Heiko Maas und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker (siehe IMI-Aktuell 2018/305). Nicht allzu überraschend will deshalb auch die „Meseberger Erklärung“ „Möglichkeiten der Nutzung von Mehrheitsentscheidungen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik prüfen.“
Rüstungsgroßprojekte
Aktuell befinden sich vor allem drei deutsch-französische Rüstungsgroßprojekte in unterschiedlich frühen Realisierungsstadien. Sie sollen als künftige europaweite Referenzsysteme auch von allen anderen Mitgliedsländern erworben werden, ohne aber, dass diese Mitspracherechte auf deren Ausgestaltung eingeräumt würden. Hiervon verspricht man sich deutlich höhere Stückzahlen und damit günstigere Stückpreise, so zumindest die Vorstellung in Paris und Berlin.
Am weitesten Fortgeschritten ist der geplante Bau einer Eurodrohne (an dem auch noch Italien und Spanien beteiligt sind), für den bereits im September 2016 eine zweijährige Definitionsstudie in Auftrag gegeben wurde. Bei der diesjährigen „Internationalen Luftausstellung“ (ILA) Ende April 2018 wurde der Öffentlichkeit erstmals ein 1:1 Modell der Drohe präsentiert: „Ein sichtbarer Beweis für den aktuellen Fortschritt im Projekt“, freut sich diesbezüglich etwa ein Fact Sheet der Bundeswehr.
Darüber hinaus verständigten sich Deutschland und Frankreich bereits beim letzten Treffen des Ministerrats im Juli 2017 auf den Bau eines gemeinsamen Kampfflugzeugs (FCAS) und eines Kampfpanzers (MGCS). Auch für das Kampfflugzeug wurden auf der ILA wichtige Weichen gestellt, indem dort ein Memorandum unterzeichnet wurde, in dem die grundsätzlichen militärischen Anforderungen an das neue Kampfsystem festgelegt wurden  (siehe IMI-Analyse 2018/10). Ganz ähnlich geschah dies kurz darauf mit dem Kampfpanzer, für den die deutsch-französische Holding KNDS, bestehend auf Nexter und Krauss-Maffei Wegmann, bei der Eurosatory Anfang Juni 2018 einen Demonstrator präsentierte. Laut Defensenews wird damit gerechnet, dass sich Deutschland und Frankreich Anfang 2019 endgültig auf die Anforderungen an einen künftigen Kampfpanzer verständigen. Insofern überrascht es wenig, wenn die „Meseberger Erklärung“ erklärt, es gelte „die gemeinsamen Bemühungen um die Entwicklung militärischer Fähigkeiten weiterzuführen, insbesondere im Hinblick auf das Main Ground Combat System (MGCS) und das Future Combat Aerial System (FCAS).“
Unklar ist aktuell, ob beide Systeme im Rahmen der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ entwickelt und ob sie aus dem künftigen „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF) finanziert werden sollen. Spiegel Online berichtete diesbezüglich Mitte Juni 2018, zwar würde eine lange Liste mit Kandidaten für eine EVF-Finanzierung kursieren, geeinigt hätten sich die Mitgliedsstaaten bislang aber lediglich auf die Finanzierung der Entwicklung der Eurodrohne. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass Deutschland und Frankreich massiv darauf drängen werden, ihre beiden Prestigeprojekte über den EVF querfinanzieren zu lassen, um ihnen so eine Art „Starthilfe“ zu geben.
Macrons Interventionsinitiative
Generell ist Paris – vorsichtig formuliert – nicht ganz glücklich mit der aktuellen Ausrichtung von PESCO, in der der militärische Kapazitätsaufbau im Vordergrund steht. Aus französischer Sicht kommt dabei die „operative Dimension“, also Militäreinsätze, deutlich zu kurz und auch mit der Tatsache, dass PESCO mit 25 Staaten alles andere als ein exklusiver Klub der „Fähigsten“ und „Willigsten“ geworden ist, entspricht den deutschen und nicht den französischen Präferenzen.
Vor diesem Hintergrund schlug der französische Präsent Emmanuel Macron eine „Europäische Interventionsinitiative“ (E2I) vor, deren genaue Beweggründe in einer Analyse von Christian Mölling (DGAP) und Claudia Major (SWP) folgendermaßen zusammengefasst wurden: „Aus französischer Sicht haben sich die EU-Strukturen bislang als wenig hilfreich für schnelle Interventionen erwiesen. […] Die seit 2016 lancierten EU-Verteidigungsinitiativen kommen nur langsam voran und decken vor allem die operative Dimension nicht ab. Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (engl. PESCO) konzentriert sich auf militärische Fähigkeiten, die Koordinierte Jährliche Verteidigungsanalyse (engl. CARD) auf die Verteidigungsplanung und der Europäische Verteidigungsfonds (EVF) auf die Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern. […] Tatsächlich zeigt die EI2 Charakteristika, die Frankreich auch schon für PESCO angestrebt hatte. In den Verhandlungen Ende 2017 hatte Paris ein exklusives PESCO-Format gefordert, das operative Elemente umfasst und ambitionierte Einsatzszenarien abdeckt. […] Bezüglich der Einsatzszenarien betont Frankreich, dass die Operation in Mali für die EI2 Modell gestanden hat. Es geht also um zeitlich begrenzte, aber militärisch intensive Antiterror-Interventionen in Europas südlicher Nachbarschaft, genau genommen: Afrika.“
Aus französischer Sicht soll die Interventionsinitiative maximale Flexibilität mit größtmöglicher militärischer Schlagkraft kombinieren. Aus diesem Grund soll die E2I außerhalb formaler EU-Strukturen angesiedelt und die neun in Sachen Auslandseinsätze „erfahrensten“ Länder Europas ins Boot geholt werden – und dazu gehören mit Großbritannien und Dänemark auch zwei Staaten, die nicht Teil von PESCO sind. Unter anderem aus diesem Grund wurde der Vorschlag in Deutschland zunächst lauwarm aufgenommen, da Berlin die Initiative gern im PESCO-Rahmen gesehen hätte.
Um zu einem Kompromiss zu gelangen, scheint auch Frankreich seine E2I-Vorstellungen (etwas) angepasst zu haben: „Paris hat seine Erwartungen letztlich etwas zurückgeschraubt. Ging es anfangs noch um eine Interventionstruppe, liegt der Fokus nun zunächst auf Koordination. Frankreich erwartet Unterstützung – das muss aber nicht heißen, dass Partner von Anfang an in einen kurzfristig von Paris entschiedenen Kampfeinsatz gehen.“ (ebd.) Dies dürfte schlussendlich den Weg geebnet haben, dass es in der „Meseberger Erklärung“ nun heißt, die „Europäische Interventionsinitiative“ solle „so eng wie möglich mit der SSZ verknüpft“ werden. Damit ist der Weg frei, das Vorhaben außerhalb von PESCO anzusiedeln, was in Form einer Absichtserklärung der von Frankreich eingeladenen Länder laut Politico noch in diesem Monat geschehen könnte.
EU-Sicherheitsrat?
Eine letzte wichtige Frage, die von der „Meseberger Erklärung“ aufgeworfen wird, ist die, was sich hinter der Forderung nach einer „Debatte über neue Formate, zum Beispiel einen EU Sicherheitsrat“ verbirgt. Der Vorschlag war von Kanzlerin Angela Merkel Anfang Juni 2018 auch als Ergänzung und eigener Beitrag angesichts der französischen E2I-Pläne formuliert worden. Zur Struktur und Funktionsweise zitierte die FAZ die Kanzlerin mit den Worten: „Die Mitgliedschaft würde rotieren, der EU-Sicherheitsrat könnte schneller agieren, würde sich eng mit der Hohen EU-Beauftragten für die Außenpolitik abstimmen sowie mit unseren europäischen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat.“
Allerdings bleibt hier doch vieles im Unklaren: Soll es ständige Mitglieder mit Vetorecht geben – eigentlich ist es undenkbar, dass Deutschland oder Frankreich hierauf verzichten werden. Ebenso schwer vorstellbar ist aber, dass sich die anderen Länder hieraus einlassen werden. Offen ist außerdem, ob der Rat über Militäreinsätze entscheiden darf – und wenn ja, wie es dann aussieht, wenn ein Land, das aktuell nicht im EU-Sicherheitsrat sitzt, einem solchen Einsatz ablehnend gegenübersteht.
Die Liste offener Fragen ließe sich  nahezu beliebig fortsetzen, was vor allem damit zusammenhängt, dass der deutsche Vorschlag doch reichlich unausgegoren daherkommt. Mit der „Meseberger Erklärung“ haben sich Deutschland und Frankreich nun aber darauf verständigt, die Frage künftig mit den anderen EU-Mitgliedern weiter diskutieren zu wollen, aller Wahrscheinlichkeit nach dann beim anstehenden EU-Gipfel Ende Juni 2018.

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