Donnerstag, 28. Juni 2018

Brüsseler Symbolpolitik


Das Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 hat begonnen: EU-Minister hören Polen wegen »Justizreform« an

Von Reinhard Lauterbach, Poznan
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Protest gegen die »Justizreform« vor dem Büro der Europäischen Union in Warschau am Dienstag
Der EU-Rat hat am Dienstag abend Vertreter der polnischen Regierung über die polnische »Justizreform« angehört. Das Treffen der für EU-Fragen zuständigen Minister in Luxemburg war Teil des beginnenden Rechtsstaatsverfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrags. Unmittelbare Beschlüsse gab es nicht. Das polnische Außenministerium bezeichnete die Diskussion als »sehr sachlich« und »erstmals an Inhalten und nicht an allgemeinen politischen Fragen orientiert«. Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans hielt allerdings an seinem Standpunkt fest, dass es »ernsthafte Probleme« mit der Rechtsstaatlichkeit in Polen gebe.
Das dringlichste Thema ist im Moment die geplante »Säuberung« des Obersten Gerichtshofs (OGH) durch eine neue Ruhestandsregelung. Die rechtskonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat mit ihrer absoluten Mehrheit beschlossen, dass alle Richter des OGH automatisch mit Vollendung des 65. Lebensjahrs in den Ruhestand versetzt werden. Dadurch würde sich die PiS mit einem Schlag rund 40 Prozent der dort amtierenden Kollegen entledigen und könnte sie durch eigene Kandidaten ersetzen.
Das Problem: Die sechsjährige Amtszeit der Richter am OGH ist in der Verfassung verankert, während die Ruhestandsregelung der PiS nur ein einfaches Gesetz ist. Die Verfassungswidrigkeit des letzteren nachzuweisen, dürfte dementsprechend nicht allzu schwerfallen. Ob er denn erbracht wird, ist aber fraglich, weil das polnische Verfassungsgericht schon von der Regierung kontrolliert wird. Bei der Anhörung in Luxemburg argumentierte Warschau trotzdem so ausweichend wie in der Sache bodenlos: Erstens gelte das Rentenalter von 65 Jahren für alle Berufe, also auch für Richter und auch solche am OGH. Zweitens stimme es zwar, dass deren Amtszeit in der Verfassung garantiert sei, aber es seien doch Umstände denkbar, unter denen sie vorzeitig endeten. So habe die jetzige Präsidentin des OGH, Malgorzata Gersdorf, ihr Amt selbst angetreten, nachdem ihr Vorgänger während seiner Amtszeit verstorben sei.
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Am Dienstag dieser Woche demonstrierten in ganz Polen erneut einige tausend Menschen, um die »unabhängigen Gerichte« zu unterstützen. Aus den Parolen wurde jedoch deutlich, dass die Liberalen die Hoffnung aufgegeben haben, die PiS werde noch einlenken. Sie setzt nun alles auf »Europa«, das »nicht nachgeben« solle.
Ob Brüssel mit der Anhörung in Luxemburg mehr als Symbolpolitik betrieben hat, ist fraglich. Denn für alle weiteren Schritte sind Mehrheiten erforderlich. Selbst wenn sich diese fänden: Ob sich die Verschärfung des Konflikts für die EU-Kommission politisch lohnen würde, ist nicht sicher. Nach jüngsten Umfragen ist in Polen die Unterstützung für die EU erstmals auf 46 Prozent gefallen – der Durchschnitt lag in den letzten Jahren zwischen 70 und 80 Prozent.

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