Auszug aus der Festrede zum Eid-ul-Fitr von Ayatullah Reza Ramezani, Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH)
Hamburg, 16.06.2018
IM NAMEN GOTTES, DES GNÄDIGEN, DES BARMHERZIGEN
Die Minderung von Schmerzen und die Durchsetzung von Gerechtigkeit
Der Monat Ramadan wirkt sich entscheidend auf die Fastenden aus. Aus unseren Überlieferungen wird deutlich, dass eine der wichtigsten Auswirkungen des heiligen Monats Ramadan die Minderung von Schmerzen und Leiden ist. Die Anzahl der Menschen, die Leid nachempfinden und sich dem entgegenstellen, vergrößert sich in diesem Monat.
Einer der größten Leiden der Menschen ist die materielle Armut. Gemäß einiger Überlieferungen erlangen jene, die Güter besitzen, durch den Monat Ramadan ein besseres Verständnis für die Armut. Der Hunger und Durst des Fastenden eröffnet ihm das Gedenken an existenziell Hungernde und Dürstende sowie an jene, denen notwendiger Besitz fehlt, sei dieser materiell oder immateriell. Der Reiche wird angehalten, von seinem Reichtum zu spenden. Der Wissende fühlt die Verpflichtung, sein Wissen zu lehren. Umgekehrt wird der Unwissende sich der Notwendigkeit gewahr, sich Wissen anzueignen, und jene in Armut erkennen den Wert der Genügsamkeit.
Wenn alle Menschen sich ihrer jeweiligen Verpflichtungen annehmen, derer Erkenntnis der Monat Ramadan die Tür öffnet, so werden die Probleme der Menschheit sicherlich wesentlich reduziert werden – sowie es der Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Menschheit in allen Epochen war und bis heute ist: die Durchsetzung von Gerechtigkeit. Und genau das fordert der Islam mit Nachdruck.
Das Islamische Zentrum Hambug ruft seit 57 Jahren zur zur Vernunft, Spiritualität und Gerechtigkeit auf
Die Bundesregierung und die Landes- und Regionalregierungen, verschiedene Institutionen und Organisationen sollten sich dessen bewusst sein, dass das Islamische Zentrum Hamburg stets zur Vernunft, Spiritualität und Gerechtigkeit eingeladen hat, denn diese sind die Notwendigkeiten von gestern, heute und morgen für die ganze Menschheit.
Es ist bedauerlicherweise ein verbreitetes Phänomen, bloß Parolen über Menschenrechte verlauten zu lassen, aber keine der Menschenrechte zu verteidigen, während Menschen fortwährend unterdrückt oder getötet werden und während Angst und Schrecken verbreitet wird. Diese nackten Verlautbarungen ohne Tatkraft besitzen wenig Wert.
Dieses Zentrum (IZH) hat sich stets für Vernunft und Gerechtigkeit in der Gesellschaft eingesetzt. Bei Parolen kann es nicht bleiben, wir haben zur Tat zu schreiten und die Forderungen nach Menschenrechten in der Praxis umzusetzen. Armut, Diskriminierung, Ungerechtigkeit, Tyrannei, Unterdrückung, Gewalt und Unfriede auf den verschiedensten Ebenen müssen benannt und bekämpft werden. Leider sehen wir in der Welt, wie einige Unterdrücker ihre Gewalttätigkeiten ungehindert ausüben und diese Unterdrücker sogar von anderen verteidigt werden.
Terror im Namen des Islams, während die Mehrheit der Opfer Muslime sind
Schauen Sie nur, wie viele Muslime in den letzten zwanzig, dreißig Jahren dem Terror, der Gewalt und Unterdrückung zum Opfer gefallen sind. Wie viele dieser unschuldigen Opfer waren Muslime? Und wie viele dieser Terroranschläge und Gewalttaten wurden gleichzeitig dem Islam zugeschrieben? Es wurden Gruppierungen geschaffen, ausgebildet und unterstützt, um deren Terror als Taten im Namen des Islams darzustellen – während die überwiegende Mehrheit der Opfer selbst Muslime sind. Unzählige Muslime wurden Opfer von Morden, Vertreibungen und Hungersnöten, während die sonst lautstarken Verteidiger der Menschenrechte schwiegen, da es nicht ihr eigenes Leid war. Imam Ali (a.) rät in „Nahdsch-ul-Balagha“ seinem Sohn: „Sei du selbst das Maß deiner Beziehung zu anderen. Was du für dich willst, das sollst du auch für andere wollen.“
Wir wollen für uns selbst keine Tyrannei, also dürfen wir das auch nicht für andere wollen. Wir wollen für uns Gerechtigkeit, Spiritualität, Vernunft und wir wollen für uns selbst die Würde, die Menschlichkeit und die Erkenntnis der Wahrheit. Also müssen wir das auch für andere wollen. Wir wollen für uns, dass unsere Rechte verwirklicht und bewahrt werden. Also müssen wir auch die Rechte anderer verwirklichen.
Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit
Das ist die goldene Regel, die uns zur Ethik und Menschlichkeit unter allen Menschen aufruft, zur Gleichheit und Verantwortung einander gegenüber. Damit wir das Paradies schon in dieser Welt erleben. Das Paradies auf Erden bedeutet Vernunft, Spiritualität und einander zu helfen sowie das Gefühl, einander helfen zu wollen oder Hilfe zu erhalten, wenn man danach ruft.
Diese Verantwortung füreinander muss eine Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit sein, gleich ob Muslim oder Nichtmuslim. Wenn ein Nichtmuslim von einem Muslim Hilfe benötigt, dann ist es die Pflicht eines Muslims, dem nach Hilfe Rufenden zur Hilfe zu eilen, unabhängig von dessen Glaube, gleich ob er Jude, Christ, Buddhist oder Atheist sei. Wie Imam Ali (a.) sagte: „Die Menschen sind zweierlei; entweder sind sie deine Glaubensgeschwister in der Religion oder deine Geschwister in der Schöpfung.“ Als Menschen müssen wir einander zur Hilfe eilen.
Es genügt nicht, nach furchtbaren Gewalttaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit lediglich seine allgemeine Besorgnis zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr müssen Resolutionen verabschiedet werden gegen jene, die Verbrechen an der Menschlichkeit begehen. Und es muss dafür Sorge getragen werden, dass diese Resolutionen umgesetzt werden.
Respekt gegenüber sämtliche Religionen und ihren Anhängern gehört zu den fundamentalen islamischen Glaubensüberzeugungen
Unter keinen Umständen dürfen Bewegungen initiiert werden, die gegen die Religionen gerichtet sind. Der Respekt gegenüber sämtlichen Religionen und ihren Anhängern, der Respekt gegenüber ihren Heiligtümern, gegenüber der Tora, der Bibel, dem Quran und gegenüber den Propheten Gottes gehört zu den Glaubensüberzeugungen im Islam. Gleiches gilt für die nicht-abrahamitischen Religionen.
Das Islamische Zentrum Hamburg hat sich aus islamischer Überzeugung stets mit Nachdruck für den respektvollen Austausch mit anderen Religionen eingesetzt. Dazu gehören das Mitwirken des Zentrums am Interreligiösen Forum Hamburg, am Interreligiösen Frauennetzwerk, die interreligiösen Dialogveranstaltungen mit katholischen Geistlichen von der Universität Sorbonne und viele weitere interreligiöse Plattformen. Darüber hinaus hat dieses Zentrum in der Veranstaltung zur Einheitswoche auch Personen mit konträren Ansichten eingeladen, da der respektvolle Umgang mit allen gesellschaftlichen Akteuren, gleich welcher Überzeugung, für uns ein wesentlicher Baustein des Miteinanders und unsere Überzeugung ist.
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