Wissenschaftler und Aktivisten fordern Abkehr vom Automobilismus. Auch Unternehmen wollen zum Teil strengere Abgaswerte
Von Wolfgang Pomrehn
Leider nur ein Bluff: Aktionstag am Dienstag am Berliner Hauptbahnhof
Foto: RubyImages/F. Boillot
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Die Verkehrspolitik der Bundesregierung sei kopflos, so Peter Grottian, Professor emeritus an der FU Berlin und Urgestein der außerparlamentarischen Bewegungen an der Spree. Das Bündnis trete unter anderem für eine deutliche Senkung der Transporttarife ein, um den öffentlichen Personenverkehr attraktiver zu machen, sagte Grottian am Dienstag vor Medienvertretern in der Hauptstadt. Dafür müssten die Angebote deutlich ausgedehnt werden. Aktuell gehe es auch um eine schonungslose Aufklärung des Dieselskandals. Der Bundespräsident müsse eine unabhängige Kommission einberufen, um »das Staats- und Unternehmensversagen« zu untersuchen. Die Bundesregierung wolle hingegen, dass Ruhe in diese Debatte einkehre und habe den einst für Anfang 2018 angekündigten Autogipfel sang- und klanglos aufgegeben.
Mit dieser Ruhe dürften sich die sozialen Bewegungen nicht abfinden, so Grottian. Sein Mitstreiter Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung machte deutlich, dass es um einen grundlegenden Umbau gehen müsse, von dem vor allem die Städte profitieren würden. Dort werde heute der öffentliche Raum von Autos dominiert, die über 23 Stunden am Tag ungenutzt herumstünden und viel Platz wegnähmen. Wenn sie fahren, mindern sie durch Lärm und Schadstoffe zusätzlich die Lebensqualität der Städter. Verbrennungsmotoren müssten daher aus den Städten verbannt werden. Was an Pkw und Lieferverkehr wirklich gebraucht werde, müsse elektrisch angetrieben werden. Vor allem aber müsse die Infrastruktur für Fußgänger und Fahrradfahrer erheblich verbessert und der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden. In der zweiten Julihälfte plant das Bündnis in Stuttgart ein großes Hearing als Gegenveranstaltung zu dem von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) geplanten Autogipfel.
Unterdessen haben sich eine Reihe Unternehmen sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Umweltbewusstes Management (BAUM) in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gewandt. Um die von Deutschland zugesagten Klimaschutzziele zu erreichen, seien erhebliche Anstrengungen im Verkehrssektor nötig. Die Unternehmen, darunter auch IKEA und der Ökostromanbieter Lichtblick, fordern deutlich strengere CO2-Grenzwerte für Pkw. CO2 ist das mit Abstand wichtigste Treibhausgas und wird unter anderem durch Verbrennung von Benzin und Diesel in der Atmosphäre angereichert. Die Emissionen aus dem Straßenverkehr sind in Deutschland in den letzten Jahren wieder angestiegen und bewegen sich nun erneut auf dem Niveau von 1990. Deutschlands nationaler Klimaschutzplan sieht hingegen bisher für 2030 die Reduktion der Emissionen des Straßenverkehrs um 40 Prozent vor. Die Bundesregierung ringt derzeit um ihre Position in den EU-Verhandlungen über die Klimaziele. Das SPD-geführte Umweltministerium will EU-weit die Vorschriften für Neuwagen verschärfen und deren CO2-Emissionen bis 2030 im Durchschnitt um 50 Prozent senken. Aus den unionsgeführten Ministerien für Wirtschaft und Verkehr gibt es dagegen erheblichen Widerstand.
Die Briefschreiber, darunter auch verschiedene Unternehmen, die im Auto-Leasing aktiv sind, fordern hingegen schon ab 2025 ambitionierte Grenzwerte und »eine konsequente Weichenstellung hin zu emissionsarmen bzw. emissionsfreien Pkw«. Strenge Verbrauchsvorgaben seien auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht vorteilhaft, da sie weniger Kraftstoffverbrauch und damit geringere Kosten für die Halter bedeuteten.
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