Lehrerprotest gegen »Bildungsreform« der Regierung blutig niedergeschlagen. Neun Streikende in Oaxaca von der Polizei erschossen
junge welt v. 21.6.2016Von André Scheer
Straßenschlacht zwischen
Bundespolizisten und Lehrern am Sonntag im mexikanischen
Bundesstaat Oaxaca
Foto: Jorge Luis Plata/Reuters
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Die seit Wochen anhaltenden Proteste von Lehrern und Studenten in
Mexiko eskalieren. Am Sonntag wurden mindestens neun Menschen
getötet und 94 weitere verletzt, als sich in Nochixtlán Streikende
und Polizisten stundenlange Straßenschlachten lieferten. Der
Gouverneur des südmexikanischen Bundesstaates Oaxaca, Gabino Cué,
bestätigte sechs Todesopfer.
Rund 500 Mitglieder der Lehrergewerkschaft CNTE hatten am Samstag
die Staatsstraße durch Oaxaca blockiert, um ihren Forderungen
Nachdruck zu verleihen. Sie protestieren gegen eine von der
Regierung geplante »Bildungsreform«, die nach offizieller
Darstellung »Privilegien« der Lehrer beschneiden und den
Unterricht verbessern soll. Die Gewerkschaften sehen in dem
Vorhaben dagegen den Versuch, das Bildungswesen in Mexiko weiter
zu privatisieren, und befürchten eine Schließung der Dorfschulen,
die der Landbevölkerung bislang zumindest ein Mindestmaß an
Unterricht anbieten. Sie lehnen auch ab, dass sich die Pädagogen
künftig einer Leistungskontrolle stellen müssen. Der Regierung
gehe es mit dieser nicht darum, »faule Lehrer« auszusortieren,
sondern um eine Disziplinierung der Beschäftigten. Bereits jetzt
seien Tausende ungerechtfertigt entlassen worden, kritisierte die
CNTE, der landesweit 200.000 Lehrer angehören, davon allein 80.000
in Oaxaca. Seit Jahren kämpft diese Gewerkschaft für eine höhere
Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für die Pädagogen.
Als Reaktion auf die Straßenblockaden versuchten einem Bericht
des Fernsehsenders Telesur zufolge am Sonntag etwa 800
Angehörige der Bundespolizei, die Barrikaden zu räumen. Die
Beamten waren nach Augenzeugenberichten mit Gewehren ausgerüstet
und schossen scharf auf die Streikenden. Diese wehrten sich mit
Steinen und selbstgebauten Brandsätzen.
Die mexikanischen Behörden stritten zunächst ab, dass die
Polizisten mit Feuerwaffen ausgerüstet gewesen seien. Sie hätten
nur Helme, Schilde und Knüppel getragen, behauptete Gouverneur
Cué. Nachdem im Internet Fotos und Videos veröffentlicht worden
waren, die schießende Polizisten und ihre Opfer zeigten,
korrigierten die staatlichen Stellen ihre Version. Nun hieß es,
die Bundespolizei sei erst ganz zum Schluss angerückt und mit
Gewehren bewaffnet gewesen, »als alles schon vorbei war«. Auch
dieser Darstellung widersprechen die Zeugen. Von Anfang an sei
scharf auf die Streikposten gefeuert worden. Fotos zeigen, wie
Festgenommene mit offenen Lastwagen abtransportiert werden.
Bewacht von maskierten, bewaffneten Polizisten liegen sie am Boden
des Fahrzeugs auf dem Bauch, die Hände hinter dem Kopf
verschränkt.
Mexikanische Medien verbreiteten die Namen von acht der
Todesopfer, ein neunter Mann sei noch nicht identifiziert worden.
Der jüngste von ihnen war 19 Jahre alt und gehörte offenbar zu den
Schülern und Studenten, die den Protest ihrer Lehrer unterstützen.
Die Jugendlichen spüren die Folgen der Regierungspolitik direkt.
So berichtet Daniel Castro, der dem Kommunistischen Jugendverband
FJC in Oaxaca angehört, dass allein in diesem Bundesstaat bereits
mehr private Universitäten und Oberschulen existieren als
öffentliche. In der Hauptstadt Oaxaca de Juárez, in der die
meisten Schüler und Studenten leben, kommen nur noch drei
öffentliche Schulen auf 27 Privatinstitute. Die Folge sind ständig
sinkende Schülerzahlen im öffentlichen Bildungswesen – und diese
Entwicklung dient dem Staat als Rechtfertigung für die Entlassung
von Lehrern.
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