Schutz bei Massenentlassung gilt auch bei Eltern in Elternzeit
08.07.2016
Karlsruhe (jur). Bei der Massenentlassung von Beschäftigten dürfen Arbeitnehmer mit besonderem Kündigungsschutz nicht benachteiligt werden. So müssen auch Eltern in Elternzeit von stärkeren Schutzvorschriften bei einer Massenentlassung profitieren können, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch, 6. Juli 2016, veröffentlichten Beschluss (Az.: 1 BvR 3634/13). Die Karlsruher Richter hoben damit ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt als frauendiskriminierend auf.
08.07.2016
Karlsruhe (jur). Bei der Massenentlassung von Beschäftigten dürfen Arbeitnehmer mit besonderem Kündigungsschutz nicht benachteiligt werden. So müssen auch Eltern in Elternzeit von stärkeren Schutzvorschriften bei einer Massenentlassung profitieren können, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch, 6. Juli 2016, veröffentlichten Beschluss (Az.: 1 BvR 3634/13). Die Karlsruher Richter hoben damit ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt als frauendiskriminierend auf.
Im konkreten Fall war die Klägerin als
„Ticketing/Reservation Agent“ bei einer früheren griechischen
Fluggesellschaft in der Niederlassung in Frankfurt
am Main beschäftigt. Wegen Zahlungsschwierigkeiten und einer damit
einhergehenden Sonderliquidation musste das öffentliche Unternehmen
betriebsbedingt Personal entlassen.
Am 17. Dezember 2009 zeigte die Fluglinie bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Massenentlassung aller Beschäftigten in Deutschland an. In der Frankfurter Niederlassung waren 36 Arbeitnehmer betroffen. Im Dezember 2009 und Januar 2010 sprach das Unternehmen die Kündigungen aus.
Da die Klägerin sich zum damaligen Zeitpunkt noch in Elternzeit befand und damit grundsätzlich Kündigungsschutz besteht, musste die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde der Kündigung zustimmen. Da die Zustimmung erst nach der Massenentlassung ihrer Kollegen eintrudelte, wurde der Frau verspätet im März 2010 gekündigt.
Die Massenentlassungen des Unternehmens wurden vom BAG wegen der fehlenden gesetzlich vorgeschriebenen Information des Betriebsrats für unwirksam erklärt; die Kündigung der Klägerin sei dagegen wirksam. Diese sei wegen der Elternzeit nicht im Rahmen der Massenentlassung erfolgt, so dass die BA und der Betriebsrat auch nicht über ihre Kündigung hätten informiert werden müssen, so das BAG in seinem Urteil vom 25. April 2013 (Az.: 6 AZR 49/12).
Mit Beschluss vom 8. Juni 2016 hob das Bundesverfassungsgericht das BAG-Urteil auf. Es verstoße gegen den Gleichheitssatz, die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrer Elternzeit „vom Anwendungsbereich des Massenentlassungsschutzes auszuschließen“.
Laut BAG gelte der Schutz bei Massenentlassungen – hier die Pflicht des Arbeitgebers, die BA und den Betriebsrat zu informieren – zwar auch für Arbeitnehmer in Elternzeit. Der Massenentlassungsschutz werde jedoch danach ausschließlich anhand des Zeitpunkts des Zugangs der Kündigung bestimmt. Nach dem Kündigungsschutzgesetz muss der Arbeitgeber die BA informieren, bevor er die Arbeitnehmer innerhalb von 30 Tagen entlässt. Da bei einer Kündigung von Beschäftigten in Elternzeit erst die für den Arbeitsschutz zuständige Landesbehörde informiert werden muss, führt das Abwarten auf die behördliche Erklärung dazu, dass die Kündigung erst außerhalb des für eine Massenentlassung relevanten 30-Tage-Zeitraums ausgesprochen werden kann.
In Elternzeit befindliche Arbeitnehmer könnten sich dann nicht mehr auf die Schutzvorschriften bei einer Massenentlassung berufen, rügte das Bundesverfassungsgericht. Dies führe zu einem „geringeren Schutzniveau“ für Personen in Elternzeit, „die nach dem Willen des Gesetzgebers besonders schutzwürdig sind und deshalb besonderen Kündigungsschutz genießen“.
Die Auffassung des BAG zur Anwendung der 30-Tage-Frist führe zu einer „faktischen Benachteiligung wegen des Geschlechts“. Denn gerade Frauen würden besonders häufig in Elternzeit gehen und könnten dann von den Schutzvorschriften bei einer Massenentlassung nicht profitieren. So haben sich 2014 insgesamt 41,5 Prozent der erwerbstätigen Mütter mit dem jüngsten Kind unter drei Jahren in Elternzeit befunden, aber nur 2 Prozent der Väter.
Diese Schlechterstellung der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Geschlechts lasse sich „verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen“, so die Karlsruher Richter. Dabei lasse sich die Benachteiligung vermeiden. So könne die 30-Tage-Frist als gewahrt gelten, wenn bereits der Kündigungsantrag des Arbeitgebers bei der zuständigen Landesbehörde für Arbeitsschutz innerhalb dieses Zeitraums erfolgt. fle/mwo
Am 17. Dezember 2009 zeigte die Fluglinie bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Massenentlassung aller Beschäftigten in Deutschland an. In der Frankfurter Niederlassung waren 36 Arbeitnehmer betroffen. Im Dezember 2009 und Januar 2010 sprach das Unternehmen die Kündigungen aus.
Da die Klägerin sich zum damaligen Zeitpunkt noch in Elternzeit befand und damit grundsätzlich Kündigungsschutz besteht, musste die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde der Kündigung zustimmen. Da die Zustimmung erst nach der Massenentlassung ihrer Kollegen eintrudelte, wurde der Frau verspätet im März 2010 gekündigt.
Die Massenentlassungen des Unternehmens wurden vom BAG wegen der fehlenden gesetzlich vorgeschriebenen Information des Betriebsrats für unwirksam erklärt; die Kündigung der Klägerin sei dagegen wirksam. Diese sei wegen der Elternzeit nicht im Rahmen der Massenentlassung erfolgt, so dass die BA und der Betriebsrat auch nicht über ihre Kündigung hätten informiert werden müssen, so das BAG in seinem Urteil vom 25. April 2013 (Az.: 6 AZR 49/12).
Mit Beschluss vom 8. Juni 2016 hob das Bundesverfassungsgericht das BAG-Urteil auf. Es verstoße gegen den Gleichheitssatz, die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrer Elternzeit „vom Anwendungsbereich des Massenentlassungsschutzes auszuschließen“.
Laut BAG gelte der Schutz bei Massenentlassungen – hier die Pflicht des Arbeitgebers, die BA und den Betriebsrat zu informieren – zwar auch für Arbeitnehmer in Elternzeit. Der Massenentlassungsschutz werde jedoch danach ausschließlich anhand des Zeitpunkts des Zugangs der Kündigung bestimmt. Nach dem Kündigungsschutzgesetz muss der Arbeitgeber die BA informieren, bevor er die Arbeitnehmer innerhalb von 30 Tagen entlässt. Da bei einer Kündigung von Beschäftigten in Elternzeit erst die für den Arbeitsschutz zuständige Landesbehörde informiert werden muss, führt das Abwarten auf die behördliche Erklärung dazu, dass die Kündigung erst außerhalb des für eine Massenentlassung relevanten 30-Tage-Zeitraums ausgesprochen werden kann.
In Elternzeit befindliche Arbeitnehmer könnten sich dann nicht mehr auf die Schutzvorschriften bei einer Massenentlassung berufen, rügte das Bundesverfassungsgericht. Dies führe zu einem „geringeren Schutzniveau“ für Personen in Elternzeit, „die nach dem Willen des Gesetzgebers besonders schutzwürdig sind und deshalb besonderen Kündigungsschutz genießen“.
Die Auffassung des BAG zur Anwendung der 30-Tage-Frist führe zu einer „faktischen Benachteiligung wegen des Geschlechts“. Denn gerade Frauen würden besonders häufig in Elternzeit gehen und könnten dann von den Schutzvorschriften bei einer Massenentlassung nicht profitieren. So haben sich 2014 insgesamt 41,5 Prozent der erwerbstätigen Mütter mit dem jüngsten Kind unter drei Jahren in Elternzeit befunden, aber nur 2 Prozent der Väter.
Diese Schlechterstellung der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Geschlechts lasse sich „verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen“, so die Karlsruher Richter. Dabei lasse sich die Benachteiligung vermeiden. So könne die 30-Tage-Frist als gewahrt gelten, wenn bereits der Kündigungsantrag des Arbeitgebers bei der zuständigen Landesbehörde für Arbeitsschutz innerhalb dieses Zeitraums erfolgt. fle/mwo
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