WASSERKRAFT:
FLUCH ODER SEGEN FÜR LATEINAMERIKA?
DOSSIER: WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA
In den 1960er und 1970er Jahren galten große
Wasserkraftwerke als Voraussetzung für eine gute
wirtschaftliche Entwicklung in Lateinamerika. Nach über 50
Jahren Erfahrung fragen GegenStrömung und die Lateinamerika
Nachrichten in diesem Dossier nach den Folgen der
Wasserkraftnutzung in der Region. Dabei wollen wir vor allem
auf die unbekannteren Auswirkungen dieser Technologie
eingehen.
(Darin: Freie Flüsse in Südmexiko // Erfolgreiche
Staudamm-Widerstände in Oaxaca und Puebla)
„Erneuerbare Energien sind zweifellos die nachhaltigste Antwort
auf den wachsenden weltweiten Energiebedarf. Die Wasserkraft
spielt eine entscheidende Rolle bei der nachhaltigen und
umweltfreundlichen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und
ist weltweit die größte erneuerbare Quelle für die
Stromerzeugung.“ So steht es in einer Pressemitteilung des
deutschen Konzerns Voith Hydro, der zu den Marktführern bei der
Produktion von Turbinen und anderer Ausstattung für
Wasserkraftwerke gehört.
Die Argumentation erscheint schlüssig: Wasserkraft ist eine
grüne Energiequelle, da kein Erdöl, Gas oder Kohle zur
Stromgewinnung verbrannt werden. Auch der Einsatz radioaktiver
Elemente ist für den Betrieb eines Wasserkraftwerks nicht
notwendig. So erscheint Wasserkraft als älteste regenerative
Energiequelle.
Gleichzeitig kann man mit Wasserkraftwerken weitestgehend zuverlässig enorme Mengen Energie erzeugen. Von den weltweit zehn größten Kraftwerken sind neun Wasserkraftwerke. Insbesondere für Länder des Globalen Südens, so die Fürsprecher*innen der Wasserkraft, biete diese Energiequelle eine attraktive Möglichkeit, günstig umweltfreundlichen Strom zu erzeugen.
Gerade angesichts der Herausforderungen des Klimawandels erscheint so Wasserkraft als eine notwendige und wichtige Technologie. Diese Sichtweise propagiert auch die International Hydropower Association (IHA), in der sich Konzerne und Investor*innen aus aller Welt organisieren, die im Geschäft mit der Wasserkraft aktiv sind. Auf dem diesjährigen Kongress der IHA, der im Mai in Addis Abeba stattfand, bezogen sich viele Diskussionen sowohl auf die UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) als auch das Pariser Klimaabkommen. Beide beinhalten die Verpflichtung, den Zugang zu Elektrizität und Wasser unter Berücksichtigung des Klimawandels zu verbessern und die Wasserkraftindustrie ist darum bemüht, ihre Technologie als Lösung beider Probleme darzustellen.
Gleichzeitig kann man mit Wasserkraftwerken weitestgehend zuverlässig enorme Mengen Energie erzeugen. Von den weltweit zehn größten Kraftwerken sind neun Wasserkraftwerke. Insbesondere für Länder des Globalen Südens, so die Fürsprecher*innen der Wasserkraft, biete diese Energiequelle eine attraktive Möglichkeit, günstig umweltfreundlichen Strom zu erzeugen.
Gerade angesichts der Herausforderungen des Klimawandels erscheint so Wasserkraft als eine notwendige und wichtige Technologie. Diese Sichtweise propagiert auch die International Hydropower Association (IHA), in der sich Konzerne und Investor*innen aus aller Welt organisieren, die im Geschäft mit der Wasserkraft aktiv sind. Auf dem diesjährigen Kongress der IHA, der im Mai in Addis Abeba stattfand, bezogen sich viele Diskussionen sowohl auf die UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) als auch das Pariser Klimaabkommen. Beide beinhalten die Verpflichtung, den Zugang zu Elektrizität und Wasser unter Berücksichtigung des Klimawandels zu verbessern und die Wasserkraftindustrie ist darum bemüht, ihre Technologie als Lösung beider Probleme darzustellen.
Zentral- und insbesondere Südamerika sind Vorzeigeregionen
für die Wasserkraft. Von den zehn größten Wasserkraftwerken
der Welt stehen vier in Südamerika. In Brasilien und Venezuela
werden über 80 Prozent der genutzten Elektrizität mit
Wasserkraft generiert. Seit den 1960er Jahre investieren
lateinamerikanische Länder massiv in Wasserkraftwerke, da sie
als Voraussetzung für eine angestrebte wirtschaftliche
Entwicklung galten. Vorreiter war und ist vor allem Brasilien,
das die Entwicklung dieser Technologie nicht nur im eigenen
Land, sondern auch in den Nachbarstaaten, vorantreibt. So
steht das zweitgrößte Wasserkraftwerk der Welt, Itaipú, auf
der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay und wird von einem
binationalen Konzern kontrolliert.
Wasserkraft in Brasilien – Eine Erfolgsgeschichte? Viele
deuten dies so. Die Industrie der größten Volkswirtschaft
Lateinamerikas hängt von der Energie aus Staudämmen und
Laufwasserkraftwerken ab. Und der deutsche Konzern Voith
Hydro verweist auf seiner Webseite stolz darauf, dass er einen
Teil der Turbinen von Itaipú geliefert habe. Iatipu deckt
knapp 17 Prozent des brasilianischen und 75 Prozent des
paraguayischen Strombedarfs. Das Kraftwerk hat zur
industriellen Entwicklung im Ballungsraum São Paulo
beigetragen. Deshalb wird gerade Itaipú als das Paradebeispiel
für einen erfolgreichen Staudamm präsentiert, dem die
beteiligten Staaten Brasilien und Paraguay viel zu verdanken
hätten.
Doch die Darstellung der Wasserkraft als uneingeschränkt positiv zu bewertende Technologie blendet ihre zahlreichen negativen Seiten aus. So zeigen jüngere wissenschaftliche Studien, dass der so hochgelobte Itaipú-Staudamm wahrscheinlich niemals seine Baukosten wieder einbringen werde. Vor allem Paraguay hat schwer unter der Schuldenlast, die das pharaonisch anmutende Projekt verursacht hat, zu tragen. Die linksgerichtete Regierung von Fernando Lugo strebte während ihrer Amtszeit (2008-2012) deshalb auch eine erneute Verhandlung mit Brasilien über die Aufteilung der Schulden an.
Doch die Darstellung der Wasserkraft als uneingeschränkt positiv zu bewertende Technologie blendet ihre zahlreichen negativen Seiten aus. So zeigen jüngere wissenschaftliche Studien, dass der so hochgelobte Itaipú-Staudamm wahrscheinlich niemals seine Baukosten wieder einbringen werde. Vor allem Paraguay hat schwer unter der Schuldenlast, die das pharaonisch anmutende Projekt verursacht hat, zu tragen. Die linksgerichtete Regierung von Fernando Lugo strebte während ihrer Amtszeit (2008-2012) deshalb auch eine erneute Verhandlung mit Brasilien über die Aufteilung der Schulden an.
Staudämme können also nicht nur die wirtschaftliche
Entwicklung eines Landes stärken, sondern auch für massive
finanzielle Probleme sorgen. Ein Forschungsteam der
Universität Oxford unter Leitung des dänischen
Wirtschaftsgeographen Bent Flyvbjerg hat 2014 eine Studie
publiziert, die genau dieser Frage nachging: Wie sinnvoll sind
Staudämme für die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern des
Globalen Südens? Sie haben 245 Staudämme, die seit 1934 gebaut
worden sind, untersucht. Heraus kam, dass der Bau diese Dämme
im Durchschnitt 96 Prozent mehr gekostet hat, als ursprünglich
veranschlagt. Bei zwei von zehn Dämmen stiegen die Kosten um
mehr als 100 Prozent, bei einem von zehn Dämmen sogar über 300
Prozent vom ursprünglich veranschlagten Wert.
Hauptgrund für die hohen Kosten sind Verzögerungen beim Bau.
Bei acht von zehn Projekten dauerte der Bau eines Staudamms
oder eines anderen Wasserkraftwerks länger als geplant – im
Durchschnitt etwa acht Jahre länger, aber oft weit mehr als
zehn. Ein aktuelles Beispiel ist das Alto-Maipo-Projekt in
Chile, dessen Bau sich immer wieder verzögert und dessen
Kosten deshalb explodieren (siehe Artikel).
Aus diesem Grund sind große Staudammprojekte – die meist von
Staaten finanziert werden – oft der Grund für die massive
Verschuldung von Ländern des Globalen Südens, den sogenannten
Entwicklungsländern. Dem Wissenschaftler Flyvbjerg zufolge
belastete die Schuldenlast, die aus dem Itaipú Staudamm
entstand, die brasilianischen Staatsfinanzen für Jahrzehnte.
Der Bau war damit für die Hyperinflation in den 1970er und
1980er Jahren mindestens mitverantwortlich.
Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu fahrlässig, wenn
ohnehin verarmte Länder große Staudammprojekte planen. Doch
das ärmste Land Südamerikas, Bolivien plant genau das. Die
Kraftwerke El Bala und Chepete sollen, in den Worten von
Regierungsvertreter*innen, Bolivien zum „energetischen Herzen
Südamerikas“ machen. Der Strom soll nach Brasilien und
Argentinien exportiert werden. Dabei würde das Projekt die
Schulden des Staates fast verdoppeln – wenn sich die Baukosten
im geplanten Rahmen bewegen. Die Regierung will das Projekt
durchbringen, obwohl alles danach aussieht, als ob das
Geschäft mit dem Stromexport niemals lukrativ genug sein wird,
um das Projekt zu rechtfertigen. Wir sprachen mit dem
bolivianischen Aktivisten Pablo Solón über die Ungereimtheiten
dieses Projektes (siehe Artikel).
Auch Peru will zum Stromexporteur werden. Dort sind über 20
Staudämme am Marañón, dem wichtigsten Quellfluss des Amazonas,
geplant. Doch die ökologischen Folgen wären enorm: Sedimente
würden nicht mehr ins amazonische Tiefland transportiert, was
die Fruchtbarkeit der dortigen Böden verringern würde. Fische
könnten nicht mehr zu ihren Laichplätzen migrieren, viele
Arten würden womöglich aussterben – und Fisch ist die
Nahrungsgrundlage für den Großteil der Bevölkerung im
Amazonasgebiet. Über die zu erwartenden ökologischen Folgen
dieser Projekte sprachen wir mit der Biologin Dr. Claudia Koch
(siehe Artikel).
Befürworter*innen der Wasserkraft führen gerne ins Feld, dass
die positiven Entwicklungsmöglichkeiten die negativen
ökologischen Effekte der Wasserkraft aufwiegen würden. Doch
von Entwicklungsmöglichkeiten spürt die lokale Bevölkerung
um die Wasserkraftwerke meist wenig. Wir durften ein Interview
mit dem brasilianischen Wissenschaftler und Aktivisten Assis
Oliveira nachdrucken, in dem der von der Situation in Altamira
berichtet. Seit auf dem Gemeindegebiet das Laufwasserkraftwerk
Belo Monte gebaut wird – das nach Fertigstellung das
zweitgrößte Wasserkraftwerk der Welt sein wird – haben sich
die Lebensbedingungen dort eher zum Schlechten entwickelt.
Viele Arbeiter*innen sind nach Beendigung des Großteils der
Bauarbeiten einkommenslos, die Kriminalität grassiert (siehe
Artikel).
Von der Energie, die in den Kraftwerken erzeugt wird,
profitieren meist Andere. Oft geht der Strom an
extraktivistische Industriezweige, wie Bergbau oder
Ölförderung, die zusätzliche Umweltprobleme verursachen, wie
etwa das bereits genannte Beispiel Alto Maipo zeigt (siehe
Artikel).
Doch Staudämme sollen mitunter nicht nur der Energieproduktion
dienen. Ein anderer Effekt ist, dass man mit ihnen Flüsse
anstauen kann, damit sie zu Wasserstraßen werden. Ein Beispiel
dafür sind die geplanten Staudämme am Tapajós-Fluss in der
brasilianischen Amazonasregion. Auf den Zusammenhang
zwischen Expansion der Agrarindustrie, Zerstörung des
Regenwaldes und großen Infrastrukturprojekten wie Staudämmen
und Eisenbahnen gehen wir in einem weiteren Artikel ein.
Große Staudämme werden meistens von staatlichen Institutionen
gebaut und betrieben. Doch Kleinwasserkraftwerke, die oft von
privaten Investoren gebaut werden, um die Energieversorgung
von Bergwerken zu gewährleisten, sind meist nicht weniger
konfliktbeladen. Oft kommt es zu Wasserkonflikten zwischen den
Kraftwerksbetreiber*innen und lokalen Gemeinden. Doch die
Gemeinden organisieren bisweilen erfolgreichen Widerstand, wie
etwa in den südmexikanischen Bundestaaten Oaxaca und Puebla
(siehe Artikel).
Doch derartiger Widerstand wird oft kriminalisiert oder gewaltsam unterdrückt. Bekanntestes Beispiel ist sicher der Fall von Berta Cáceres, die im März vergangenen Jahres ermordet worden ist, was für weltweite Empörung sorgte. Grund für den Mord an ihr war, dass sie den Widerstand gegen das geplante Kleinwasserkraftwerk Agua Zarca organisierte (siehe Artikel). Doch auch in anderen Ländern werden Staudämme gewaltsam gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durchgesetzt. Betroffen sind meist indigene Gemeinden und so reproduzieren sich in den Konflikten um Wasserkraftwerke koloniale Gewaltverhältnisse, wie der Konflikt um das Projekt Oxec II in Guatemala zeigt (siehe Artikel).
Sowohl am Kraftwerkprojekt Oxec II als auch Agua Zarca sind europäische und deutsche Akteure beteiligt. Europäische und deutsche Konzerne finanzieren, versichern und beliefern Wasserkraftwerksprojekte in ganz Lateinamerika. So wird auch das hochumstrittene Staudammprojekt in Panama, Barro Blanco, dass das Territorium der indigenen Ngöbe Bugle bedroht, von der Deutschen Entwicklungsgesellschaft mbH, einer Tochter der Kreditanstalt für Wiederaufbau, mitfinanziert (siehe Artikel).
Doch derartiger Widerstand wird oft kriminalisiert oder gewaltsam unterdrückt. Bekanntestes Beispiel ist sicher der Fall von Berta Cáceres, die im März vergangenen Jahres ermordet worden ist, was für weltweite Empörung sorgte. Grund für den Mord an ihr war, dass sie den Widerstand gegen das geplante Kleinwasserkraftwerk Agua Zarca organisierte (siehe Artikel). Doch auch in anderen Ländern werden Staudämme gewaltsam gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durchgesetzt. Betroffen sind meist indigene Gemeinden und so reproduzieren sich in den Konflikten um Wasserkraftwerke koloniale Gewaltverhältnisse, wie der Konflikt um das Projekt Oxec II in Guatemala zeigt (siehe Artikel).
Sowohl am Kraftwerkprojekt Oxec II als auch Agua Zarca sind europäische und deutsche Akteure beteiligt. Europäische und deutsche Konzerne finanzieren, versichern und beliefern Wasserkraftwerksprojekte in ganz Lateinamerika. So wird auch das hochumstrittene Staudammprojekt in Panama, Barro Blanco, dass das Territorium der indigenen Ngöbe Bugle bedroht, von der Deutschen Entwicklungsgesellschaft mbH, einer Tochter der Kreditanstalt für Wiederaufbau, mitfinanziert (siehe Artikel).
Staudammbefürworter*innen leugnen meist diese negativen
Konsequenzen der Wasserkraftnutzung nicht, sagen aber, dass
die positiven Seiten die negativen überwiegen. Ein Aspekt, der
gerne zugunsten der Wasserkraft aufgezählt wird, ist ihre
Verlässlichkeit. Doch angesichts des Klimawandels wird die
Zuverlässigkeit der Wasserkraft immer fragwürdiger. Immer mehr
Studien beschäftigen sich mit den Auswirkungen des
Klimawandels auf die Wasserkraft. Durch den Klimawandel werden
sich sowohl Starkregenereignisse, die die Sicherheit der
Wasserkraftwerke gefährden, häufen, als auch Dürren, die dann
zum Ausfall der vermeintlich zuverlässigen Energiequelle
führen. Bestes Beispiel ist Venezuela, wo aufgrund von Dürren
die Stromversorgung, die fast ausschließlich vom Guri-Staudamm
abhängt, mehrmals ausgefallen ist (siehe Artikel).
Doch Wasserkraft wird nicht nur vom Klimawandel beeinflusst,
sondern wirkt sich auch auf das Klima aus. Befürworter*innen
der Wasserkraft verweisen gerne darauf, dass Wasserkraftwerke
nicht das Treibhausgas Kohlendioxid ausstoßen. Doch in den
Reservoirs von Staudämme oder in langsam fließenden Flüssen,
deren Fließgeschwindigkeit durch Wasserkraftwerke gebremst
wird, verrotten organische Materialien zu Methangas. Methan
ist nach Angaben des deutschen Umweltbundesamts ein 25mal
stärker wirkendes Treibhausgas als Kohlendioxid. Aus diesem
Grund emittiert das Wasserkraftwerk Balbina im
brasilianischen Amazonasgebiet mehr Treibhausgase, als ein
modernes Gaskraftwerk, wie der amerikanische Wissenschaftler
Philipp Fearnside berechnet hat. Mit diesem Dossier wollen wir
die Diskussion um die Wasserkraft bereichern und auf die
weniger bekannten problematischen Aspekte dieser Technologie
aufmerksam machen. Es lohnt sich, diese Technologie, die in
der Vergangenheit oft überschwänglich als „grün“,
„verlässlich“ und „nachhaltig“ tituliert wurde, neu zu
bewerten.
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