Deutschland gehört nicht zu den Prioritäten von Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto. Den ersten geplanten Besuch sagte er kurzfristig ab. Vor dem zweiten Anlauf, der diesen Montag startet, wollte er nicht einmal der deutschen Presse Rede und Antwort stehen.
Dabei gäbe es einiges zu feiern: Das kulturelle Doppeljahr und boomende Geschäfte. Viele deutsche Firmen vermelden Rekordumsätze, und nach VW und Audi werden nun auch BMW und Mercedes im Billiglohnland Milliarden investieren. Ein eher finsteres bilaterales Kapitel sind die Menschenrechte, mit denen es nach Einschätzungen der einschlägigen UN-Organisationen in Mexiko bergab geht.
Von Waffendeals zur Migrationsbekämpfung
Nachdem Deutschland schon mit den Waffenlieferungen von Heckler & Koch an Sicherheitskräfte in mexikanischen Krisengebieten in schiefes Licht geriet, sorgt nun ein neues Abkommen für Kritik. Kurz vor Peñas Abflug vereinbarten Mexiko und Deutschland, gemeinsam die Migration aus Mittelamerika zu bekämpfen.
Laut der mexikanischen Außenministerin Claudia Ruiz sollen Anreize geschaffen werden, damit vor allem Kinder und Jugendliche zuhause bleiben und sich nicht auf den gefährlichen Weg gen Norden machten. Zur Migrations-Prävention – die offenbar zur neuen Lieblingsstrategie der Entwicklungshilfe wird – stellt Deutschland eine halbe Million Euro zur Verfügung; Mexiko finanziert 1,5 Millionen.
Davon sollen je zwei Pilotprojekte in El Salvador, Guatemala und Honduras finanziert werden, durchgeführt von der deutschen Entwicklungsorganisation GIZ und der britischen NGO Save the Children. Details müssten noch ausgearbeitet werden, teilte die GIZ auf Anfrage mit.
Über die Köpfe der Betroffenen hinweg
Mexiko-Cancún-Oaxaca 309Das mutet aus mehreren Gründen kurios an. Zum einen, weil da über Drittländer entschieden wird, statt mit den mittelamerikanischen Staaten direkt zu verhandeln. Gerechtfertigt wird das von der giz mit dem neuen, gemeinsamen deutsch-mexikanischen Fonds, der mit Projekten gefüllt werden soll, was sich als nicht ganz einfach erwiesen hat wegen der unterschiedlichen politischen Prioritäten. Zum anderen deshalb, weil weder Deutschland mit mittelamerikanischen Migranten Probleme hat, noch Mexiko – zumindest nicht direkt. Die sind nämlich nur auf der Durchreise in die USA.
Es sind die USA, die die Migrant*innen – besonders mit den Kindern – nicht haben wollen, und die letztlich „Nutznießer“ dieses Projekts wären. Die Zahl der Kindermigranten hat seit 2014 um 330 Prozent zugenommen. Wegen der komplizierten internationalen Rechtslage können Minderjährige nicht sofort nach Mittelamerika zurückgeschickt werden, und das hatte sich in Schlepperkreisen herumgesprochen.
Zunächst müssen das Sorgerecht geklärt und eine Familienzusammenführung organisiert werden, was sowohl die bürokratischen als auch die Unterbringungskapazitäten der US-Regierung auf eine harte Probe stellte. US-Präsident Barack Obama wurde für die eskalierende Notlage von den einwanderungsfeindlichen Republikanern ebenso kritisiert wie von Menschenrechtlern, die die unwürdige Behandlung und Unterbringung der Minderjährigen in Auffanglagern anprangerten.
Deshalb machte Washington Druck auf Mexiko, seine Südgrenze abzuriegeln und stellte dafür 2014 im Programm „Southern Border“ Geld zur Verfügung. Davon hat Mexiko die Grenze militarisiert und die Kontrollen verschärft. Mit Erfolg: Im vorigen Jahr schob Mexiko erstmals mehr mittelamerikanische Einwanderer ab als die USA. Zahlen der Migrationsbehörde zufolge waren es bis September 118.000, während im gleichen Zeitraum aus den USA nur knapp 55.000 Mittelamerikaner zurückgeschickt wurden.
Ein Jahr zuvor war die Situation noch umgekehrt. Das Problem dabei: Die Anzeigen wegen Übergriffe auf Migrant*innen durch Funktionäre stiegen seither um 39 Prozent, wie die mexikanische Menschenrechtskommission mitteilte. Unlängst gerieten Grenzpolizisten in die Schlagzeilen, weil sie indigene Wanderarbeiter aus dem Süden Mexikos folterten, damit diese zugäben, Guatemalteken zu sein und abgeschoben werden konnten.
„Die Weisung ist, um jeden Preis auf Migrant*innen Jagd zu machen“, kritisiert Gretchen Kuhener vom Institut für Frauenmigration gegenüber dem Guardian. „Es ist egal, ob dabei rassistische Kriterien zum Einsatz kommen oder die Verfassung verletzt wird.“
„Die USA haben das Problem nach Mexiko ausgelagert,“ kritisiert Maureen Meyer vom Washington Office on Latin America (Wola). Der frühere mexikanische Außenminister Jorge Castañeda fand noch härtere Worte: „Mexiko macht die Drecksarbeit für die USA.“
GIZ will US-„Sicherheitsprogramme“ ergänzen
Die Situation in den drei mittelamerikanischen Ländern ist dramatisch. Das sogenannte „nördliche Dreieck“ ist ein wichtiger Umschlagplatz der Drogenmafia und hat die höchsten Mordraten weltweit. Notorisch schwache und korrupte Regierungen sind von der Drogenmafia unterwandert oder lahmgelegt; die Bevölkerung wird von kriminellen Banden terrorisiert.
Die Migrationswelle aus Mittelamerika hat nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR einen neuen Rekord erreicht. Um die Situation in den Heimatländern der Migranten zu verbessern, hat die US-Regierung ein Hilfspaket von insgesamt drei Milliarden US-Dollar bereit gestellt. Der Kongress kürzte dies jedoch unlängst um zwei Drittel und beschränkte es fast ausschließlich auf Sicherheitsprogramme wie die Ausbildung und Ausstattung von Elitepolizisten, den Aufbau von satelliten- und kameragestützten Überwachungszentren oder abschreckende Propagandakampagnen über die „Gefahren der Migration“. Das sei „extrem kurzsichtig“, kritisierte die New York Times. Das deutsch-mexikanische Abkommen füllt diese Lücke.
Menschenrechtler halten es jedoch für fragwürdig und wenig aussichtsreich. „Die meisten Kinder und Jugendlichen migrieren zur Familienzusammenführung, wegen der Gewalt und Drohungen oder Vertreibungen durch die Jugendbanden, oder weil es für sie in der Heimat keine Arbeit gibt“, sagt Oscar Castro, der ehemalige Vorsitzende des Lateinamerikanischen Observatoriums für Menschenhandel. Daran würden ein paar Beschäftigungs- und Sozialhilfeprogramme wenig ändern.
Migration oder organisierte Kriminalität?
Zumal die mittelamerikanischen Regierungen indirekt die Migration fördern: Die Rücküberweisungen ausgewanderter Landsleute sind in diesen Ländern ein Ersatz für Sozialprogramme. Nach El Salvador flossen z.B. im vorigen Jahr über vier Milliarden US-Dollar, 17% des BIP. Alle drei Länder sind in der Hand einer kleinen Elite, die traditionell keine Bereitschaft hat, den Reichtum gleichmäßiger zu verteilen.
In Guatemala zum Beispiel liegt das Steueraufkommen bei 10% des BIP – und trotzdem hinterziehen noch die meisten Unternehmen Steuern. Davon kann keine Regierung ein funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem aufbauen – zumal wenn sie einen Teil in eigene Taschen abzweigt und bei der Steuerhinterziehung aktiv Beihilfe leistet sowie der inzwischen inhaftierte guatemaltekische Ex-Präsident Otto Pérez. Hinzu kommt der Bevölkerungsdruck und der Mangel an Arbeitsplätzen in den kleinen, wenig diversifizierten Volkswirtschaften.
Guatemala hat eine Geburtenrate von 3,2 Kinder pro Frau. In Honduras finden derzeit mit Billigung der Regierung Vertreibungen der Landbevölkerung für Grossprojekte wie Staudämme, Monokulturen oder Bergbauprojekte statt. Aktivisten, die sich dem entgegen stellen, werden umgebracht wie unlängst die Umweltschützerin Berta Cáceres.
Für den Großteil der Jugendlichen sind Migration oder organisierte Kriminalität die einzigen alternativen Lebenentwürfe. Manche Studien gehen davon aus, dass Auswandern eine bessere Entwicklungsstrategie ist, als zuhause bleiben. Das hat sogar die GIZ festgestellt: „ Migration kann Entwicklung unter Umständen negativ beeinflussen, birgt aber gleichzeitig enorme Potenziale für nachhaltige Entwicklung“, heißt es in einer Fachexpertise.
URL: http://blogs.taz.de/latinorama/2016/04/10/merkwuerdige-entwicklungshilfe/
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