Freitag, 28. März 2014
Ein Revolutionär wird von deutschem Gericht verhört
“Glauben sie wirklich, daß ich Ihnen hier etwas sage, was ich unter wochenlanger türkischer Folter nicht gesagt habe ?!“ Hüseyin Özaslan
Am 21.3. 2014 kam es im Düsseldorfer §129- Prozeß zu einem Verhör des türkischen revolutionären Freiheitskämpfers Hüseyin Özaslan per Videoschalte. Dieser wird seit 1994 in türkischen F-Typ-Isolationsknästen als „Rädelsführer“ der DHKP-C gefangen gehalten. Das zunächst verhängte Todesurteil wurde in lebenslänglich umgewandelt; eine Freilassung ist vor 2024 nicht möglich.
Das Verhör sollte offiziell dem Zweck dienen, den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft nachzugehen, der Angeklagte Faruk Ereren habe per Telefon 1993 den Befehl zur Ermordung von zwei Polizisten erteilt. Tatsächlich versucht man Beweise zu sammeln, daß auch Faruk „Rädelsführer“ der DHKP-C war und somit als führendes „Mitglied einer ausländischen terroristischen Organisation“ (§129b) verurteilt werden kann.
Das ganztägige Verhör befasste sich nur am Rande mit den Umständen des Todes der beiden Polizisten. In erster Linie unternahmen Gericht und Bundesanwaltschaft den Versuch, Hüsein über die Aktivitäten und innere Struktur der DHKP-C auszufragen und Belege für Faruks leitende Funktionen zu gewinnen. Hintergrund ist, daß eine Verurteilung zu lebenslänglich wegen Mordes ohne die Aussage des Kronzeugen Genc nicht möglich ist, sein Auftritt vor dem Gericht aber bislang von Justiz und Geheimdienst in der Türkei verhindert wird, weil man befürchtet, daß er sich in Widersprüche verwickeln könnte. Darum konzentriert man sich auf eine Verurteilung Faruks wegen Mitgliedschaft nach §129.
Man hatte ständig den Eindruck nicht einer Zeugenbefragung beizuwohnen sondern einem polizeilichen Verhör. Im Detail interessierte man sich dafür, wer sich wann, wo, warum mit wem getroffen hat, wer für was verantwortlich war, wer genau welche Funktionen hatte. Dabei bediente man sich aller von den türkischen Repressionsorganen größtenteils mittels Folter gesammelten Unterlagen.
Allerdings traf man hier auf einen Gefangenen, der auch nach 20 Jahren Isolationshaft, Folter und Todesfasten ungebrochen ist. Hüseyin konnte es teilweise nicht wirklich fassen, wie dummdreist Gericht und BA versuchten, von ihm Informationen zu erlangen über Interna der Organisation, die er unter schärfster Folter nicht preisgegeben hatte. Gleich zweimal rief er ungläubig leicht amüsiert aus: “Glauben sie wirklich, daß ich Ihnen hier etwas sage, was ich unter wochenlanger türkischer Folter nicht gesagt habe ?!“
Hüseyins Auftritt, seine Geradlinigkeit und Standhaftigkeit waren sehr beeindruckend. So vertrat er den Standpunkt, daß Folter kein Grund sei, gegen seine Genossen und die Organisation auszusagen. Es sei eine Frage der Persönlichkeit standhaft zu bleiben. Das sogenannte Reuegesetz in Anspruch zu nehmen, auf Grund dessen der Verräter und Kronzeuge Genc sich Freiheit erkaufte, sei für ihn „ein ehrloser Zustand“.
Verlauf des Verhörs
Hüseyin war schon in den 80ger Jahren in der Dev-Genc (Jugendorganisation) aktiv. Nach dem Militärputsch ging er aufs Land als Kommandant einer Guerillaeinheit.
Richterin: Was genau heißt das ?
Hüseyin: Es handelte sich um eine halboffene Guerilla ohne Waffen. Es ging um die Durchführung von Propaganda.
R: Das war der Grund für die jetzige Haft ?
H: Ja, später war ich wieder in Istanbul. 1989 wurde ich dort zusammen mit Faruk und weiteren Genossen festgenommen. Faruk wurde bald freigesprochen und freigelassen. 1993 habe ich zur Zeit des Putsches versucht, die Probleme in den Griff zu bekommen. Faruk hat mir dabei aus der Jugendorganisation heraus geholfen. Er stand unseren Überzeugungen nahe.
R: Wer war beim Gründungskongreß der DHKP-C 1994 alles dabei ?
H: Faruk war dabei, doch er hatte keinerlei Verantwortung. Er hatte damals schon eine schwere neurologische Erkrankung, eine Gemütskrankheit. Am Kongreß nahmen auch Vertreter von demokratischen und Massenorganisationen teil, die nicht stimmberechtigt waren.
R: Wissen sie was Faruk hier vorgeworfen wird ?
H: Das weiß ich nicht genau. Ich wurde aufgefordert, schriftlich meinen Umgang mit ihm niederzulegen.
R: Herr Ereren soll den Befehl erteilt haben, zwei Polizisten in Istanbul zu ermorden.
H: (sichtlich empört) Das ist unsinnig, idiotisch, ganz und gar unmöglich !
R: Wir verhandeln aber darüber
H: Das ist eine unqualifizierte faschistische Beschuldigung. Ich weiß das, weil ich der Verantwortliche damals war, der einen solchen Befehl hätte erteilen können. Der einzige, der einen solchen Befehl hätte erteilen können war der Parteichef Karatas und ich als Kommandant der Guerilla hätte ihn ausgeführt. Es geht nicht, daß jetzt unschuldige und obendrein kranke Menschen beschuldigt werden !
Gleiches hatte in vorangegangenen Befragungen Zeugen bereits ausgesagt: Zur Zeit des Putsches wurden alle exekutiven Befugnisse in der Hand des Parteichefs vereint.
R: Bitte sagen sie nichts Politisches. Es geht hier nur um Aussagen zur Sache.
H: Ich will hier gar keine politische Propaganda machen, sonst dauert das 12 Tage
R: Wann genau waren sie Verantwortlicher ?
H: Ich war bis Juni 1993 in Istanbul. Nach dem Putsch kamen Anweisungen vom Parteichef nur an mich. In der Zeit davor gingen solche auch an andere Genossen.
R: Wo hat sich Karatas zur Zeit des Putsches aufgehalten ?
H: Das werde ich ihnen nicht sagen
R: Wie wurden ihnen seine Anweisungen übermittelt ?
H: Es wurden alle Möglichkeiten genutzt, z.B. das Telefon
R: Haben sie mit Karatas telefoniert ?
H: Ja
R: Sagt ihnen der Name Günduz etwas ?
H. Es handelte sich um einen Studenten, der damals Wohnungen etc. organisierte
R: Kennen sie Genc ?
H: Den kenne ich sehr gut, er war Krieger in meiner Einheit in der Landguerilla. Genc war ein normaler Kämpfer, wurde verhaftet, floh aus dem Gefängnis, versteckte sich in einer der von Günduz beschafften Wohnungen und wurde von mir dann übernommen.
R: Wo war er genau bevor sie ihn übernahmen ?
H: In der Wohnung. Karatas sagte mir, ich solle ihn nicht dort abholen. Andere Genossen, die ihn dort abholen wollten, wurden erschossen. Er wurde mir überbracht.
R: Wie hat sich Genc bei Ihnen gemacht ? Er wurde zuvor als Verräter bestraft.
H: Die Strafe bestand in einem Funktionsverbot und einer Bewährung im praktischen Kampf.
R: Wurden alle militanten Aktionen von ihnen veranlasst ?
H: Es gab auch unkontrollierte Operationen auf Grund der chaotischen Situation zur Zeit des Putsches wo viele Einheiten von der Führung abgeschnitten waren und auf eigene Faust operierten.
R: Also gab es nicht nur Aktionen via Karatas zu ihnen
H: Ja. Zur Zeit des Putsches ging alle Entscheidungsgewalt von Karatas aus. Nur seine Anweisungen wären befolgt worden
R: Aber trotzdem gab es autonome Aktionen ohne Anweisung von Karatas.
Demnach hätte es theoretisch sein können, daß Faruk einer autonomen Einheit telefonisch von Deutschland aus den Befehl erteilt hätte zwei Polizisten zu töten. Doch nach der Aussage von Hüsein handelte es sich um Einheiten, die sich keineswegs von Karatas abgewandt hatten und darum eventuell von einem neuen Anführer Anweisungen entgegengenommen hätten, sondern um loyale Einheiten, die allein auf Grund getrennter Kommunikationswege autonom handelten. Umgekehrt hätte Faruk schon allein deshalb einen solchen Befehl nicht erteilt, weil er politisch zu Karatas stand und wusste, daß allein er befugt zu solchen Anweisungen war.
R: Haben sie gemeinsam mit Herr Ereren versucht, die Dinge in der Organisation zu regeln ?
H: Nein, Faruk hatte keine politische Leitungsfunktion. Er hat aus der Jugend heraus Gündüz im logistischen Bereich geholfen.
R: Das steht aber im Gegensatz zu ihrer schriftlichen Aussage. Sie haben geschrieben, sie hätten sich mit Faruk vielfach in Istanbul getroffen. Das klingt nicht nach einer Helferfunktion.
H: Es muss sich um eine Verwechselung handeln.
R: Sie schrieben: „versuchten Faruk und ich die Putschprobleme zu lösen“
H: Es handelt sich dennoch um eine Verwechselung
R: Faruk sollte beim Gründungskongreß ins ZK gewählt werden
H: Das ist ein falscher Eindruck, sonst wäre er 1994 angeklagt worden. Er war Mitglied, doch wegen seiner Erkrankung wurde er in keine Leitungsfunktion gewählt.
R: Genc hat ausgesagt, er sei gefoltert worden und habe nur deshalb das Geständnis unterschrieben.
H: Folter oder nicht, er darf nicht aussagen. Das ist eine Frage der Persönlichkeit. Auch bei Folter ist eine Aussage ein Makel
R: Jedes Mitglied musste einen politischen Lebenslauf schreiben ?
H: Der geht an die Organisation
R: An wen genau ging das ?
H: Einem Boten wird so was übergeben
R: Wer genau war Mitglied im ZK ?
H: Zur Zeit des Putsches wurden alle Funktionen des ZK auf Karatas übertragen
R: Wer war noch im ZK ? Sie auch ?
H: Ich war Mitglied des Generalkomitees,. Dem ZK gehörten normalerweise 3 Personen an.
R: Faruks Deckname war Kemal und laut einem Dokument (wurde Hüseyin gezeigt in Kopie) war ein Kemal im ZK. War also Herr Ereren im ZK ?
H: Beim Dokument handelt es sich um einen Vorschlag, der nicht so umgesetzt wurde. Es gab auch andere Kemals. Sie können ganz sicher sein, daß die Organisation keinen psychisch schwerkranken Mann ins ZK berufen hätte.
Nun übernimmt die Bundesanwaltschaft das Verhör:
BA: Wann fand der Gründungskongress wo statt (mutmaßlich ja in Syrien) ?
H: Das war am 30.3.94. Den Ort sage ich nicht. Grund war, daß die Dev-Sol in eine Partei umgewandelt werden sollte.
BA: Worin besteht der Unterschied ?
H: Die Dev-Sol war ideologisch nicht gefestigt
BA: Ging es um Satzung, Struktur, Ideologie ?
H: Ja
BA: Wer wurde alles eingeladen ?
H: Die Kader der Dev-Sol kamen zusammen, legten Weg der Revolution fest.
BA: Alle Kader ?
H: Nur die Verantwortlichen der bestehenden Einheiten
BA: Welche genau ?
H: Es handelte sich um Vertreter demokratischer Organisationen, Gewerkschafter und Kommandanten der Guerilla. Diese brachten politische Vorschläge ihrer Einheiten ein.
BA: Vieviele Leute nahmen teil ?
H: 10 – 10.000
BA: Nennen sie eine Größenordnung
H: Viele kamen. Ich habe genug Polizeiverhöre überstanden. Glauben Sie, sie erfahren hier mehr ?
BA: Wurden Schriftdokumente erstellt ?
H: Natürlich. Es wurde Tag und Nacht diskutiert, recherchiert. Wir taten das, was eine Organisation so tut auf einem Parteitag.
BA: Gab es schriftliche Ergebnisse ?
H: Es gab sogar ein Buch
BA: War Herr Ereren anwesend ?
H: Ja
BA: Wurde die Entscheidungsfindung dokumentiert ?
H: Ja sicher
BA: Wie sind Sie ins Generalkomitee gekommen ?
H: Die Parteimitglieder haben gewählt
BA: Gab es mehrere Vorschläge ?
H: Aus den Grundeinheiten gab es verschiedene Vorschläge. Nicht alle konnten gewählt werden
BA: Wurde er auch gefragt, wer für die Wahl geeignet war ?
H: Ja, ich machte viele Vorschläge
BA: Machten Sie auch Vorschläge für das ZK ?
H: Ja
BA: Wen haben Sie vorgeschlagen ?
H: Ich habe Karatas vorgeschlagen
BA: Geschah das mündlich oder schriftlich ?
H: Was gesagt wurde wurde protokolliert
BA: (hält Hüsein ein Dokument vor mit einem Vorschlag für das ZK) Das haben Sie unterschrieben.
H: Das ist meine Schrift, ja.
BA: Da stehen weitere Namen als Vorschlag für das ZK, nicht nur Karatas.
H: Worauf wollen Sie hinaus ? Damals mag ich Faruk vorgeschlagen haben. Das war im frühesten Zeitpunkt des Ablaufs als es darum ging, wer generell in Betracht kommt. Mir war bewusst, daß Faruk sehr krank war. Der Vorschlag sollte nur zeigen, daß er eigentlich qualifiziert wäre.
BA: Also war Faruk Kemal
H: Nein, es gab viele Kemals
BA: Hat er Faruk für das ZK vorgeschlagen ?
H: Ich habe den vorgeschlagen, der mir am nächsten stand.
BA: Kemal alias Faruk wurde vorgeschlagen und gewählt, dann aber wieder wegen Krankheit abgezogen.
H: Dies belegt doch gerade, daß diese Wahl rein formal war, denn es war von Anfang an klar, daß Faruk schwer krank war und daß er außerstande war, irgendeine Funktion zu übernehmen. Er hat auch nie Verantwortung übernommen. Hier wird ein schwerkranker Mann beschuldigt für Dinge verantwortlich zu sein, die er nie hätte tun können und nie getan hat. Ich habe 30 Tage schwere Folter überstanden. Ich sage jetzt auch nicht mehr aus.
R: Hier in Deutschland wurde Herr Ereren nicht gefoltert und inzwischen ist er frei
H: Ich freue mich von Faruks Freilassung zu hören, aber einen psychisch kranken Menschen 7 Jahre lang Isolationshaft auszusetzen ist Folter.
Jetzt beantragt die Verteidigung den Abbruch des Verhörs wegen des Gesundheitszustandes Hüseins.
H: Ich musste dreimal operiert werden und dürfte eigentlich maximal 1 Stunde sitzen, da ich einen extrem schwankenden Blutdruck habe.
BA: Ich hätte noch eine letzte Frage, wirklich nur noch eine
Verteidigung: Herr Özaslan hätte sich wegen seiner Erkrankung auch gar nicht auf die Befragung einlassen müssen und sitzt hier nun seit 6 Stunden.
R: Abbruch der Befragung wird beschlossen
Die Videobefragung von Hüsein wird am 31.3.2014 um 10 Uhr fortgesetzt.
Wir werden berichten
http://www.linkezeitung.de/index.php/justiz/49-129-prozesse/268-ein-revolutionaer-wird-von-deutschem-gericht-verhoert
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