Freitag, 28. März 2014

Bilder des Kalten Krieges

BERLIN/KIEW Quelle: german-foreign-policy vom 12.03.2014 – Ein Berliner Osteuropa-Experte erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ukraine-Politik und die Ukraine-Berichterstattung in der Bundesrepublik. Berlin und die EU hätten jahrelang russische Kooperationsangebote systematisch ignoriert und Moskau massiv provoziert, urteilt Stefan Meister, Russland-Spezialist des European Council on Foreign Relations (ECFR). Sie trügen daher „eine große Mitschuld“ an der aktuellen Kriseneskalation. Insgesamt werde der Konflikt mit Russland im Westen „zu einseitig“ beurteilt: „Wir bedienen … Bilder des Kalten Krieges“. Während Politik und Medien die Öffentlichkeit auf eine weitere Eskalation vorbereiten, zeichnen sich für den Fall, dass die Bevölkerung der Krim am Sonntag für den Anschluss an Russland stimmt, erste Ansätze für eine Destabilisierung der Halbinsel ab. So stellen militante ukrainische Faschisten in Aussicht, sie würden ihr „Vaterland bis zum Ende verteidigen“; ihre Mobilisierung hat inzwischen begonnen. Einige von ihnen kämpften bereits in Tschetschenien als Milizionäre gegen die russischen Streitkräfte. Zudem heißt es, Moskau habe mit Angriffen aus dem salafistischen Spektrum der muslimischen Krim-Tataren zu rechnen. Einige dieser Salafisten haben Kampferfahrung aus dem Syrien-Krieg. Einflusszonen Ein Berliner Osteuropa-Experte erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ukraine-Politik und die Ukraine-Berichterstattung in der Bundesrepublik. „Die EU beziehungsweise ihre Mitgliedstaaten tragen eine große Mitschuld an der jetzigen Situation“, urteilt mit Blick auf die eskalierende Krim-Krise Stefan Meister, Russland-Spezialist des European Council on Foreign Relations (ECFR). So habe der Westen geostrategische Absprachen mit Moskau immer wieder gebrochen. Zum Beispiel habe man einst zugesagt, eine NATO-Osterweiterung auf Länder der ehemaligen Sowjetunion werde es nicht geben; „die gab es dann aber doch“. Putins „Kooperationsangebote in Bereichen wie Sicherheit und Energie“ seien regelmäßig ausgeschlagen worden. Die EU habe vor dem Gipfel von Vilnius im November 2013, auf dem sie Kiew zur Assoziierung veranlassen wollte, nicht nur ohne jede Rücksicht „ein Angebot an ukrainische Eliten gemacht, das überhaupt nicht deren Bedürfnissen entsprach“; sie habe zudem „völlig außer Acht gelassen“, dass „der Verlust der Ukraine … für Russland viel wichtiger“ sei „als der Gewinn der Ukraine für die EU“: Moskau sei ohne „Kontrolle über die Ukraine“ nicht in der Lage, auf die Dauer „eine Regionalmacht“ zu bleiben. Nach all diesen Erfahrungen habe Putin sich wohl gesagt: „Wenn die anderen ihre Einflusszonen ausbauen, dann tue ich das jetzt auch.“ Anderes sei nicht zu erwarten gewesen.[1] „Unter Männern und Tieren“ Wie Stefan Meister weiter erklärt, wird die Krim-Krise im Westen allgemein „zu einseitig“ beurteilt. „Wir reagieren ja quasi hysterisch auf das, was da passiert, bedienen … Bilder des Kalten Krieges“, stellt der Osteuropa-Experte fest: „Wir schieben Putin die Schuld zu und verschweigen unseren eigenen Anteil daran.“ Auch „unser Blick auf die ukrainische Opposition“ sei „sehr einseitig“. Insbesondere sei die Öffentlichkeit „viel zu sehr auf diese Person Putin fixiert“, den Präsidenten, der faktisch lediglich als „Moderator zwischen verschiedenen Interessengruppen in der russischen Elite“ fungiere.[2] In der Tat wird Putin in den deutschen Medien in wachsendem Maß zu einer Symbolfigur aggressiver Politik aufgebaut, gegen die es vorzugehen gelte. „Rechtsradikale“ seien in Moskau unter Putin „im unmittelbaren Umfeld der Macht anzutreffen“, behauptet die einst liberale „taz“, die Russland zu einem „zumindest protofaschistischen Unrechtsstaat“ stilisiert.[3] „Russlands Herrscher“ komme „angeblich ohne Frauen“ aus, hieß es schon vor Wochen in dem Blatt, „Gerüchte einer Liebschaft“ mit einer „rhythmischen Gymnastin“ sollten „sein Desinteresse nur überspielen“: Putin „hegt andere Leidenschaften“, „richtig wohl fühlt er sich nur in trauter Männerrunde und mit Tieren.“[4] Krieg nicht ausgeschlossen Während Bundesregierung und Mainstream-Medien die Bevölkerung auf eine weitere Eskalation des Konfliktes mit Moskau vorbereiten, zeichnen sich für den Fall, dass die Bevölkerung der Krim am Sonntag für den Anschluss an Russland stimmt, erste Ansätze für eine Destabilisierung der Halbinsel ab. So teilt der faschistische „Pravy Sektor“ („Rechter Sektor“) mit, er habe nun Rekrutierungsbüros in der gesamten Ukraine eröffnet, um Freiwillige für die eventuelle Rückeroberung der Krim anzuwerben. Man wolle aktiv werden, falls Russland seine dortige „Aggression“ fortsetze.[5] „Die andere Seite der Münze ist Krieg“, wird ein Anführer der Organisation zitiert: „Wir schließen diese Option nicht aus. Entsprechend führen wir eine Mobilisierung durch und bereiten uns darauf vor, die auswärtige Aggression zurückzuschlagen. Wenn der Kreml weiter auf uns herumtrampelt, werden wir kämpfen und unser Vaterland bis zum Ende verteidigen.“[6] Ukrainischen Medien zufolge hat der Führer des „Pravy Sektor“, Dmitro Jarosch, angekündigt, der paramilitärische Verband werde seine Aktivitäten mit dem Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine koordinieren. Jarosch amtiert als stellvertretender Sekretär des vom ukrainischen Staatspräsidenten persönlich geleiteten Gremiums (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Erfahrene Milizionäre Die Gewaltdrohungen des „Pravy Sektor“ müssen umso ernster genommen werden, als eine ihrer Mitgliedsorganisationen, die 1990 gegründete extrem rechte UNA-UNSO, in der Vergangenheit sowohl auf der Krim intervenierte als auch Erfahrungen mit militärischen Auseinandersetzungen gesammelt hat. Im Frühjahr 1992 führte die Vereinigung auf der Krim einen Aufmarsch durch, der im gesamten Land Schlagzeilen verursachte: Er wurde als Stellungnahme zu der damals – kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion – hochaktuellen Debatte begriffen, ob die Krim ihre 1954 erfolgte Zuordnung zur Ukraine rückgängig machen und sich Russland anschließen solle. Die Krim blieb damals bei der Ukraine. Aktivisten der UNA-UNSO dagegen beteiligten sich 1993 an militärischen Kämpfen in Georgien. 1994 nahm die Organisation, wie es in einem Bericht heißt, einen regelmäßigen Austausch mit tschetschenischen Separatisten auf, die damals gegen Moskau Krieg führten; UNA-UNSO-Mitglieder beteiligten sich dabei auch praktisch „auf der Seite Tschetscheniens am Krieg gegen Russland“.[8] Einer der damaligen UNA-UNSO-Milizionäre ist vor kurzem bei Protesten in der Westukraine beobachtet worden, als er Abgeordnete des regionalen Parlaments mit einer Kalaschnikow bedrohte. Der Mann sagt heute von sich, er werde „gegen Kommunisten, Juden und Russen kämpfen, solange Blut in meinen Adern fließt“.[9] „Wir sind bereit“ Neben dem „Pravy Sektor“, der im Verlauf der von Berlin unterstützten Proteste auf dem Majdan dramatisch erstarkte, richtet sich die Aufmerksamkeit in puncto Krim zunehmend auf die Krim-Tataren. Die islamische Minderheit, der rund 280.000 Personen zugerechnet werden, weist einen salafistischen Flügel auf, dessen Aktivisten teilweise über Kampferfahrung aus dem Syrien-Krieg verfügen. Ein Anführer der Krim-Tataren wird jetzt mit der Einschätzung zitiert, man müsse damit rechnen, dass zumindest einige der kriegserfahrenen Salafisten künftig russische Truppen auf der Krim angriffen. „Sie sagen: ‘Ein Feind ist in unser Land eingedrungen und wir sind bereit’„, wird der Mann zitiert.[10] Beobachter weisen darauf hin, dass einerseits in Syrien kämpfende Salafisten oft beste Verbindungen nach Saudi-Arabien haben, dass andererseits in Saudi-Arabien mittlerweile massive Proteste gegen das russische Vorgehen auf der Krim geäußert werden – begründet mit der erfundenen Behauptung, Moskau wolle die muslimischen Krim-Tataren umbringen. Arabische Muslime hätten schon im Krim-Krieg des 19. Jahrhunderts gegen Russland gekämpft, schreiben saudische Medien.[11] Riad, das sich damit an der Agitation gegen Moskau beteiligt, gehört zu den engsten Verbündeten des Westens, auch Deutschlands, in der arabischen Welt; einen gemeinsamen Kampf gegen Moskau führten die Diktatur und die westlichen Mächte bereits im Afghanistan der 1980er Jahre. Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden Sie hier: Protestbündnis für Europa, Probleme der Ostexpansion, Ein breites antirussisches Bündnis, Termin beim Botschafter, Expansiver Ehrgeiz, Zukunftspläne für die Ukraine,Unser Mann in Kiew, Die militärische Seite der Integration, Integrationskonkurrenz mit Moskau, In die Offensive, Die Expansion europäischer Interessen, Nützliche Faschisten,Oligarchen-Schach, Der Mann der Deutschen, Koste es, was es wolle, Vom Stigma befreit,Testfeld Ukraine, Der Krim-Konflikt, Kiewer Zwischenbilanz, Die Kiewer Eskalationsstrategie und Die Restauration der Oligarchen. [1], [2] Kühle Strategie statt Größenwahn. www.tagesschau.de 10.03.2014. [3] Klaus-Helge Donath: Berliner Kuscheldiplomatie. taz 04.03.2014. [4] Klaus-Helge Donath: Alphatier und Antityp. www.taz.de 11.02.2014. [5] Reinhard Lauterbach: Rechte machen mobil. www.jungewelt.de 08.03.2014. [6] Right Sector not ruling out war in Crimea and its participation in conflict. www.kyivpost.com 07.03.2014. [7] S. dazu Die Kiewer Eskalationsstrategie. [8] Franziska Bruder: „Willst du Frieden, bereite dich auf den Krieg vor“. www.antifainfoblatt.de 17.06.2003. [9] Blind eye turned to influence of far-right in Ukrainian crisis: critics. globalnews.ca 07.03.2014. [10] Tatars warn Russia risks provoking jihadi backlash in Crimea. www.ft.com 09.03.2014. [11] Egypt caught between Russia and Saudi Arabia. www.al-monitor.com 10.03.2014.

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