Samstag, 8. Februar 2020

[Chiapas98] Industrien vergiften Flüsse so stark, dass Menschen sterben (Reportage über Rio Santiago, Jalisco, in New York Times)

Industrien vergiften Flüsse so stark, dass Menschen sterben

Red. / 25. Jan 2020 - Als «Tschernobyl in Zeitlupe» prangert es die New York Times an. Eine «Umwelt-Hölle» nennt es Mexikos machtloser Umweltminister.
Seit 15 Jahren tun Mexikos Behörden fast nichts, um den Rio Grande de Santiago sauber zu bekommen. Der Fluss stinkt bestialisch von Industrieabfällen und Hausmüll. Der Gestank ist nicht einmal das grösste Problem: Entlang seinen Ufern werden Menschen und Tiere krank und sterben. Die Leidensgeschichte illustriert das Versagen der mexikanischen Regierung beim Thema Umweltschutz: Das Anlocken ausländischer Investoren hat bis heute Vorrang.
«Schmutzigster Fluss Mexikos»
Im Jahre 2008 war ein achtjähriger Knabe in den Rio Grande de Santiago gefallen. Er kletterte selber wieder heraus, starb aber einige Tage später an einer Arsenvergiftung, die er sich im Fluss zugezogen hatte. Dieser Zwischenfall fand grosse nationale Beachtung. Eine Studie, die 2011 veröffentlicht wurde, stellte im Flusswasser hohe Belastungen mit Schwermetallen wie Arsen, Blei, Cadmium, Cyanid, Quecksilber und Nickel fest.
Rio Grande de Santiago ist ein riesiger Abflusskanal für Abwässer aller Art. Die Vereinten Nationen bezeichnen den Rio Grande de Santiago als schmutzigsten Fluss Mexikos. Nach Angaben der «New York Times» verfügt die zuständige Behörde Conagua lediglich über einen einzigen Inspektor, der die Industrien des ganzen Bundesstaates Jalisco kontrollieren soll. Selbst wenn die Behörde einmal Sanktionen ausspricht, sind diese so schwach, dass sie keinem Unternehmen wehtun. Möglichst viele Unternehmen anzulocken, war wichtiger als die Gesundheit der Anwohner und der Schutz der Natur.
Im Jahre 2013 untersuchte eine Kommission den Lago de Chapala und den aus ihm ausfliessenden Rio Grande de Santiago erneut. Sie kam zum Schluss, dass bezüglich Überwachung der Wasserqualität, Durchsetzung von geltenden (schwachen) Rechtsvorschriften und Ansätzen zur Wiederherstellung der Gewässer-Ökologie riesige Defizite bestanden.
Im Jahre 2017 ergab eine weitere Untersuchung der Wasserqualität diverse Schadstoffwerte, die über den gesetzlichen Grenzwerten für Flüsse lagen. Enrique Alfaro, der Statthalter des Bundesstaates Jalisco, sagte darauf, der Rio Grande de Santiago sei eine der peinlichsten und schrecklichsten Geschichten, die in seinem Bundesstaat und ganz Mexiko vorkommen.
Für einzelne Fabrikabwässer kennt die mexikanische Gesetzgebung keine Höchstwerte bei Substanzen wie Pestizide und Schwermetalle. Sie schreibt auch nicht vor, wieviele Fabriken Abwässer in den Fluss leiten dürfen.
Das bekommen Anwohner des Flusses zu spüren. Sie leiden an Nieren- und Lungenkrankheiten, Hautausschlägen und Krebs. Ärzte und Betroffene sind überzeugt, dass die Ursache beim Flusswasser zu suchen ist. «Bei uns findet eine Tschernobyl-Katastrophe in Slow Motion statt», sagte Enrique Enciso gegenüber der «New York Times», die den Titel des Artikels daraus machte. Encisos Haus steht wenige Hausblöcke vom Flussufer entfernt.
Hoffen auf das neue Freihandelsabkommen
Besorgte Mexikaner setzen gewisse Hoffnungen ins «Kleingedruckte» des Ende 2018 mit den USA und Kanada unterzeichneten neuen Freihandelsabkommens. Dieses sieht vor, dass sich Mexiko keine Handelsvorteile verschaffen darf, indem es Unternehmen von Umweltauflagen verschont. Nur mit dieser Klausel stimmten die Demokraten im US-Kongress dem Abkommen zu. Inzwischen haben Mexiko und die USA den Vertrag ratifiziert. Es fehlt nur noch Kanada.
Doch auf strengere Auflagen für die Industrien am Rio Grande de Santiago warten die dortigen Einwohner immer noch, obwohl an seinen Ufern ausgerechnet diejenigen Unternehmen und Farmen angesiedelt sind, welche vom neuen Handelsabkommen am meisten profitieren. Der Fluss kann nur entgiftet werden, wenn die mexikanische Umweltgesetzgebung massiv verschärft und die politischen Randbedingungen komplett geändert werden.
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Quelle: Bericht von Steve Fisher und Elisabeth Malkin in der «New York Times» vom 30.12.2019/7.1.2020. – Zusammenfassende Bearbeitung von Dieter Kuhn.
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