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Wir schaffen das immer noch
»Schaffen« mussten es 2015 zuerst die Geflüchteten, um überhaupt nach Deutschland zu gelangen. Ihnen eine menschenwürdige Ankunft zu bieten, das »schafften« Tausende Freiwillige. Zwei Drittel dieser Willkommensinitiativen sind auch heute noch aktiv. Das zeigt eine Befragung des Berliner Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (Desi) im Auftrag des Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung (vhw).
Fast die Hälfte der befragten Initiativen schätzt die eigene Situation demnach als »stabil« ein, 13 Prozent sogar als »wachsend« und vier Prozent als »stark wachsend«. Der Studienleiter des vhw, Sebastian Beck, sagte »nd«, dieser »harte Kern« von zwei Dritteln habe ihn selbst überrascht - »und das, obwohl sich die gesellschaftliche Stimmung eintrübt«. Befragt wurden 138 Organisationen, in denen 7000 Ehrenamtliche aktiv sind. Knapp 40 Prozent davon wurden 2015 gegründet.
Seitdem habe sich die Art der Hilfe verändert. Viele Freiwillige engagierten sich weiter für Einzelne oder Familien, ohne das noch als ehrenamtliches Engagement zu betrachten, so Beck. »Aus Nothilfe wurde Freundschaft.«
Ab 2015 wurden auch neue Bevölkerungsschichten aktiv: Während in den 1990er und 2000er Jahren Unterstützung vor allem aus der antirassistischen und linken Bewegung kam, brachte sich nun auch die »bürgerliche Mittelschicht« ein, heißt es in der Studie. Beck ergänzt: »Das Engagement bildet das Selbstverständnis einer aktiven Bürgergesellschaft ab, die Verantwortung übernimmt.«
Lediglich ein Drittel der Initiativen stufte sich als schrumpfend (26 Prozent) oder gefährdet (7 Prozent) ein. Eine Erklärung dafür liefert auf Nachfrage von »nd« Volker Maria Hügel, Vorstand der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender in Münster: »Ich beobachte, dass Ehrenamtliche abgesprungen sind, weil sie hilflos bei der Abschiebung der Geflüchteten haben zusehen müssen.« Seit 2015 seien eben auch die Asylgesetze verschärft worden, wie Hügel vehement kritisiert.
Der leichte Rückgang des Engagements liegt laut der vhw-Studie auch daran, dass derzeit weniger Menschen ankommen als noch 2015 oder 2016 - und es gibt heute mehr Angebote öffentlicher Stellen, heißt es in der Studie. »Wenn die Zahl Schutzsuchender erneut rapide ansteigen würde, gäbe es ein großes Reservoir erfahrener Ehrenamtlicher«, ist Beck sicher.
Als Hindernis nannten die befragten Initiativen sehr häufig Probleme mit Behörden und Bürokratie. Rund jede fünfte Initiative beklagte, dass es kaum dauerhafte finanzielle Förderung gebe. Die Gelder zurückzufahren, weil kurzfristig weniger Menschen kommen, sei eine »Unsitte der Politik, die nichts mit Nachhaltigkeit zu tun hat«, bemängelt Hügel. »Die Menschen sind schließlich noch hier.«
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