Mittwoch, 26. Februar 2020

48. Jahrestag der Ermordung von Pierre Overney

Ein Jahr nach der Entlassung aus seinem Job wurde Pierre Overney am 25. Februar 1972 vom Leiter der Werksicherheit von Renault, Jean-Antoine Tramoni, erschossen, als dieser zusammen mit seinen Genossen der Gauche proletarienne Flugblätter am Ende der Morgenschicht vor dem Billancourt-Werk von Renault verteilten, um für eine Demonstration gegen das Massaker an der Metrostation Charonne aufzurufen. Overneys Ermordung führte zu einer Demonstration mit über 120.000 Teilnehmern in Paris. Als Reaktion auf diesen Mord seitens der Reaktion an einen Arbeiter und revolutionären Aktivisten wurde der Leiter der Werkspolizei Jean-Antoine Tramoni am 23. März 1977 in Vergeltung an Pierre Overney von den „Noyaux armés pour l’autonomie populaire“ getötet. Am 17. November 1986 erschoss ein „Kommando Pierre Overney“ der Action Directe den Direktor der Renault-Werke Georges Besse vor seiner Haustür.
Aus Anlass des 48. Jahrestages der Ermordung dieses französischen Arbeiters und selbstbezeichnenden Maoisten fand am Wochenende eine Demo zu seinem Grab statt, die von französischen Genossen durchgeführt wurde. Zum 25.02. veröffentlichen wir einige Seiten aus dem Buch „Volkskrieg in Frankreich – Strategie und Taktik der proletarischen Linken“ welches eine Sammlung von übersetzen Texten der Gruppe Gauche Proletarienne darstellt und auf Deutsch in zwei Auflagen erschienen ist.
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„Am 25.02.1972 wurde Pierre Overney beim Verteilen von Flugblättern von einem Werkschutzmann vor einem Fabriktor bei Renault erschossen. Die Arbeiter, die dagegen protestierten, wurden von der Direktion entlassen. Aus Protest nahmen Angehörige der NRP [s.u.] daraufhin einen leitenden Angestellten, Robert Nogrette gefangen. Über sein Schicksal sollten die Arbeiter der Fabrik auf einer Versammlung entscheiden, die von den Gewerkschaften verhindert wurde. Robert Nogrette wurde daraufhin von der NRP freigelassen.
[...]
Die „Nouvelle Résistance Populaire“ beantwortet eure Fragen:
1.) Wie habt ihr Nogrette entführt und wie habt Ihr ihn freigelassen wie habt Ihr das gemacht?
Das ist ganz gut gelaufen, Morgens sind wir sehr früh aufgestanden, als wir ankamen, brauchten wir auch kaum zu warten. Wir konnten nicht voraussehen, daß der Vogel 50 m hinter unserem Wagen die Straße überquerte; wir mußten deshalb noch 100 m weiterfahren und uns dann auf die andere Stra0enseite stellen. Als er dann in der Kiste war, wollte er uns vormachen, daß er erstickte; aber das war unmöglich: wir hatten an der Seite ein Luftloch gebohrt. So hätten wir auch etwas an seinen wirklich sehr großen Ohren ziehen können, wenn er Krach geschlagen hätte. Die Kiste war sehr schön, drin hatten wir eine kleine Bank aufgestellt, außen sah sie wie ein Kühlschrank aus (Marke Martin gibt euch mehr). Untendrunter hatte sie Rollen, um sie leichter schieben zu können.
Oben haben wir ihm dann die Handschellen und die Ketten an den Füßen abgemacht. Dann haben wir ihm ruhig erklärt, wenn er still wäre, würden wir ihm auch den Knebel aus dem Mund nehmen. Übrigens ist es völlig erlogen, daß die Bullen Chloroform im Wagen gefunden hätten: Wir wollten auch nicht das Geringste Risiko eingehen, deshalb haben wir ihn nicht betäubt; genauso falsch ist, daß im Wagen Bomben gewesen wären, wir wollten in keiner Weise Unbeteiligte gefährden.
Während seiner Gefangenschaft haben wir ihm politische Fragen gestellt. Wir waren mit ihm sehr großzügig, er bekam genug zu essen, konnte Radio hören oder fernsehen. Wenn er aufs Scheißhaus ging, wurde er allerdings überwacht.
Die Freilassung klappte auch: Wir haben seine Brillengläser geschwärzt, Ihm einen weißen Spazierstock in die Hand gedrückt, eine Schirmmütze aufgesetzt und eine Blindenbinde vors Gesicht gehalten. Jeder mußte ihn für einen Blinden halten; als wir mit ihm im Auto saßen, überholten wir zwei Bullenwagen, kein Polizist hat aber irgendwas gemerkt.
2. Welche Ziele habt Ihr Verfolgt? Glaubt Ihr, sie erreicht zu haben?
[...]
Es stand bei uns nie zur Diskussion, unsere Gefangenen hinzurichten. Keine Organisation kann so etwas jetzt entscheiden: Das ist erst möglich, wenn das Volk eine solche Hinrichtung fordert, wenn die Mehrheit des Volkes entscheidet, daß der Zeitpunkt gekommen sei, auf Kugeln mit Kugeln zu antworten.
[...]
Man kann dann immer noch fragen, warum wir diese Zweifel aufkommen ließen. Sicher, wir haben geschrieben: „Wir fordern die Freilassung der Gefangenen und die Wiedereinstellung der Arbeiter, die nach der Ermordung Pierre Overneys entlassen worden sind“, das sah so aus, als ob das unsere Bedingungen wären; einige Leute haben das falsch verstanden, und das ist schlecht an unserem Kommuniqué, aber daß sich auch die Presse, der Rundfunk, das Fernsehen geirrt haben, das ist gut; wir wollten ganz Frankreich klarmachen, daß die Direktion einen jungen Arbeiter erschießen ließ, daß diejenigen, die dagegen protestierten, ins Gefängnis geworden und die Zeugen des Mordes entlassen wurden; das war unser erstes Ziel.
Wenn wir geschrieben hätten; Die Direktion ermordet und entläßt Arbeiter, sie wirft sie ins Gefängnis, damit alle das wissen, haben wir Nogrette gefangen genommen. Was wäre passiert, die Presse hätte geschrieben; „Die NRP entführt einen leitenden Angestellten Renaults um den Tod Pierre Overney´s zu rächen.“ Keiner oder nur wenige Leute, hätten was von den Verhaftungen und Entlassungen erfahren.
Ihr glaubt es nicht? In unserem zweiten Kommuniqué haben wir den Terror der Direktion beschrieben, wir haben gezeigt, wie die Chefs bei Renault ein Exempel statuieren wollten. Nichts ist darüber geschrieben worden; keine Zeile, in keiner Zeitung, nichts, kein Wort, in keinem Sender. Andererseits weiß jetzt jeder von den Verhaftungen und Entlassungen, weil die Presse, das Radio und das Fernsehen uns mißverstanden haben. Unser erstes Ziel ist also erreicht worden, allerdings um den Preis eines Mißverständnisses bei sehr vielen Leuten.
Außerdem wollten wir noch die reaktionäre Rolle der leitenden Angestellten in der Fabrik aufzeigen. Wir sind nicht für ein Bündnis zwischen Arbeitern und leitenden Angestellten, weil es keine Einheit zwischen den Agenten der Tyrannei und den Unterdrückten geben kann.
Hier muß man genau sein: Die leitenden Angestellten sollen aufpassen, daß jeder die Gesetze des Chefs einhält, daß jeder die Disziplin, die Hierarchie usw. respektiert. Jeder weiß das. Alle Arbeiterkämpfe, damit meinen wir nicht das Geplänkel, das die Gewerkschaft von oben anordnet, sondern die Kämpfe die von den Massen, der Basis ausgehen, verneinen radikal diese Ordnung, diese Disziplin, die Hierarchie; wir müssen deshalb von vorhinein die leitenden Angestellten bekämpfen.
Deshalb ist die Politik der Revisionisten, ihr Schlagwort „Bündnis zwischen leitenden Angestellten und den Arbeitern“ , besonders hinterhältig. Daß sie selber für die Diktatur, die Hierarchie sind, sowas versteht sich allerdings von selbst, man braucht nur nach Polen oder Ru0land zu gehen. Einverstanden, auch Nogrette ist ein Lohnempfängern, der andere entläßt, das ist der kleine Unterschied zwischen ihm und einem Arbeiter.
Weiter , jetzt, wo es klar ist, daß die Bewegung sich verbreitert, treten die leitenden Angestellten als militärische Kraft auf, als Hilfstruppen der Polizei gegen die Arbeiterbewegung. Die Chefs haben sich alles sehr geschickt überlegt; Die leitenden Angestellten bilden ein Kommando, das die Streikposten vor einer besetzen Fabrik angreift, im Namen der „Freiheit der Arbeit“; wenn sie nicht durchkommen, tritt die Polizei auf den Plan: „ das Personal wird von einigen Streikenden an der Arbeit gehindert!
In Zwei Tagen haben sich diese Leute, die kein Wort verloren hatten, als ein Arbeiter erschossen wurde, in wilde Verteidiger der Freiheit verwandelt; nach der Verhaftung Nogrettes rief die Organisation der leitenden Angestellten zum Generalstreik und zur Kundgebung auf. Allerdings bekam sie dann doch Angst, die Fabrik den Arbeitern zu überlassen.
Die leitenden Angestellten haben zusammen mit den Gewerkschaften die von uns geforderte allgemeine Arbeiterversammlung verhindert.
Wir würden es begrüßen, wenn die leitenden Angestellten zu den Arbeiter hielten; aber das hieße, daß sie ihre Funktion aufgeben müßten. In vielen Fabriken verteidigen leitende Angestellte, die Arbeiter, kämpfen sogar mit ihnen zusammen: Es versteht sich von selbst, daß sie im Gegenteil von ihnen verteidigt werden. Hier nochmals die Ziele, die wir erreicht haben: Ganz Frankreich weiß, daß die Direktion, nachdem sie gemordet, Leute entlassen hat und ins Gefängnis werfen ließ; daß dies die „Freiheit“ ist, die die leitenden Angestellten verteidigen; daß die CGT und die PCF, nachdem sie den Leichnam eines ermordeten Arbeiters bespuckt hatten, einen „lohnabhängigen“ Rausschmeißer verteidigten. Das alles hat schon einiges geklärt.
[...]
4.) Was haltet ihr von der einhelligen Ablehnung der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen?
Unter den Bedingungen unserer militärischen und völlig illegalen Praxis gibt es nicht die geringste Chance, daß solch eine Organisation uns jemals unterstützt, besonders, wenn wir offensiv vorgehen.
Die illegale und direkte Praxis, die völlig, das traditionelle politische Leben ändert, muß von Organisationen schlecht aufgenommen werden, die mehr oder weniger an diesem politischen Ritual der Wahlen und der Repräsentation, an dieser Politik abseits vom Willen des Volkes teilnehmen.
Als früher zum ersten Mal die Chefs in den Fabriken eingesperrt wurden, lehnten das alle Organisationen mehr oder weniger ab, außer den Maoisten. Unter dem Druck der Massen hat sich nach und nach geändert. Allerdings nur bei solchen Organisationen, die mit den Massen verbunden sind. Freut uns diese „einhellige Ablehnung“, wie einige vermuten? Keinesfalls, wir sind nicht für eine Isolierung um jeden Preis. Wenn ein weites Bündnis zustande kommt, wie bei der Beerdigung Pierre Overneys, halten wir das für eine großartige Sache. Wenn wir allerdings zwischen der Unterstützung der Organisationen und der Unterstützung durch die Massen wählen müssen, entscheiden wir uns für die Massen. Wir sind dann nicht so traurig, wenn die Führer der Organisationen gegen uns sind. Wir denken, daß sie dann auf der Verliererseite stehen.“

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