Nach G-20-Protesten in Hamburg: U-Haft wegen »psychologischer Unterstützung« mutmaßlicher Gewalttäter
Von Lina Leistenschneider
junge Welt 27.7.2017
Im Juni kam es zur Vorbesichtigung der Hamburger Gefangenensammelstelle für den G20-Gipfel
Von Lina Leistenschneider
junge Welt 27.7.2017
Im Juni kam es zur Vorbesichtigung der Hamburger Gefangenensammelstelle für den G20-Gipfel
In der dritten Woche nach den G-20-Protesten sitzen noch 36 Festgenommene in Untersuchungshaft. Nach Einschätzung der Rechtsanwälte Lino Peters und Maja Beisenherz vom anwaltlichen Notdienst und des justizpolitischen Sprechers der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Martin Dolzer, sind die Haftgründe mehr als zweifelhaft.
Einigen wird nicht einmal eine konkrete Straftat vorgeworfen. Betroffen ist zum Beispiel die 23jährige Italienerin Maria R., »die inhaftiert ist, da sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten hat«, so Dolzer am Mittwoch im Pressegespräch. R. sei in einer Gruppe unterwegs gewesen, in der eine Person mit einem Bengalo gesichtet wurde.
Es gibt in ihrem Fall keine Tat und keinen Tatverdacht, wie Beisenherz berichtete. R. wird vorgeworfen, Gewalttäter psychologisch unterstützt zu haben, weil sie sich nicht entfernt habe. Dies reicht aus, um Maria R. mit der Begründung, es bestünde Fluchtgefahr, in U-Haft zu behalten und sie daran zu hindern, ihrem Studium und ihrem Job in einer Rechtsanwaltskanzlei nachzugehen. Trotz der daraus abzuleitenden guten Sozialprognose, obwohl Italien Auslieferungverträge mit Deutschland unterhalte und nach EU-Recht eine Meldeauflage am Heimatort ausreichen müsse, so Beisenherz.
Neben Maria R. sitzen noch weitere 19 EU-Ausländer in U-Haft. Sieben von ihnen wird ähnliches vorgeworfen – und anderen zwar Straftaten, aber solche, die im Normalfall höchstens mit Bewährungsstrafen geahndet werden. Beispielsweise Landfriedensbruch. Doch auch hier sind die Tatvorwürfe fraglich. So soll ein Flaschenwurf auf einem Video einer Person zugeordnet werden, die darauf selbst nicht zu sehen ist. Mehrere Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft wurden hingegen freigelassen, obwohl gegen sie teilweise schwerere Vorwürfe erhoben wurden. Dieses Vorgehen verstoße gegen das Diskriminierungsverbot nach Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention und gegen EU-Recht, stellten die Anwälte klar. »Es drängt sich der Eindruck auf, dass in mehreren Fällen an Nichtdeutschen, die nach G20 in U-Haft bleiben, im Rahmen einer Feindbildzuschreibung ein vollkommen unverhältnismäßiges Exempel statuiert werden soll«, so Dolzer. Lino Peters vom anwaltlichen Notdienst hat den Eindruck, dass die Haltung der Justiz in Hamburg politisch motiviert sei. Laut Peters werden vorbehaltlos vermeintliche Fakten mit martialischer Sprache aus Polizeiberichten übernommen. So sei einer Gruppe, die zwischen dem Protestcamp im Volkspark und der Hafengegend in Altona festgenommen wurde, eine »martialische Kampfstrategie« unterstellt worden. Obwohl die Polizei nichts bei den Festgenommenen gefunden habe, seien sie kollektiv für Straftaten und die Zustände in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli verantwortlich gemacht worden. Wegen der Vorwürfe des Landfriedensbruchs, schweren Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte steht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren im Raum. Nach einem Bericht des Lower Class Magazine handelt es sich um Menschen, die durch eine Treibjagd der Polizei teilweise schwer verletzt wurden. Sie seien von einem Baugerüst geschubst worden.
Die Zustände in der JVA Billwerder, wo die Untersuchungsgefangenen einsitzen, sind nach wie vor schlecht. Laut Peters musste einer von ihnen über zehn Tage in der gleichen Unterhose aushalten, weil Wäschepakete nicht abgegeben wurden. Eine Person sei mit der Begründung, »Demonstranten brauchen keine Bibliothek«, nicht in die Anstaltsbücherei gelassen worden.
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