Samstag, 29. Juli 2017

Hören wir auf, der Arbeit hinterher zu rennen



"Arbeit für alle zu schaffen, ist ein wichtiges Ziel. Das schaffen wir  
aber nur, wenn wir die Rahmenbedingungen für die unbezahlte Arbeit  
verbessern, statt immer bloß der bezahlten hinterher zu rennen. Die  
Arbeit geht uns nicht aus, aber zumindest die bezahlte Arbeit macht  
sich rar. Mit der Folge, dass der Sesseltanz um die Arbeit schon bald  
mehr Ressourcen verschlingt als die (produktive) Arbeit selbst. (...)  
Das ist grotesk, aber das ist noch nicht alles. Denn dazu kommen noch  
die psychologischen Kosten. Ein Dossier auf einem Stapel von  
zehntausenden zu sein, ist hart. Auf engstem Raum neben tausenden  
Mitbewerbern zu sitzen und knifflige Frage zu lösen, braucht Nerven.  
Zum zweiten, dritten oder siebten Mal abgelehnt zu werden, kann auch  
bei robusten Naturen zum Stoff von Albträumen werden. Wenn das so  
weiter geht, geht eine ganze Generation vor die Hunde. Es muss  
dringend etwas geschehen.  (...) Schlecht bezahlte, unregelmäßige  
Arbeit mit langen Arbeitswegen kann die Menschen erst recht in die  
Isolation treiben und die letzten familiären und nachbarschaftlichen  
Verbindungen kappen. In der Tat ist dieser Prozess schon weit  
fortgeschritten. Unser gesellschaftliches Leben ist in den letzten  
Jahrzehnten immer mehr vom Arbeitsmarkt organisiert oder vielmehr  
desorganisiert worden. Arbeitskräfte werden ohne Rücksicht auf das  
gesellschaftliche Leben dort und dann eingesetzt, wo sie am meisten  
Geld generieren. (...) Doch bevor der Staat die direkte Arbeit  
monetarisiert, sollte er erst die Rahmenbedingungen wiederherstellen,  
unter denen direkte Arbeit gedeiht – in intakten Familien,  
Nachbarschaften und Vereinen. Genau diese Strukturen sind in den  
letzten Jahrzehnten durch die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte  
systematisch zerstört und geschwächt worden. (...) Die Menschen hinter  
der Arbeit herrennen zu lassen, ist also keine kluge Strategie. Damit  
kann man im besten Fall den Nachbarn ein wenig bezahlte Arbeit  
abluchsen, doch insgesamt nimmt damit sowohl die bezahlte als auch vor  
allem die unbezahlte Arbeit ab. Stattdessen muss man die Arbeit wieder  
zu den Menschen bringen..." Artikel von Werner Vontobel vom 19. Juli  
2017 bei Makroskop
https://makroskop.eu/2017/07/hoeren-wir-auf-der-arbeit-hinterher-zu-rennen

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