Die Armen gehen in Kolumbien erneut auf die Straße
Von Jan Schwab
Auch im Chocobó leidet die Zivilbevölkerung unter
dem Terror rechter Paramilitärs (Bild einer Gruppe von Kämpfern in der
Provinz Antiquoia im Jahr 2003)
Foto: REUTERS/Jose Miguel Gomez
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Seit jenem Tag befinden sich die Beschäftigten in dem Verwaltungsbezirk im Nordwesten des südamerikanischen Landes erneut in einem unbefristeten Generalstreik, einem »Paro cívico«. Aufgerufen hatten das »Streikkomitee für Würde und Rettung Chocós« und Vertreter des Kleinhandels in der Region. Bereits im August vergangenen Jahres hatte es in dem hauptsächlich von afrokolumbianischen und indigenen Menschen bewohnten Gebiet einen ähnlichen Protest gegeben. Schulen und Geschäfte blieben geschlossen, der öffentliche Verkehr und die Arbeitsplätze wurden bestreikt, und die Menschen gingen massenhaft für ihre Rechte auf die Straße. Durch Verhandlungen von Repräsentanten des Komitees und der Zentralregierung um Präsident Juan Manuel Santos konnte der Streik am 24. August vergangenen Jahres zunächst beendet werden. In einer gemeinsamen Erklärung mit Vertretern des Streikkomitees verpflichtete sich die Regierung zu Anstrengungen, um eine nachhaltige Entwicklung der schlecht ausgebauten Infrastruktur, eine Verbesserung der Nahrungsmittel- und Stromversorgung sowie einen Ausbau des desolaten Gesundheitssystems zu gewährleisten.
Das Departamento del Chocó gehört zu den ärmsten Regionen in Kolumbien. Während in der Region am Pazifik unter anderem durch illegalen Abbau 98 Prozent des im Lande gewonnenen Platins und 37 Prozent des Golds gefördert werden, sind über 60 Prozent der Bevölkerung arm. 30 Prozent davon leben in extremer Armut. Eine Mehrheit der Bevölkerung hat darüber hinaus keinen Zugang zu sauberem Wasser und Strom. Die Analphabetenrate ist aufgrund des schlecht aufgestellten Bildungssystems dreimal höher als im Landesdurchschnitt. Dazu kommt, dass das Departamento eine der Regionen ist, die am stärksten vom bewaffneten Konflikt zwischen kolumbianischem Staat und Paramilitärs auf der einen und den verschiedenen Guerillagruppen andererseits betroffen sind. Seit dem Rückzug der marxistischen Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee (FARC-EP) aus den von ihnen zuvor gehaltenen Gebieten, kämpfen die ebenfalls marxistisch orientierte Nationale Befreiungsarmee (ELN) und verschiedene ultrarechte paramilitärische Gruppen um Einfluss im Chocó. Die Paramilitärs vertreiben und ermorden dabei gezielt die Zivilbevölkerung.
Die Streikenden forderten in ihrem im April veröffentlichten Aufruf eine neue Verhandlungsrunde, einen nachhaltigen Schutz der Menschen vor den Folgen des bewaffneten Konflikts, ein konsequentes Vorgehen gegen korrupte Eliten sowie Aufklärung über in der Vergangenheit getätigte Investitionen des kolumbianischen Staates im Chocó, die nicht bei der Bevölkerung angekommen waren. Die Regierung ihrerseits betonte, dass die Anschuldigungen nicht den Tatsachen entsprächen und man an vielen Punkten bereits vorangekommen sei. Streikkomitee und Regierung befinden sich nun tatsächlich – seit Beginn des Generalstreiks – erneut in Verhandlungen.
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