Das Bundessozialgericht hat geurteilt: Dauersanktionen gegen Geflüchtete sind nicht verfassungswidrig
Von Susan Bonath
Ungewisse Aussicht. Blick aus einem Flüchtlingsheim in Düsseldorf (31. Mai 2016)
Foto: Maja Hitij/dpa
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Der Kläger habe die Dauersanktion selbst zu vertreten, begründeten die Kasseler Richter ihr Urteil. Die Ausländerbehörde habe ihn mehrfach aufgefordert, sich um seine Ausweispapiere zu kümmern. Sie habe ihn auch bei der Kameruner Botschaft vorführen lassen. Dort habe er Fragen nicht beantwortet. Das Amt habe so den lediglich Geduldeten nicht abschieben können. Fehlende Mitwirkung rechtfertige es, so das BSG, den gesamten Bedarf für die Deckung persönlicher Bedürfnisse wie öffentlicher Nahverkehr oder Telefonkosten zu streichen und nur noch Sachleistungen für die rein physische Existenz zu gewähren. Die Richter berufen sich darauf, dass der Gesetzgeber die Gewährung des Minimums an Pflichten binden dürfe. Der Geflüchtete sei sich bewusst gewesen, in welcher Weise er sein Verhalten hätte ändern können. Mit einer ähnlichen Begründung hatte zuvor das Sozialgericht Cottbus die Klage abgewiesen.
Für den Betroffenen heißt das: Er muss sich auch künftig von Gutscheinen im Wert von rund 200 Euro mit Nahrung und Kleidung versorgen, wenn er nicht abgeschoben werden will. Normalerweise steht alleinstehenden Asylbewerbern ein Budget von 354 Euro zu. Der Satz liegt um 55 Euro unter dem Hartz-IV-Niveau, weil den Betroffenen Möbel, Hausrat und Strom zur Verfügung gestellt werden. Eine geplante Kürzung der Bezüge von Menschen in Sammelunterkünften auf 299 Euro war im Dezember 2016 im Bundesrat gescheitert.
Der Kläger sah sich in seinen Grundrechten verletzt. Er hatte auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2012 verwiesen. Das hatte damals die Bundesregierung verpflichtet, die Leistungen auf die Höhe der Hartz-IV-Sätze anzuheben. Diese stellten das politisch festgelegte menschenwürdige Existenzminimum dar, welches nicht aufgrund »migrationspolitischer Erwägungen« teilweise verwehrt werden dürfe. Sonst, so das BVerfG, werde »die Menschenwürde unzulässig in einen unabweisbaren und abweisbaren Teil gesplittet«. Auch »pflichtwidriges Verhalten« rechtfertige es nicht, die Grundleistung zu kürzen, meinten die Karlsruher Richter. Diese habe sich alleine am tatsächlichen Bedarf zu orientieren.
Der Bayerische Flüchtlingsrat sieht in dem Vorgehen einen Verfassungsbruch. »Es ist ein Skandal, dass Geflüchtete nur noch ein Bett im Lager, Verpflegung und medizinische Mangelversorgung erhalten, wenn sie nicht bereit sind, sich in alle Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt abschieben zu lassen«, kritisierte dessen Sprecher Alexander Thal bereits kurz vor der BSG-Entscheidung. Diese Praxis sei auch in Bayern an der Tagesordnung. Sie treffe zum Beispiel Flüchtlinge aus Afghanistan und führe unter anderem dazu, dass Betroffene ihren Rechtsbeistand verlieren, weil sie kein Bargeld mehr bekommen, mahnte Thal.
Das westafrikanische Kamerun ist nach Angaben von Hilfsorganisationen von wachsender Armut und Arbeitslosigkeit geprägt. Etwa die Hälfte der Bewohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Das Auswärtige Amt warnt aktuell: »Aufgrund eines erhöhten Anschlags- und Entführungsrisikos wird bis auf weiteres von Reisen in entlegene Gebiete Kameruns eindringlich abgeraten.« Auf öffentlichen Plätzen sei zudem »erhöhte Aufmerksamkeit« geboten. Vor allem im Norden des Landes komme es zu Selbstmordanschlägen mit Toten.
Ähnlich hart gehen die Jobcenter gegen Hartz-IV-Bezieher vor. Mit der Frage, ob ihr Existenzminimum wegen Fehlverhaltens gekürzt oder gestrichen werden darf, beschäftigt sich das BVerfG in diesem Jahr. Das Sozialgericht Gotha (Thüringen) hatte eine sogenannte Richtervorlage eingereicht, in der es solche Sanktionen als verfassungswidrig einstuft. Sie verstießen gegen die Grundrechte auf Menschenwürde, das Sozialstaatsgebot, die körperliche Unversehrtheit und die freie Berufswahl.
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