25.10.2016
Die Nationale Zapatistische Befreiungsarme EZLN und der Nationale Indígenen Kongress CNI haben vereinbart, zusammen mit Völkern und Gemeinden über die Aufstellung einer indigenen Frau als Präsidentschaftskandidatin für die Wahlen 2018 zu beraten. Die Entscheidung hat eine enorme Polemik hervorgerufen. Einige sehen in dem Beschluss eine Kehrtwende um 180 Grad in der praktischen Aktion. Andere das Betreten der traditionellen politischen Bühne. Wieder andere ein Manöver bei der Bildung einer Koalition gegen Andrés Manuel López Obrador.
Sie rufen dazu auf, eine neue Aktionsform zu ergreifen. Schwerpunkt ist dabei die direkte Partizipation in der Wahlkonjunktur als eine Form des Widerstandes, der Organisierung und des kämpferischen Einsatzes. Ein Bestreben, die indigene Bevölkerung und ihre Problematik ins Zentrum der landesweiten politischen Agenda zu stellen. Die Aggressionen gegenüber den indigenen Völkern sichtbar zu machen. Die Macht von unten aufzubauen. Diese Entscheidung bedeutet nicht das Betreten der politischen Bühne durch die EZLN. Die Zapatisten waren immer dort. Sie haben nie aufgehört, Politik zu machen, seit sie in der Öffentlichkeit erschienen sind und sich 1994 in Waffen erhoben. Man kann mit der von ihnen gemachten Politik einverstanden sein oder auch nicht. Aber die politische Beteiligung auf eine Wahlaktion in einer bestimmten Konjunktur reduzieren zu wollen, ist Humbug.
Die Zapatisten und den CNI
zu beschuldigen, der Regierung zuzuarbeiten, weil sie
abseits der politischen Parteien am Wahlprozess
teilnehmen wollen, ist ein Zeichen von Arroganz und
Intoleranz
Die Nationale Zapatistische Befreiungsarme EZLN und der Nationale Indígenen Kongress CNI haben vereinbart, zusammen mit Völkern und Gemeinden über die Aufstellung einer indigenen Frau als Präsidentschaftskandidatin für die Wahlen 2018 zu beraten. Die Entscheidung hat eine enorme Polemik hervorgerufen. Einige sehen in dem Beschluss eine Kehrtwende um 180 Grad in der praktischen Aktion. Andere das Betreten der traditionellen politischen Bühne. Wieder andere ein Manöver bei der Bildung einer Koalition gegen Andrés Manuel López Obrador.
Vorurteilsbeladene Reaktionen
Diese drei Meinungen sind nicht nur irrig, sondern auch
vorurteilsbeladen. Sie gründen auf Informationsmangel und
einem Analyseschema, das von der Prämisse "Wer nicht mit mir
ist, ist gegen mich" ausgeht. Diese Perspektive leugnet die
Geschichte und den politischen Weg, den sowohl die EZLN als
auch die zum CNI gehörenden indigenen Organisationen
aufweisen.
Seit die EZLN an die Öffentlichkeit ging, ist sie keine
Nichtwählerkraft gewesen. Sie hat weder zur Wahlenthaltung
noch zum Wahlboykott aufgerufen, sondern zur Organisierung
und zum kämpferischen Engagement. Und mindestens einmal hat
sie sich für die Stimmabgabe für einen Kandidaten
ausgesprochen.
Bei den Präsidentschaftswahlen vom 21. August 1994 rief sie
als Teil ihres Kampfes gegen Staatspartei und
Präsidialsystem auf, gegen die PRI zu stimmen. Mehr noch, am
15. Mai desselben Jahres empfingen die zapatistische Basis
und Subcomandante Marcos in Guadalupe Tepeyac den
PRD-Kandidaten Cuauhtémoc Cárdenas und seine Begleiter. Die
Rebellen begrüßten die Gruppe und erkannten an, dass der
damalige Kandidat ihnen aufmerksam und mit Respekt zugehört
hatte. Nebenbei kritisierten sie die PRD.
2005: Aufruf zu großer landesweiter Bewegung
Einige Tage später riefen sie über die Zweite Erklärung des
Lakandonischen Urwaldes zu einer "Nationalen Demokratischen
Konvention" auf, "aus der eine vorläufige bzw.
Übergangsregierung hervorgehen soll, sei es durch den
Rücktritt der Bundesregierung oder mittels der Wahlen".
Dieser Prozess, so erklärten sie damals, solle in der
Ausarbeitung einer neuen Verfassung sowie der Durchführung
von Neuwahlen münden.
Kurz darauf unterstützte die EZLN die Kandidatur des
Journalisten Amado Avendaño als Kandidaten der
Zivilgesellschaft für das Gouverneursamt im Bundesstaat
Chiapas. Nach dem Wahlbetrug, der seinen Sieg nicht zuließ,
erkannte sie ihn als aufständischen Gouverneur an und
behandelte ihn als einen solchen Gouverneur.
Ende 2005 riefen die Zapatisten dazu auf, eine große
landesweite Bewegung zu organisieren, um die
gesellschaftlichen Beziehungen zu transformieren, ein
landesweites Kampfprogramm auszuarbeiten und eine neue
politische Verfassung zu schaffen. In diesem Kontext gaben
sie den Anstoß zur "anderen Kampagne", der Initiative einer
zivilgesellschaftlichen, aus der Bevölkerung kommenden
Politik von unten und links, unabhängig von den
eingetragenen politischen Parteien, mit antikapitalistischer
Ausrichtung.
"Wer wählen will, soll wählen"
Obwohl die "andere Kampagne" nie zu Wahlenthaltung oder
-boykott aufrief, kritisierte sie die Kandidaten der drei
wichtigsten Parteien, einschließlich Andrés Manuel López
Obrador, scharf. Nur kurz vor den Wahlen vom 2. Juli 2006 –
und nach der Repression in San Salvador Atenco (3. und 4.
Mai 2006), mit der die Dynamik dieser politischen Initiative
sich veränderte – war es Subcomandante Marcos persönlich,
der sich auf einer Veranstaltung im Kino "Revolución" in
Mexiko-Stadt gegen die Verurteilung der Wahlwilligen
aussprach. "Wer wählen will, soll wählen", sagte er.
Es gab die Absicht, die Zapatisten für das Endergebnis der
Wahlen von 2006 verantwortlich zu machen und sogar für den
Betrug, der Andrés Manuel López Obrador den Sieg an den
Wahlurnen entriss. Vor einigen Tagen beklagte López Obrador,
Parteiführer der Bewegung zur Landesweiten Erneuerung Morena
(Movimiento Regeneración Nacional), damals hätten die EZLN
und der fortschrittliche Teil der Kirche eine Wahlempfehlung
gegen ihn ausgesprochen (was nicht der Fall war) und damit
indirekt geholfen, ihm die Wahl zu rauben. Seit damals ist
die Debatte bitter und heftig. Zehn Jahre haben daran nichts
geändert.
Jahrelang blieb die Position der Zapatisten unverändert.
Diese bestätigte Subcomandante Moisés in einem Kommuniqué
mit dem Titel: "Über die Wahlen: sich organisieren" im April
2015. Darin bemerkt er: "In diesen Tagen, mit diesem Ding,
das sie 'Wahlprozess' nennen, in diesem Kontext hören und
sehen wir, dass sie behaupten, die EZLN würde zur
Wahlenthaltung aufrufen, die EZLN sage, man soll nicht
wählen. Dies und andere Dummheiten sagen sie."Positionswechsel der Rebellen
Im weiteren Verlauf verdeutlicht er die Haltung der
Rebellen zur Wahlkonjunktur in dem Jahr: "Als Zapatisten,
die wir sind, rufen wir weder dazu auf, nicht zu wählen noch
zu wählen. Als Zapatisten, die wir sind was wir tun, sagen
wir den Leuten bei jeder Gelegenheit, sie sollen sich
organisieren, um Widerstand zu leisten, zu kämpfen, um das
zu erreichen, was nötig ist."
Das jüngste gemeinsame Dokument [3]
von EZLN und CNI, "Damit die Erde in ihren Zentren erbebe",
bedeutet einen Positionswechsel der Rebellen. Jedoch keine
180-Grad-Wende, denn für das Nichtwählen sind sie nie
eingetreten.Sie rufen dazu auf, eine neue Aktionsform zu ergreifen. Schwerpunkt ist dabei die direkte Partizipation in der Wahlkonjunktur als eine Form des Widerstandes, der Organisierung und des kämpferischen Einsatzes. Ein Bestreben, die indigene Bevölkerung und ihre Problematik ins Zentrum der landesweiten politischen Agenda zu stellen. Die Aggressionen gegenüber den indigenen Völkern sichtbar zu machen. Die Macht von unten aufzubauen. Diese Entscheidung bedeutet nicht das Betreten der politischen Bühne durch die EZLN. Die Zapatisten waren immer dort. Sie haben nie aufgehört, Politik zu machen, seit sie in der Öffentlichkeit erschienen sind und sich 1994 in Waffen erhoben. Man kann mit der von ihnen gemachten Politik einverstanden sein oder auch nicht. Aber die politische Beteiligung auf eine Wahlaktion in einer bestimmten Konjunktur reduzieren zu wollen, ist Humbug.
Politische Repräsentation muss tagtäglich errungen werden
Genauso steht es mit den Organisationen, die dem CNI angehören. Die Mobilisierung der Purépechas von Cherán (eine Schlüsselerfahrung beim neuen Verlauf der indigenen Kämpfe) für die Anerkennung ihrer Eigenregierung und Autonomie ist essentiell politisch. Auch die Selbstverteidigungserfahrung der Náhuatl von Ostula, oder die Verteidigung ihres Territoriums und ihrer Naturressourcen durch die Otomí-Gemeinde Xochicuautla.
Niemand hat das politische Vertretungsmonopol der
mexikanischen Linken. Diese Repräsentation muss tagtäglich
im kämpferischen Engagement errungen werden. Die Zapatisten
und den CNI zu beschuldigen, der Regierung zuzuarbeiten,
weil sie abseits der politischen Parteien am Wahlprozess
2018 teilnehmen wollen, ist ein Zeichen von Arroganz und
Intoleranz. Am Ende werden es die mexikanische Gesellschaft
allgemein und die indigenen Völker im Besonderen sein, die
darüber entscheiden, ob dieser Weg der Transformation des
Landes dienlich ist oder nicht.
Links:
[1] https://amerika21.de/autor/luis-hernandez-navarro
[2] http://radiozapatista.org/
[3] http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2016/10/18/damit-die-erde-in-ihren-zentren-erbebe/
[4] https://www.npla.de/poonal/ezln-cni-und-die-wahlen/
[5] https://flattr.com/submit/auto?user_id=amerika21&url=https%3A%2F%2Famerika21.de%2Fblog%2F2016%2F10%2F162932%2Fezln-cni-wahlen-mexiko&title=EZLN%2C%20CNI%20und%20die%20Wahlen%20in%20Mexiko&description=Die%20Nationale%20Zapatistische%20Befreiungsarme%20EZLN%20und%20der%20Nationale%20Ind%C3%ADgenen%20Kongress%20CNI%20haben%20vereinbart%2C%20zusammen%20mit%20V%C3%B6lkern%20und%20Gemeinden%20%C3%BCber%20die%20Aufstellung%20einer%20indigenen%20Frau%20als%20Pr%C3%A4sidentschaftskandidatin%20f%C3%BCr%20die%20Wahlen%202018%20zu%20beraten.%20Die%20Entscheidung%20hat%20eine%20enorme%20Polemik%20hervorgerufen.&language=de_DE&category=text
[1] https://amerika21.de/autor/luis-hernandez-navarro
[2] http://radiozapatista.org/
[3] http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2016/10/18/damit-die-erde-in-ihren-zentren-erbebe/
[4] https://www.npla.de/poonal/ezln-cni-und-die-wahlen/
[5] https://flattr.com/submit/auto?user_id=amerika21&url=https%3A%2F%2Famerika21.de%2Fblog%2F2016%2F10%2F162932%2Fezln-cni-wahlen-mexiko&title=EZLN%2C%20CNI%20und%20die%20Wahlen%20in%20Mexiko&description=Die%20Nationale%20Zapatistische%20Befreiungsarme%20EZLN%20und%20der%20Nationale%20Ind%C3%ADgenen%20Kongress%20CNI%20haben%20vereinbart%2C%20zusammen%20mit%20V%C3%B6lkern%20und%20Gemeinden%20%C3%BCber%20die%20Aufstellung%20einer%20indigenen%20Frau%20als%20Pr%C3%A4sidentschaftskandidatin%20f%C3%BCr%20die%20Wahlen%202018%20zu%20beraten.%20Die%20Entscheidung%20hat%20eine%20enorme%20Polemik%20hervorgerufen.&language=de_DE&category=text
Veröffentlicht auf amerika21
(https://amerika21.de)
_______________________________________________
Chiapas98 Mailingliste
JPBerlin - Mailbox und Politischer Provider
Chiapas98@listi.jpberlin.de
https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/chiapas98
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen