Flucht nach vorne
Mexiko wird die neue
Politik aus Washington als Erstes zu spüren bekommen. Nieto hat
deshalb Trump bereits als Wahlkämpfer eingeladen.
Süddeutsche Zeitung v. 13.11.2016
Was tun, wenn man Grund hat, sich vor jemandem
zu fürchten? Den Kopf einziehen? Oder die Konfrontation suchen,
auch wenn man der Schwächere ist? Mexikos Präsident
Enrique Peña Nieto, wahrlich kein politischer Riese, hat sich im
August für den riskanten Weg entschieden. Er hat Donald Trump
nach Mexiko eingeladen. Zuerst war die Empörung groß: Wie er
sich mit einem Mann zeigen könne, der Mexikaner verunglimpfe?
Peña Nieto antwortete, er habe immerhin erreicht, dass der
Kandidat "seinen Ton ändert". In der Tat sind grobe Ausfälle
gegen die Nachbarn seitdem ausgeblieben. Jetzt ist Trump
Präsident, und Peña Nieto hat der Welt eine Erfahrung voraus: Er
ist der erste Staatschef, der mit dem Politiker Trump
gesprochen hat.
Möglicherweise hat er ja sogar vorgemacht, wie man mit dem
neuen US-Präsidenten umgehen muss: Auf ihn zugehen, ihn
sozusagen als Betroffener direkt mit seinen eigenen Aussagen
konfrontieren. Es ist ja bisher vor allem sein Ton gewesen, an
dem Trump gemessen werden muss. Taten hat er noch keine
vorzuweisen, das gilt auch für die angedrohte Mauer an der
Grenze zu Mexiko, von der Peña Nieto klar gesagt hat, dass sein
Land sie bestimmt nicht bezahlen wird.
Der Nachbar leidet unter den USA, kann aber auch nicht ohne sie
Die Flucht nach vorn war wohl die einzige Möglichkeit, die der
Präsident eines Landes hat, das die neue Politik aus Washington
als erstes spüren wird. Ein Vorgeschmack war der Wertverlust des
Peso nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses in Washington. Es wird
sich nun herausstellen, ob es eine gute Idee war, die Wirtschaft
ganz auf den großen Nachbarn auszurichten. Vier Fünftel des
mexikanischen Exports gehen nach Norden, Waren und
Dienstleistungen im Wert von 316
Milliarden Dollar im Jahr. Das hat dem Land ein schönes
Wirtschaftswachstum und viel Lob als Musterschüler des
Freihandels eingebracht - aber eben auch das Risiko, dass alles
zusammenbricht, wenn der starke Nachbar sich wieder abschottet.
Der Rest der Welt wird davon lernen können.
Mexiko leidet unter den USA, kann aber auch
nicht ohne sie - allein die Zahlungen ausgewanderter Mexikaner
in der Heimat halten Millionen von Menschen am Leben, 25 Milliarden Dollar sind das jedes
Jahr, mehr als die Öleinnahmen. Sollten die USA die
Rücküberweisungen illegal Eingewanderter wirklich stoppen, hätte
das enormes Elend im Süden zur Folge. Nicht mal ein Donald Trump
kann das wollen. Um das Schlimmste zu verhindern, ist Mexiko
nach dem Sieg Trumps nun erneut in Vorlage gegangen und hat
angekündigt, mit den USA über Verbesserungen beim Abkommen Nafta
reden zu wollen. Die anderen Länder Lateinamerikas werden genau
beobachten, wie es Mexiko damit ergeht.
An sich wäre der Zeitpunkt günstig für die USA, mit der ganzen
Südhälfte des Kontinents über mehr Freihandel zu sprechen,
jetzt, da dort die Linksregierungen nach und nach abtreten.
Argentinien und Brasilien werden geführt von Männern, mit denen
Trump sich bestens verstehen müsste: Milliardärs-Kollege
Mauricio Macri regiert in Buenos Aires mit einer
business-freundlichen Banker-Truppe. Brasiliens Michel Temer
wirkt wie eine Latino-Kopie von Trump, von der sehr viel
jüngeren Model-Ehefrau bis hin zu seinem weißen
Altmännerkabinett aus der Finanzelite, das in guter alter
Schwellenlandmanier alles zunichte macht, was die Vorgänger
initiiert haben. Ja, fast könnte man meinen, die USA haben sich
durch die Wahl des Patriarchen Trump ein Stück
weit brasilianisiert.
Doch bislang hat Trump - abgesehen von Mexiko - nicht das
geringste Interesse an Lateinamerika gezeigt. Vielleicht
herrscht dort deswegen vergleichsweise gelassene Stimmung.
Phasen des Desinteresses von Seiten der USA waren für Länder des
Südens bislang oft schlicht die besten.
http://www.sueddeutsche.de/politik/mexiko-flucht-nach-vorne-1.3247401_______________________________________________
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