Donnerstag, 10. November 2016

Im Andenken an die Opfer des NSU-Terrors: Nichts vergeben – nichts vergessen!


 
5 Jahre nach Bekanntwerden des NSU-Komplexes:
Konsequenzen - JETZT!
Solidarität mit den Opfern und Angehörigen!
Über zehn Jahre mordete ein Nazi-Netzwerk bundesweit - staatlich gefördert - neun Menschen mit Migrationshintergrund. Durch zwei Bombenanschläge in Köln verletzten sie viele Menschen. Viele Angehörige und überlebende Opfer ahnten, wussten und sagten: Nur Nazis können die Täter sein.
Aber Ermittlungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft) terrorisierten und kriminalisierten sie selbst als Tatverdächtige. Familien und FreundInnen der Opfer gingen schließlich 2006 auf die Straßen und forderten: Kein zehntes Opfer!
Nach dem Auffliegen des NSU-Komplex 2011 und dem nun über drei Jahre andauernden Prozess in München, der nun dem Ende zugeht, zeigt sich das ganze Ausmaß des Skandals staatlicher Verstrickung und Vertuschung im Komplex des NSU: Nachdem etliche Akten über V-Manneinsätze in der Naziszene geschreddert wurden, wichtige Zeugen unter ominösen Umständen zu Tode kamen, etliche V-Männer  gedeckt und geschützt werden davor auszusagen, nachdem klar feststeht, dass der Aufenthalt der abgetauchten NSU-Mörder dem Verfassungsschutz bekannt sein musste, stellt sich die Frage nach der direkten  Tatbeteiligung staatlicher Stellen. Von der Bundesstaatsanwaltschaft bis hin zum Bundesamt für Verfassungsschutz bis hin zu deren obersten Dienstherren, der Regierung, den politischen Verantwortlichen.
Eines wird offensichtlich, es war so gewollt: In mindestens 6 Mordfällen gab es voneinander unabhängig Hinweise von Zeugen auf 2 Fahrradfahrer mit Glatzen und weitere Hinweise auf Rassismus als Tatmotiv. Doch wurden diese Spuren gezielt verwischt. Morde… vertuscht, gedeckt, gestützt…von Polizei, Justiz, Politik bis zu den Medien.  Staat und Nazis - Hand in Hand! Das ist die bittere Realität!
Gerechtigkeit - Entschädigung!
Die Angehörigen der Opfer, die überlebenden Opfer  -zugleich Betroffene der rassistischen und terrorisierenden Ermittlungen -  als NebenklägerInnen in dem Staatsschutzprozess in München werden auch jetzt noch weiterhin gedemütigt. Zum Ende des Prozesses hin zeigt sich wie sehr Gericht und Bundesanwaltschaft bemüht sind die Anklage auf einige wenige TäterInnen zu begrenzen.
Sie hält weiter fest an der zu Beginn des Prozesses schon fragwürdige Anklageschrift, die den Komplex von Nazis, V-Männern, Polizei, Ermittlungsbehörden,  Geheimdiensten… ausblendet.
Wir fordern die bedingungslose Aufklärung der Morde und Bombenanschläge. Die Verantwortlichen müssen belangt werden. Dem Skandal des NSU-Komplexes müssen politische und persönliche Konsequenzen folgen. Die Opfer und Betroffenen dieser Verbrechen müssen finanzielle Entschädigung erhalten. Nicht nur persönlich, sondern auch finanziell wurden sie systematisch in den Ruin getrieben.
Stopp Rassismus und Nazi-Terror!
In der aktuellen Stimmung, wo rassistische Hetze gegen MigrantInnen, gegen geflüchtete Menschen, Nazi-Angriffe auf Unterkünfte, völkisch-faschistische Propaganda einer AfD verharmlost, ignoriert und gewährt werden, ist der Prozessverlauf in München ein Hohn.
Die Faschisierung der Gesellschaft geht vom Staat aus. Der antirassistische Kampf ist zugleich der Kampf gegen die Herrschenden, und das von ihnen unterstützte nationalistisch-faschistische Denken.
Wir AntifaschistInnen und RevolutionärInnen stehen an der Seite der Angehörigen der Mord-Opfer und Betroffenen der Anschläge des NSU, ihnen gilt unsere ganze Solidarität. Mutig  widersprechen und wehren sie sich gegen alle Versuche der Herrschenden und ihrer Helfershelfer sie im Prozess zum Schweigen zu bringen.
Organisieren wir den Widerstand revolutionär  JETZT!
Dokumentiert:
Angehörige - Opfer zum NSU-Komplex
Abdulkerim Şimşek - Sohn von
Enver Şimşek  1961-2000, Nürnberg
„Denn ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die fünf, die da jetzt auf der Anklagebank sitzen, das alles alleine gemacht haben. Ich bin mir sicher, dass es noch viele weitere gibt, die mit der Sache zu tun haben.  Ich glaube auch nicht, dass sich diese beiden Männer, Mundlos und Böhnhardt, selber erschossen haben. Meiner Meinung nach ist da noch etwas im Hintergrund. Ich fürchte deshalb, wir werden auch nach dem Prozess noch keine wirkliche Klarheit haben.“
Betroffene junge Frau des Bombenanschlags in der Probsteigasse, 2000 Köln
„Man versucht langsam in sein altes Leben zu finden. Doch wie soll das funktionieren, in Anbetracht der physischen und psychischen Schäden? Man sagt immer, dass die Zeit alle Wunden heilen kann. Aber manche Wunden sind einfach zu tief. … ‚An der Nachbarschaft ist manches faul‘, hieß es in dem Bekennervideo, das die Täter gedreht haben. Damit waren unsere Nachbarn, unsere Nachbarschaft gemeint. Nur weil unsere deutschen Freunde und Nachbarn und wir gezeigt haben, dass es auch anders geht: Man kann in Respekt, Freundschaft und Hilfsbereitschaft miteinander leben und aufwachsen. Unabhängig von der Sprache, Religion oder Herkunft. Denn das was uns ausmacht, ist unser Handeln und Denken.“
Tülin Özüdoğru, Tochter von
Abdurrahim Özüdoğru 1952 -2001, Nürnberg
„Deshalb haben wir schon früh geahnt, dass sein Tod etwas mit Fremdenfeindlichkeit zu tun haben könnte. Es gab einfach keine andere Erklärung.
Die Täter haben alles zerstört: mein Vertrauen, ein Stück meiner Vergangenheit, einen Teil meiner Gegenwart und einen Teil meiner Zukunft.“
Ayşen Taşköprü, Schwester von
Süleyman Taşköprü 1970-2001, Hamburg
 „Statt uns Opfer-Familien  nach unseren Gefühlen zu befragen, sollten die Journalisten lieber mal die Deutschen fragen: Warum tut ihr euch so schwer mit Menschen unterschiedlicher Nationalität oder Hautfarbe? Warum habt ihr nicht die Toleranz, euch vielleicht auch selbst so zu verändern, dass Menschen sich hier integrieren können? … Und warum  ist es so schwer, den Mythos vom ‚Ausländer‘ hinter sich zu lassen und sich selbst die Erfahrung mit Einwanderern zuzutrauen?“
Frau von Habil Kiliç, 1963 -2001, München
„Was ist mit uns, den Opfern? Wenn man uns damals unterstützt hätte, wäre unser Leben leichter gewesen. ... Heute frage ich: Wie soll ersetzt werden, was wir verloren haben? Was gebt ihr uns, damit wir eine Zukunft aufbauen können?“
Mustafa Turgut, Bruder von
Mehmet Turgut 1979 -2004, Rostock
„Mein Vater hatte zuvor ja auch einige Zeit in Deutschland gearbeitet. Er kannte Ausländerfeindlichkeit. Er war sich sicher: Das waren bestimmt die Kahlköpfe. ... Wir hatten keine andere Erklärung, doch keiner hat uns geglaubt. Das war das Schlimmste. Nur mein Vater war sicher: Es waren die Neonazis und eines Tages kommt die Wahrheit heraus.“
Kemal Gündoğan, Opfer des Nagelbombenanschlags Keupstrasse, 2004 Köln
„Ich habe als Opfer 5000 Euro Entschädigung erhalten - 5000 Euro für Jahre, die ich gelitten habe und die mein Leben verändert haben. Doch ich will gar nicht mehr Geld. Eine echte Unterstützung für mich wäre, wenn mehr dafür getan würde, das rechtsradikale Denken zu bekämpfen  in der Gesellschaft, in der Schule, in den Familien. Ich wünsche mir, dass wir endlich lernen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind.“
Kerem Yaşar, Sohn von Isamail Yaşsar 1955 – 2005, Nürnberg „Nein, ich habe kein Vertrauen mehr in die Polizei und auch nicht in die Politik. Vielleicht liege ich falsch, aber nach meinem Gefühl steckt der Staat in der ganzen Sache auch tief mit drin. Man kann doch nicht 11 Jahre lang mit einer Waffe rumlaufen, zehn Leute töten, Banken überfallen und nie erwischt werden! … Und diese Rechten da erschießen Menschen, setzen sich hinterher aufs Fahrrad und können spurlos verschwinden. Das kann doch kein Zufall sein, dass das bei zehn Morden funktioniert hat.“
Gavriil Boulgarides, Bruder von
Theodoros Boulgarides 1964 -2005 München
„Als mich die Polizei nach dem Mord nach einem möglichen Täter fragte, sagte ich spontan: ‘Für mich war es ein ausgetickter Deutscher, der durch die Lande reist und Ausländer tötet.‘ Die Beamten haben mich angeschnauzt, was ich mir erlauben würde, ihnen solche Geschichten zu erzählen ... Theodoros ist in Griechenland beerdigt, neben meinem Vater und neben meinem Großvater. Der ist im Zweiten Weltkrieg auf Befehl der Deutschen von kooperierenden Bulgaren ermordet worden. Die haben 130 Männer in einem Waldstück umgebracht. Was für eine Ironie. Erst der Vater meines Vaters und dann der Sohn seines Sohnes.“
Elif Kubaşik, Frau von
Mehmet Kubaşik 1966 -2006, Dortmund
„Ich war von Anfang an sicher, dass die Mordserie eine Tat von Rechtsextremisten war. Und dass es Deutschlands moralische Schuld sei, das aufzuklären. Aber die Polizei hat uns nicht geglaubt. Wir hatten deshalb auch Kontakt zu der Familie von Halit Yozgat aufgenommen, der zwei Tage nach meinem Mann in Kassel erschossen wurde - mit derselben Waffe. So wie die Yozgats haben wir dann auch in Dortmund (2006) einen Trauermarsch für meinen Mann und gegen die Mordserie organisiert.“
Familie Yozgat, von Halit Yozgat 1985 - 2006, Kassel
„Wir bezahlen unsere Steuern, akzeptieren und respektieren Rechte und Pflichten, gehen in die Schule, sprechen die deutsche Sprache und haben sogar deutsche Freunde. Warum also spricht man noch von Integration? Weil wir anders aussehen, noch eine zweite Sprache als Muttersprache beherrschen, versuchen unseren religiösen Pflichten nachzukommen oder weil wir kein Schweinefleisch essen? Wenn das so wäre, müssten wir von Assimilation sprechen. Doch assimilieren lassen wir uns nicht. Jeder Mensch hat das Recht auf Individualität. Aber mit der ständigen Thematisierung einer angeblich, angestrebten Integration wird nur eins erreicht: Eine bewusste Provokation von Fremdenfeindlichkeit.“
Alle Zitate aus dem Buch „Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen“,  Herder Verlag 2014
TROTZ ALLEDEM!
 trotzalledem1@gmx.de  www.trotzalledem.ml

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