Dienstag, 15. November 2016

Donald Trump: Zweischneidiges Schwert als EU-Rüstungskatalysator?

IMI-Standpunkt 2016/036



von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 10. November 2016


Egal wie sie bewertet wird, überrascht hat der Ausgang der US-Wahlen am 8. November 2016 wohl nahezu jeden. Regelrechte Schockwellen löste Donald Trumps Sieg in den Chefetagen der europäischen Hauptstädte aus, wo es ganz offensichtlich lieber gesehen worden wäre, wenn seine Kontrahentin Hillary Clinton in Kürze ins Weiße Haus einziehen würde. Blendet man die – zahlreichen extrem problematischen – Vorhaben und Äußerungen zur Innenpolitik aus, die Trump im Wahlkampf von sich gab und betrachtet lediglich mögliche außenpolitische Folgen, so fällt eine erste vorsichtige Bewertung zwiespältig aus.
Unterstellt man dabei, dass Trump sich im Großen und Ganzen an den Positionen orientieren wird, die er in seinen wenigen Grundsatzreden formulierte, so finden sich darin positive Ankündigungen, beispielsweise ein entspannteres Verhältnis zu Russland anzustreben, die aber fast im selben Atemzug von Aussagen konterkariert werden, wie etwa den iranischen Atomdeal einkassieren und eine massive Aufrüstung des Militärs einleiten zu wollen. Überdies ist auch fraglich, inwieweit er überhaupt seine Wahlkampfankündigungen wahrmachen kann oder auch will. Einmal, weil bestimmte Vorhaben Trumps – etwa seine Ablehnung des „Transatlantischen Partnerschafts- und Investitionsabkommen“ (TTIP) – auf mächtigen Widerstand in der US-Industrie stoßen dürfte, aber auch, weil Trump nicht gerade große Begeisterung für außenpolitische Fragen nachgesagt wird. Es könnte also durchaus auch möglich sein, dass er die Außen- und Militärpolitik im Wesentlichen an sein Kabinett delegieren wird. Doch auch hier geben die bislang gehandelten Kandidaten kein klares Bild ab, sodass Einschätzungen zur künftigen US-Politik zu diesem Zeitpunkt zwangsläufig einen stark spekulativen Charakter haben.

Eines zeichnet sich allerdings bereits jetzt schon ab, nämlich, dass die Wahl Donald Trumps als Katalysator für die intensivierte Militarisierung der Europäischen Union genutzt werden soll. Egal welcher Politiker zu den Konsequenzen der Wahl befragt wurde, sie alle waren sich einig in der Schlussfolgerung, die EU habe nun überhaupt keine andere Möglichkeit, als nun mit einem großen Militarisierungssprung nach vorn zu reagieren.
Gemischtwarenladen
Die größte Sorge dürfte darin bestehen, dass der zu testosteronschwangeren Schnellschüssen neigende Trump einer fixen Idee folgend irgendein halsbrecherisches Vorhaben auf seine Agenda setzen könnte. Diese Sorge ist alles andere als unberechtigt, schließlich gibt es hierfür allein schon aus dem Wahlkampf eine Reihe von Beispielen, etwa die Schnapsidee, Japan nuklear aufrüsten[1] oder per Flächenbombardements die „Scheiße aus dem Islamischen Staat“ prügeln zu wollen.[2] Aber auch ein US-Präsident ist nicht gänzlich frei in seinen Entscheidungen – Barack Obama kann hiervon ein Lied singen. So besteht die Hoffnung, dass sein Beraterstab und daran angeschlossene Funkhäuser aus Industrie und Politik die idiotischsten Vorhaben torpedieren bzw. einkassieren dürften.
Abgesehen von solchen Westentaschenäußerungen gab es nicht allzu viele Anlässe, bei denen Trump systematisch und vorbereitet seine Position zu außenpolitischen Fragen formuliert hätte. Insofern lohnt sich ein genauerer Blick auf die seltenen Reden zu werfen, in denen er genau dies getan hat, unter anderem bei einem Auftritt vor der „Union League of Philadelphia“ im September 2016[3] und Ende April 2016 beim Nixon Center.[4] In seiner April-Rede bekannte er sich in aller Deutlichkeit zu dem Ziel, aus der aktuellen Eskalationsdynamik im Verhältnis zu Russland und China aussteigen zu wollen: „Wir wünschen uns, mit Russland und China in Frieden und Freundschaft zu leben. Wir haben ernste Differenzen mit diesen beiden Ländern […], aber wir müssen nicht gezwungenermaßen Feinde sein. Wir sollten Gemeinsamkeiten auf der Basis gemeinsamer Interessen suchen.“
Auch seine scharfe Kritik an den verschiedenen Formen der US-Interventionen im Irak, in Libyen und in Syrien erweckt den Eindruck, er könnte gegenüber US-Militäreinsätzen eine deutlich skeptischere Haltung vertreten, als dies im Falle ihres Wahlsieges bei Hillary Clinton der Fall gewesen wäre (was angesichts ihrer extremen Interventionsaffinität aber auch nicht allzu schwer fallen dürfte): „Am einen Tag bombardieren wir Libyen, um einen Diktator loszuwerden und für Zivilisten die Demokratie voranzubringen. Am anderen Tag sehen wir, wie dieselben Zivilisten leiden, während ihr Land vollständig auseinanderbricht.“[5]
Auf der anderen Seite zeigen aber allein schon seine IS-Äußerungen, aber auch seine Rede beim Nixon Center untermauerte, dass Trump auch alles andere als ein Pazifist ist: „Ich werde nicht zögern, das Militär einzusetzen, sollte es keine andere Alternative geben.“ Auch sonst ist die Rede gespickt mit einer Reihe von Positionen, die davor bewahren sollten, Trump allzu sehr über den friedenspolitischen Klee zu loben. Da wäre etwa seine Kritik, dass die USA „den Sturz eines freundlichen ägyptische Regimes unterstützt haben.“ Ginge es nach Trump, wäre der extrem repressive Diktator Mubarak, der sich aber gegenüber US-Interessen stets aufgeschlossen gezeigt hatte, wohl immer noch an der Macht.
Auch der in großen Teilen des US-Establishments nahezu pathologische Hass auf den Iran ist Teil der Trump-Agenda. Er geißelte die Einigung über das iranische Atomprogramm als „desaströse Vereinbarung“, womit er nahelegte, sie nach seinem Amtsantritt aufkündigen zu wollen: „Dem Iran darf es nicht erlaubt werden, eine Atomwaffe zu besitzen, es darf ihm nicht erlaubt werden. […] Und von einer Trump-Regierung würde es ihm auch nie erlaubt werden, über eine Atomwaffe zu verfügen.” Es gehört zu den Eigenheiten nicht nur Trumps, sondern zahlreicher US-Politiker, einerseits die Gefahr einer iranischen Nuklearbewaffnung zu betonen, im gleichen Atemzug dann aber gegen die Atomvereinbarung zu wettern, die genau dies verhindern hilft.
Obwohl unter Barack Obama zudem ein „Modernisierungsprogramm“ der US-Atomwaffen beschlossen wurde, das je nach Schätzung einen Umfang  zwischen 355 Mrd. und 1.000 Mrd. Dollar haben wird[6], geht auch dies Trump augenscheinlich nicht weit genug: „Unserem Atomwaffenarsenal – unserem ultimativen Abschreckungsmittel – wurde es erlaubt zu verkümmern. Es benötigt dringend eine Auffrischung und Modernisierung.“ Nicht ganz sachrichtig ist auch seine Kritik, das US-Raketenabwehrprogramm sei unter Barack Obama „demontiert“ worden.
Schließlich ließ auch Trump – wie allerdings eigentlich jeder seiner Vorgänger – keine Zweifel aufkommen, die Überlegenheit des US-Militärs sicherstellen zu wollen: „Unsere militärische Überlegenheit muss außer Frage stehen.“ In seiner Rede in Philadelphia im September 2016 nannte Trump eine Reihe an Details, wie er dies gewährleisten möchte. Das Heer soll von aktuell 490.000 Soldaten auf 540.000 vergrößert und die Marineinfanterie von aktuell 23 Bataillonen (je ca. 1.000 Soldaten) auf 36 Bataillone aufgestockt werden. Die Navy soll deutlich mehr Schiffe erhalten und auch der Luftwaffe will Trump mehr Kampfflieger gönnen. Die Liste ließe sich noch eine Weile fortsetzen, das genannte dürfte aber ausreichen, um nachvollziehen zu können, weshalb sich nach Trumps Wahlsieg vor allem eine Branche satte Profite verspricht: “Der Schock nach dem unerwarteten Wahlsieg von Donald Trump währt nur kurz: Am Aktienmarkt stellen sich Investoren schnell auf die neue politische Realität in den USA ein. Die Aktien von Rüstungsunternehmen sind auffallend stark gefragt.“[7] Genaue Aussagen zur künftigen Höhe eines Trump-Rüstungshaushaltes blieb der künftige US-Präsident zwar schuldig, da er sich aber stark an Vorschlägen des „National Defense Panel“ sowie der „Heritage Foundation“ orientierte, rechnet der US-Militärexperte William Hartung mit einem Anstieg der Ausgaben um 80 bis 90 Milliarden Dollar jährlich.[8]
Wie bereits erwähnt ist allerdings ohnehin unklar, wie stark sich der eher an Innenpolitik interessiert zu scheinende Trump in außen- und militärpolitische Fragen einbringen wird. Normalerweise gibt deshalb ein Blick in den Beraterstab und das Schattenkabinett zusätzliche Hinweise, in welche Richtung sich die Politik eines Kandidaten bewegen könnte. Im Falle Clintons war dies relativ aufschlussreich[9], nicht so aber bei Trump. So schreibt Germen-Foreign-Policy.com: „Im deutschen Außenministerium könne man auf die Frage nach außenpolitischen Beratern des US-Republikaners die verärgerte Antwort hören: ‚Er hat keine.‘ Trump habe ein ‚paar Figuren um sich herum versammelt, die alle nicht ernst genommen‘ worden seien, wird ein Experte von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) zitiert.“[10]
Tatsächlich waren ein Großteil derjenigen, denen ein gewisser Einfluss auf die außenpolitische Agenda Trumps nachgesagt wurde, recht unbeschriebene Blätter, die somit wenig Rückschlüsse zuließen. Was neuere Spekulationen über mögliche Kabinettsposten anbelangt, ist dies bei zwei Personen aber nicht der Fall – und auch hier ist das Ergebnis eher gemischt. So wird Newt Gingrich als aussichtsreichster Kandidat für den Posten als Außenminister gehandelt, der sich ein ums andere Mal als „rechtskonservativer Scharfmacher“ profiliert hat.[11] Demgegenüber fiel der als Verteidigungsminister oder Nationaler Sicherheitsbeamter gehandelte Michael Flynn eher positiv auf, als er in seiner Zeit als DIA-Direktor (2012 bis 2014) eine überaus kritische Einschätzung seines Hauses zur US-Syrienpolitik vehement verteidigte und als Konsequenz seines Amtes enthoben wurde.[12]
Entschieden ist in den Besetzungsfragen noch  nichts, insofern bleibt hier abzuwarten, ob sich diese Spekulationen bewahrheiten. Was sich allerdings jetzt schon abzeichnet ist der Versuch hierzulande, insofern das Beste aus Trumps Wahl zu machen, als er als zusätzliche Legitimation für ohnehin vorhandene EU-Rüstungspläne herhalten soll.
Nützlicher Idiot
Eine Sache wurde Trump im Wahlkampf nicht müde zu betonen: Die schon von den Vorgängern immer wieder angemahnte „fairere“ Lastenteilung in Form höherer EU-Rüstungsausgaben und militärischer Kapazitäten müsse endlich umgesetzt werden. Dies dürfte von Trump tatsächlich in ungleich schärferer Form als bislang eingefordert werden und er betonte auch mehrfach, hiervon werde das weitere US-Engagement in der NATO abhängen. So äußerte er sich in seiner Grundsatzrede im April 2016: „Unsere Verbündeten müssen sich an den finanziellen, politischen und menschlichen Kosten unserer enormen Sicherheitsbelastungen beteiligen. Viele von ihnen tun dies jedoch einfach nicht. […] Die Länder, die wir verteidigen, müssen für die Kosten hierfür bezahlen – sollten sie dies nicht tun, müssen die USA bereit sein, diese Länder sich selbst verteidigen zu lassen.“
Auch wenn sich sonst die Begeisterung über Trumps Wahl in engen Grenzen hält, in diesem Punkt scheint ein gewisser Kollateralnutzen gesehen zu werden. Schließlich lässt sich nun unter Verweis auf Trump die mit der „Bratislava-Agenda“ ohnehin massiv ins Auge gefasste Militarisierung der Europäischen Union[13] der Bevölkerung noch „besser“ als Sachzwang verkaufen. Jedenfalls war die Forderung nach einem EU-Rüstungsschub die am häufigsten gehörte Konsequenz, die laut führender Politiker nun aus der US-Wahl gezogen werden müsse. Noch am Wahlabend äußerte sich beispielsweise Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zur Notwendigkeit höherer Rüstungsausgaben: „Dieser Trend hat sich schon abgezeichnet vor der Wahl und es war uns auch immer völlig klar […], unabhängig davon, wie die Präsidentschaftswahl in den USA ausgehen wird: Europa muss sich darauf einstellen, dass es besser selber vorsorgt […], deshalb auch mein Vorstoß mit den französischen Kollegen, dass wir stärker in eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion investieren müssen.“[14]
Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sekundierte: „Die Amerikaner, denen wir viel verdanken, […] die werden nicht auf Dauer für die Sicherheit der Europäer sorgen. […] Das müssen wir schon selbst tun. Deshalb brauchen wir einen neuen Anlauf in Sachen europäische Verteidigungsunion bis hin zu dem Ziel der Einrichtung einer europäischen Armee.“[15]

 Anmerkungen
[1] http://www.derwesten.de/politik/trump-will-atomwaffeneinsatz-in-europa-nicht-ausschliessen-id11695834.html#plx666559612
[2] http://www.businessinsider.de/donald-trump-bomb-isis-2015-11?r=US&IR=T
[3] http://thehill.com/blogs/pundits-blog/campaign/294817-transcript-of-donald-trumps-speech-on-national-security-in
[4] Trump, Donald J.: America First will be the major and overriding theme of my administration, Rede, Nixon Center, 27.04.2016.
[5] Noch deutlicher wurde Trump in seiner Rede in Philadelphia: “Unlike my opponent, my foreign policy will emphasize diplomacy, not destruction. Hillary Clinton’s legacy in Iraq, Libya, and Syria has produced only turmoil and suffering. Her destructive policies have displaced millions of people, then she has invited the refugees into the West with no plan to screen them. […] The current strategy of toppling regimes, with no plan for what to do the day after, only produces power vacuums that are filled by terrorists.”
[6] Collina, Tom: The Unaffordable Arsenal, Arms Control Association Report, October 2014.
[7] http://www.n-tv.de/wirtschaft/Ruestungsaktien-ziehen-an-article19045506.html
[8] http://www.huffingtonpost.com/william-hartung/trumps-pentagon-plan-coul_b_12085172.html
[9] Für Clinton: http://www.imi-online.de/2016/10/05/die-hochzeit-der-kriegstreiber/
[10] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59479
[11] http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/donald-trump-kabinett-geheimdienste
[12] http://www.imi-online.de/download/JW-USA-Syrien-Ausdruck-1-2016.pdf
[13] http://www.imi-online.de/2016/09/18/bratislawa-agenda/
[14] „Ein schwerer Schock“, tagesschau.de, 09.11.2016.
[15] http://www.handelsblatt.com/politik/international/europarede-juncker-macht-sich-fuer-europaeische-armee-stark/14821492.html

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