Montag, 17. August 2015
Amerikanischer Albtraum: Der gefährliche Weg der Migranten gen Norden
Tiroler Tageszeitung v. 16.8.2015
Washington (APA/dpa) - Eine der verkehrsreichsten Flüchtlingsrouten der Welt führt durch Mexiko. Migranten aus Mittelamerika werden auf der mehrere Tausend Kilometer langen Reise immer wieder Opfer von Gewalt: Kriminelle und Polizisten bereichern sich am Elend der Einwanderer.
Was in Europa die Schlepperboote sind, ist in Mexiko „La Bestia“. Der Güterzug mit dem Furcht einflößenden Namen durchkreuzt das Land auf verschiedenen Routen von Süden nach Norden. Zehntausende Migranten aus Mittelamerika fahren jedes Jahr als blinde Passagiere auf der „Bestie“ ins vermeintliche „gelobte Land“ - die USA.
Was in Europa das Mittelmeer ist, sind in Mexiko kriminelle Banden und die Wüste. Auf der zwischen 2.000 und 4.000 Kilometer langen Strecke durch Mexiko sind die Einwanderer den Gangs schutzlos ausgeliefert. Fast jeder, der den Höllenritt mit der „Bestia“ wagt, wird mindestens einmal überfallen. Sechs von zehn Frauen erleben sexuelle Gewalt.
Von den Behörden ist wenig Hilfe zu erwarten, die Polizisten pressen den Migranten häufig selbst Wegezoll ab. „An der Grenze haben uns die Leute von der Einwanderungsbehörde gejagt und ein Polizist hat mir meine letzten 500 Pesos (gut 28 Euro) abgenommen“, erzählt der Salvadorianer Francisco. Laut einer Erhebung von Menschenrechtsorganisationen sind die staatlichen Sicherheitskräfte für über 20 Prozent der Verbrechen gegen Migranten verantwortlich.
Niemand weiß genau, wie viele Mittelamerikaner und Mexikaner sich jedes Jahr auf den Weg in die Vereinigten Staaten machen. Allerdings wurden zwischen Oktober 2013 und Oktober 2014 an der US-Grenze allein 226.771 Mexikaner aufgegriffen. Zwischen Jänner und November 2014 nahmen die mexikanischen Behörden ihrerseits 117.491 Einwanderer ohne gültige Papiere fest - fast alle aus Mittelamerika.
El Salvador und Honduras gehören zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Mächtige Jugendgangs - die sogenannten Maras - kontrollieren dort ganze Stadtviertel und sind in Drogenschmuggel, Schutzgelderpressung sowie Menschenhandel verwickelt. Häufig zwingen sie Kinder und Jugendliche, sich ihnen anzuschließen. Wer sich weigert, setzt sein Leben aufs Spiel.
Allerdings ist auch der Eintritt in die Mara Salvatrucha oder Barrio 18 keine Sicherheitsgarantie. Die Banden liefern sich erbarmungslose Verteilungskämpfe, zuletzt sollen auch wieder von Unternehmern finanzierte Todesschwadronen Jagd auf mutmaßliche Mareros machen. Gangmitglieder in Mittelamerika erreichen selten das 30. Lebensjahr.
Im Sommer vergangenen Jahres geriet die Lage an der Südgrenze der USA in den internationalen Fokus, als dort innerhalb von zwölf Monaten über 60.000 unbegleitete Kinder aufgegriffen wurden. US-Präsident Barack Obama sprach damals von einer humanitären Katastrophe.
Durch verschärfte Kontrollen innerhalb von Mexiko ist die Zahl rückläufig - am Elend der Einwanderer hat sich nichts geändert. Sie fliehen vor der Gewalt in Mittelamerika und fallen auf ihrem Weg in eine bessere Zukunft allzu oft erneut Kriminellen in die Hände.
Die Flüchtlingsrouten durch Mexiko werden von brutalen Verbrechersyndikaten kontrolliert: Überfälle, Entführungen, Vergewaltigungen und Morde dort sind an der Tagesordnung. „Mexiko ist zu einer Todesfalle für Migranten geworden mit brutalen Gangs, die nur darauf warten, sie für ein paar Dollar anzugreifen“, sagt die Regionalchefin von Amnesty International, Erika Guevara-Rosas.
Auch wenn rechte Hardliner in den USA es nicht wahrhaben wollen: Die Migration aus Lateinamerika in die Vereinigten Staaten wird nicht enden. Fast jeder Mexikaner hat mittlerweile Verwandte in den USA, die Überweisungen von Familienangehörigen aus dem Norden sind in Guatemala, Honduras und El Salvador ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Und auch die USA brauchen die Einwanderer. Die Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten würde ohne die Arbeiter aus dem Süden wohl zusammenbrechen, auch der Dienstleistungssektor ist ohne die Latinos kaum mehr vorstellbar. Allerdings lässt der massenhafte Exodus die mittelamerikanischen Staaten langsam ausbluten.
„Die humanitäre Krise ist noch lange nicht vorbei. Wir müssen die Ursachen von Gewalt und den Mangel an Chancen in den Herkunftsländern bekämpfen, der Kinder und Familien dazu treibt, ihre Heimat zu verlassen“, sagt Adriana Beltran vom Washington Office on Latin America (WOLA). „Wir müssen in Gewaltpräventionsprogramme, effektive Rechtssysteme, demokratische Institutionen und Bildung investieren.“
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