Mittwoch, 19. August 2015
AfD-Stadtrat hat Hausverbot
Flüchtlingsunterkunft in Stuttgart
Von Jörg Nauke 19. August 2015 - 06:30 Uhr
Der AfD-Stadtrat Heinrich Fiechtner hat ohne Erlaubnis die Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Stuttgarter Kernerstraße besucht. Er will Überbelegung und Hygienemängel festgestellt haben. Dieser Besuch hatte Konsequenzen für ihn.
Der AfD-Stadtrat Heinrich Fiechtner soll am 1. August ohne Erlaubnis ein gesichertes Notaufnahmeheim für minderjährige Flüchtlinge in der Kernerstraße betreten und dort wohl auch fotografiert haben. Es sei ihm darum gegangen, Missstände zu dokumentieren, begründet Fiechtner in einem Schreiben an Jugendamtsleiter Bruno Pfeifle die Inspektion. Er räumt darin ein, Zimmer „in Augenschein“ genommen zu haben – und zwar nachdem er infolge von Gesprächen mit Mitarbeitern im Eingangsbereich den Eindruck erhalten habe, dass dort Überbelegung und Hygienemängel herrschten. Er habe aber „in keiner Weise in den Ablauf des Unterbringungsprozesses“ eingegriffen.
Nach seiner Aussage war der Stubendurchgang von einer Mitarbeiterin beobachtet worden. Sie informierte den Leiter der Einrichtung, der umgehend ein Hausverbot aussprach. Nachdem sich Fiechtner weigerte, das Haus zu verlassen, sei Amtsleiter Pfeifle informiert worden. Der habe das Hausverbot bestätigt und gesagt, notfalls solle man die Polizei holen.
Fiechtner verweist auf die Gemeindeordnung
In seiner Beschwerde betonte Fiechtner, dass er nicht Täter, sondern Opfer und Aufklärer sei. Als Stadtrat und Mitglied im Sozial- und Gesundheitsausschuss sei er berechtigt, eine öffentliche städtische Einrichtung zu betreten und in Augenschein zu nehmen. Nur so könne er der Pflicht zur Kontrolle von Vorgängen in der Verwaltung genügen. Er bezieht sich auf die Gemeindeordnung, in der dem Gemeinderat auferlegt wird, die Ausführung seiner Beschlüsse zu überwachen und beim Auftreten von Missständen in der Verwaltung „für deren Beseitigung durch den Bürgermeister zu sorgen“.
Pfeifles Stellvertreter Heinrich Korn sagt, die Einrichtung diene dem Schutz der Jugendlichen. Es seien darin Personen untergebracht, deren Vätern aus gutem Grund der Zutritt verwehrt würde. Fremde hätten dort nichts verloren, und natürlich dürfe sich auch ein Stadtrat nicht ohne Genehmigung Zutritt in das gesicherte Gebäude verschaffen. Eine Bewertung des Rechtsamts steht allerdings noch aus.
Der Flüchtlingsstrom sorgt für einen Engpass
In der Kernerstraße habe Fiechtner erst zu einem späten Zeitpunkt offenbart, dass er Stadtrat sei. Die von ihm gesammelten Erkenntnisse seien im Rathaus bekannt: Der Flüchtlingsstrom sorge auch in dieser Einrichtung für Enge, sodass in Besprechungszimmern Betten aufgestellt worden seien. Die Einrichtung habe 26 Plätze. Zum Zeitpunkt von Fiechtners Besuch sei die Einrichtung mit doppelt so vielen Flüchtlingen belegt gewesen. „Wir unternehmen alle Anstrengungen, die Kapazitäten auszuweiten. Die Anzahl der Zufluchtssuchenden erhöht sich allerdings schneller, als räumliche und personell Ressourcen gefunden werden können“, so Korn. Trotzdem halte man die Situation zumindest kurzfristig für hinnehmbar, weil im Gebäude auch Räume genutzt werden, die im Katastrophenfall als Notunterkunft für Kinder dienen würden.
Recherche am Schwarzen Brett
Viele unbegleitet nach Deutschland gekommene jugendliche Flüchtlinge haben eine Odyssee hinter sich, bei der ausreichende Körperhygiene und Gesundheitsschutz nachrangig gewesen waren. Dass es Probleme mit der Pflege und Infektionskrankheiten gibt, will Korn deshalb gar nicht in Abrede stellen. Das pädagogische Personal kümmere sich mit dem Gesundheitsamt um diese Fälle. Dass Fiechtner „beim Blick aufs schwarze Brett ein Befall von Bewohnern mit Windpocken und sogar mit Krätze“ registriert haben könnte, wird allerdings bestritten. „Der Hinweis war für Lieferanten und andere offiziell im Hause tätigen externe Personen gedacht“, so Korn. Diese fänden „in jedem zweiten Kindergarten und soll heißen: Ein wenig Distanz und gutes Händewaschen“.
Fiechtner ist seit seiner Wahl zum Stadtrat der rechtspopulistischen AfD 2014 mehrfach aufgefallen: Der Mediziner gilt als radikaler Abtreibungsgegner und wird zudem auch wegen beleidigender Äußerungen gegenüber OB Kuhn („mieser faschistoid-populistischer Scharfmacher“), eines Vergleichs von Koran und Hitlers „Mein Kampf“ und provokativen Ausführungen in Ausschüssen kritisch gesehen. Ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn verlief im Sande, nachdem die ihm kritisch gegenüberstehenden liberalen Kräfte der AfD den Rücken kehrten. Die Sprecher der Ratsfraktion, Lothar Maier und Bernd Klingler, behaupteten unlängst, sie hätten den Kollegen mittlerweile „im Griff“, er unternehme nichts ohne Genehmigung.
Ausbruch der Krätze?
Fiechtner hat den Fall per AfD-Antrag öffentlich gemacht. Er will von der Verwaltung wissen, ob seine Recherchen Anlass für eine „eingehende Kontrolle“ seien. Er sorgt sich um den Brandschutz im Hause – es drohe bei einem Feuer „eine hohe Zahl an Toten und Schwerverletzten“ in Räumen, die nach seiner Einschätzung dreifach überbelegt gewesen seien. Und er will wissen, ob seine „Hinweise gerade auch auf einen Ausbruch der Krätze unter den Bewohnern“ aufgegriffen würden, um eine Ausbreitung zu verhindern.
Anders noch als in seinem Beschwerdeschreiben an den Jugendamtsleiter ist sich Fiechtner offenbar nicht mehr sicher, mit dem Eindringen in das Gebäude die Gemeindeordnung richtig ausgelegt zu haben. Im Antrag fragt er, ob ein Stadtrat dazu überhaupt das Recht habe.
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